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Popkultur

Rechtspopulistische Meinungsmache ist auf den Schulhöfen angekommen

Unter Schülern macht eine WhatsApp-Nachricht die Runde, in der Merkels Flüchtlingspolitik kritisiert wird—unter dem Deckmantel der Paris-Trauer. Warum das so widerlich ist.

Nach den Anschlägen in Paris am vergangenen Wochenende herrscht eine Art „So zeige ich meine Trauer richtig"-Wettkampf in sozialen Medien. Darf man „Je suis Paris" schreiben, wenn man davor nicht aktiv und für alle sichtbar um die Menschen getrauert hat, die täglich in weiter entfernten Teilen der Welt durch Terroranschläge ums Leben kommen? Ist man ein Heuchler, wenn Dinge einen mehr betreffen, weil sie der eigenen Lebensrealität nicht nur räumlich näher sind? Die Geschehnisse überfordern, wahrscheinlich uns alle. Irgendwas will man sagen, irgendwie seine Betroffenheit deutlich machen und vielen bleibt dann doch nicht mehr, als ihr Profilfoto per Facebook-Funktion in die Farben der französischen Flagge zu tauchen.

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Vielleicht dachte sich genau deswegen ein bisher unbekannter Absender, dass insbesondere junge Menschen jetzt besonders empfänglich für Nachrichten sein könnten, die genau an dieses „sich irgendwie solidarisch zeigen" appellieren. Laut diverser Medienberichte fordert eine Textmitteilung in Deutschland dazu auf, sich am heutigen Dienstag ganz in Schwarz zu kleiden, um seine Anteilnahme mit den Opfern der Pariser Anschläge auszudrücken.

Neben jeder Menge Rechtschreibfehlern und willkürlich eingesetzten Emojis enthielt die Nachricht, die primär über WhatsApp und Facebook verbreitet worden sein soll, auch einen ziemlich fragwürdigen Zusatz: „Mit etwas Glück wenn alle mitmachen merkt vielleicht auch mal Angela Merkel das es so nicht weiter gehen kann!"

Wie der Bayerische Rundfunk berichtet, habe sich die Nachricht unter anderem in Klassenchats verbreitet, wo sie ursprünglich herkommt und wie sie sich so rasant verbreiten konnte, ist—wie so oft bei derartigen „Kettenbriefen"—bisher nicht nachzuvollziehen. Pädagogen und Schüler aus ganz Deutschland sagten aus, den fragwürdigen Text zugeschickt bekommen zu haben. Manche Schulleiter hätten laut BR-Informationen „bereits mit Durchsagen und Anweisungen an die Lehrkräfte reagiert", andere forderten konkret dazu auf, „möglichst bunt gekleidet zum Unterricht zu erscheinen." Laut Elternaussagen hätten ihre Kinder außerdem die „versteckte politische Botschaft sehr wohl erkannt und die Mitteilung gelöscht."

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Das ist zuerst einmal eine gute Nachricht, zeigt sie doch, dass auch vermeintlich oberflächliche, politikverdrossene Teenager sehr wohl verstehen, wann jemand versucht, ihnen plumpe Meinungsmache unterzujubeln. Es reicht dann eben doch nicht, ein paar dramatische Emojis aneinanderzureihen, um einen Jugendlichen zu indoktrinieren. Andererseits stellt sich natürlich die Frage, wer diese Nachricht verfasst hat. Dass jemand es schafft, sich die Telefonnummern von Schülern zu besorgen, um ihnen anschließend als soziales Engagement getarnte rechtspopulistische Botschaften aufs Smartphone zu schicken, ist nämlich durchaus besorgniserregend.

Seit Jahren werden Eltern davor gewarnt, die Online-Aktivitäten ihrer Kinder nicht angemessen zu überwachen und dadurch nicht mitzubekommen, wenn sie beispielsweise dazu überredet werden, anzügliche Fotos von sich aufzunehmen und zu verschicken. Während eine solche Kontrolle schon dann schwierig ist, wenn der Nachwuchs vor dem heimischen Rechner sitzt, hat man darüber, was ein Jugendlicher auf seinem Smartphone macht, so gut wie keine Übersicht.

Das macht es für Leute mit fragwürdigen Absichten recht leicht, direkt und ungefiltert auf junge Menschen, die in ihrem politischen Verständnis womöglich weder sehr gefestigt, noch sehr informiert sind, zuzugreifen. Und im Gegensatz zum „Platzhirsch"-Maskottchen der NPD, das im vergangenen Jahr an sächsischen Schulen Flyer verteilte, ist eine WhatsApp-Nachricht in dieser Form nicht direkt als rechte Propaganda erkennbar—und ganz abgesehen davon nur für die sichtbar, die direkt und gezielt angesprochen werden sollen.

Ich glaube nicht, dass ein Schüler durch das Überziehen eines schwarzen Sweaters plötzlich zum Asylkritiker wird. Wenn derartige digitale Kettenbriefe allerdings der neueste Weg für Rechtspopulisten wird, um ihre Überzeugungen unters (ziemlich junge) Volk zu bringen, dann ist das eine Entwicklung, die im Auge behalten werden muss. Vor allem dann, wenn sie sich auf so widerliche Art und Weise an der Betroffenheit junger Menschen bedient.

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