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Campus, Sex und Ravioli

Warum du die Freunde deines Lebens sicher nicht auf Erasmus findest

Der kleinste gemeinsame Nenner reicht nicht, um mich bei schlechter Musik über dein Leben zu unterhalten.

Alle dreihundert Menschen, die mit mir im Audimax sitzen, haben zumindest etwas gemeinsam: Sie sind International Students. Und weil sowohl ich als auch meine Sitznachbarin „Internationals" sind, muss das natürlich automatisch bedeuten, dass wir einander besonders viel zu sagen haben und uns von Beginn an super verstehen werden. Statt die morgendliche Ruhe zu genießen, haben die meisten ihre psychische Verfassung irgendwo zwischen unruhig und freudig-erregt geparkt. Ich sitze resigniert in der dritten Reihe. Hier, so wird es uns auf der ersten Powerpoint-Folie präsentiert, warten die Freunde deines Lebens. Gleich links neben dir, auf derselben Sitzbank. Du musst dich nur umschauen.

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Der Vormittag des Einführungstages ist mit wichtigen Informationen über geeignete Sauflocations, polizeiliche Reglements und die Änderungen für Learning Agreements gefüllt. Nachmittags organisiert die Spaßtruppe des Erasmus-Netzwerks „Wir-spielen-alle-gerne-Beerpong" ESN pädagogisch wertvolle Kennenlernaktivitäten. So habe ich eine Stunde Zeit, acht Personen via Speeddating näher kennen zu lernen. Wie heißt du. Woher kommst du. Was studierst du. Die Fragen werden mir in unterschiedlicher Abfolge und Motivation von meinem Gegenüber gestellt, sobald die ESN-Koordinatorin in ihre Triller-Pfeife geblasen hat.

Irgendwann habe ich keine Lust mehr und versuche mithilfe meines Gesichtsausdrucks erst gar kein Gespräch möglich zu machen. Die Englischkenntnisse mancher Studierender sind derart schlecht, dass ich mich frage, wie sie jemals den Text über Poststrukturalismus verstehen sollen, wenn sie Probleme damit haben, die geografische Lage ihrer Heimatstadt zu artikulieren. Ohne jemanden wegen seiner Sprachkenntnisse zu nahe treten zu wollen: Die Bereitschaft, längere und tiefergehende Gespräche zu führen, sinkt bei mir leider automatisch, wenn ich meine Sätze fünf mal wiederholen und dem Gegenüber Vokabel für etwaige emotionale Befinden aus der Nase ziehen muss.

Nach dem, pauschal gerechnet, mittlerweile 16 Jahre fortwährenden Bildungsprozess haben wir dank den strikten Kriterien der europäischen Bürokratie theoretisch alle dieselben Voraussetzungen erfüllt, um diese unglaubliche Erfahrung machen zu dürfen. Ein Prozess, der sonst Jahre in Anspruch nehmen kann, wird im Fast-Forward-Modus abgehandelt. Der Nächste, bitte. Nach Runde acht weiß ich nicht mehr, was Person zwei studiert, wie Person drei heißt und wie alt ich eigentlich bin. Nummern habe ich mit niemandem ausgetauscht, stattdessen bin ich mit brummendem Kopf nach Hause in die WG.

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Die Verzweiflung, niemanden mehr zu finden, mit dem man sich abends im Karaoke-Pub blamieren könnte, steht den Internationals ins Gesicht geschrieben. Ich fühle mich so ähnlich wie am ersten Schultag, nur dass man dort weiß, dass einem noch ein bis fünf Jahre bleiben, einander potentiell nicht riechen zu können. Hier entscheiden Sekunden. Die falsche Frisur. Essen zwischen den Zähnen. Der „BWL für Einsteiger"-Reader. Schnell zu der italienischen Truppe gesellen oder alleine Mittag essen? Hallo zu den zwei niederländischen Mädels sagen oder schweigend in der letzten Reihe sitzen? Zur Erasmus Willkommensnacht gehen oder nie wieder betrunkene Spanier kotzen sehen?

Foto von: Kaiho_ via photopin cc

Nach zwei Tagen habe ich aufgegeben. So funktioniert das nicht. Ich kann nicht willkürlich fünf Personen aus einem Pool von 300 „auswählen" und dann hoffen, dass ich mit jedem davon über die Auswüchse des Antifeminismus, den Sinn von Shared Economies und Beyonces Intimfrisur diskutieren kann. Nicht, dass das Kriterien wären, nach denen ich meine Freunde auswähle. Gerade die Anfangszeit ist mit besonderen Strapazen verbunden. Woher soll man wissen, ob man dazu bestimmt ist, gemeinsam nasepopelnd im Bett zu liegen, um binge-viewing zu betreiben? Dafür muss man reichlich Zeit investieren, ständig unterwegs sein, versuchen, so viel Privates wie möglich über das Gegenüber im Kreis von fünfzehn oder zwanzig anderen Personen herauszuquetschen und die eigenen Unarten so gut es geht im Auge zu behalten. Vorerst.

Dass es mit den meisten von Anfang an nicht gepasst hat, habe ich beispielsweise dann gemerkt, als mich die Publizistik-Studentin aus Wien darauf aufmerksam machen wollte, dass ich gerade dabei bin, eine rechtspopulistische Zeitung zu lesen. In meinen Händen befand sich der Falter.

Meine einzige Freundin habe ich nicht durch zwanghaftes Erasmus-Freunde-Hopping kennengelernt, sondern über meine Ex-Mitbewohnerin. Wir haben beide ein Faible für frittierten Fisch, den monatlichen Sale in unserer Lieblings Vintage Boutique und sinnlose Instagram-Hashtags. Sollte reichen.


Titelbild von: #unibrennt via photopin cc