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Unter Umständen

Schwanger, Woche 21: Mordgelüste

Unsere schwangere Autorin muss sich immer noch mit schrecklichen Fragen und noch schrecklicheren Menschen herumschlagen.

Foto: Schwangerschaft via photopin cc

Ich warte. Auf eine Geburtstagsüberraschung für eine Bekannte. Um 17.20 Uhr soll es losgehen. Ich kenne hier niemanden und starre konzentriert auf’s Handy. Neben mir eine Frau, die ich noch nie im Leben gesehen habe.

Sie: „WANNISSESDENNSOWEIT?“
Ich, ahnungslos: „In ein paar Minuten, glaube ich!“.
Sie streichelt zur Verdeutlichung meinen Bauch.
Ich hasse sie inbrünstig. „Ende des Jahres“.
Sie: WEISSTDUSCHONWASESWIRD?
Ich: Ein Bub.
Sie: Aaaaaaaah, auch ein Bub.
Ich verstehe nur Bahnhof. Bis ich den Kerl sehe, der drei Meter weiter mit einem männlichen Kleinkind steht und in die andere Richtung schaut. Offenbar gehört er zur Irren.
Sie: UNDHABTIHRSCHONEINENNAMEN?
Ich: Nein.
Sie: UNDWOWIRSTDUENTBINDEN?

Ich bin sprachlos. Ich überlege, wie ich der Tante verbal möglichst heftig ins Gesicht fahren kann, irgendwas in der Art von „HERRGOTTIMHIMMELHALTDIEFRESSEWIRKENNENUNSÜBERHAUPTNICHTDUDISTANZLOSEFUNSEN!“, bis mir wieder einfällt, dass wir hier für das freudvolle Ereignis einer Geburtstagsüberraschung zusammengekommen sind und ein lautes Streitgespräch akut kontraproduktiv wäre. Längst bin ich in eine wehrlose Schreckstarre verfallen. Was ist das für ein Mensch? Wieso interessiert sie sich überhaupt für mich? Was geht sie das alles an und: Wie reagiere ich richtig? Ich bin ausnahmsweise völlig schmähstad. Es gibt sie also wirklich, sie leben unter uns und man kann nichts gegen sie tun.

Bis dato hatte ich Glück. Ich habe einen leise irren, dafür grundsympathischen Freundeskreis, der mich normal behandelt und mir im Zweifelsfall verständnisvoll leichten Spritzwein zur Beruhigung der Nerven der werdenden Mutter bestellt.
Selten sind die Tage (Geburtstagsfeiern sind hier gefährlich!), wo man im Fünfsekundentakt die obligatorischen WaswirdsnisseseinWunschkind-Fragen beantworten muss. Die tragische Erkenntnis ist ja: Ich habe sie alle selbst schon gestellt. Man fühlt sich aus Gründen der Sozialverträglichkeit bemüßigt, alle thematisch möglichen Floskeln und Phrasen abzusondern, als eine Art kommunikatives Gleitmittel, auch wenn die möglichen Antworten (Geschlecht, Schwangerschaftswoche, etc.) aktuell null Relevanz für den gelungenen Fortgang des Gesprächs haben. Inwieweit ist es wichtig, ob es die 17. oder 19. Woche ist? Was macht es für einen Unterschied, ob der Embryo weiblich oder männlich ist? Willst du wirklich darüber reden, oder hast du das Gefühl, du musst? Wir können uns nämlich jederzeit gern über Spannenderes unterhalten. Lachen und Weinen über die österreichische Innenpolitik, Geschmacklosigkeiten anprangern, ein Loblied auf einen Film oder eine Band singen, schimpfen über die Arbeit oder die Weltherrschaft planen.

Ich muss beruflich viele Fragen stellen. Seit ich ständig dieselben Fragen beantworten muss, hat sich mein Blickwinkel geändert. Klar muss man bei Interviews auch aufgelegte Fragen zum zigsten Mal fragen, einfach weil der Informationswert für die LeserInnen hoch ist. Aber muss man sie immer exakt gleich stellen? Und auch privat lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob das Vis-à-vis die eigenen Absonderungen womöglich schon tausendmal gehört hat. Die Freundin, die sich gerade der Chemotherapie unterziehen muss. Oder die, die gerade ihre Mutter verloren hat. Wollen die schon wieder den ganzen Scheiß hören, das „SiewardochalteswarsichereineErlösung“ oder „Denkdocheinfachpositiv!“? Wie könnte man es besser anlegen, ohne hilflos in zahllose mögliche emotionale Fettnäpfchen zu treten?

Die Antwort ist erschreckend simpel: Man fragt die Leute einfach „Wie geht es Dir?“. Und dann hört man verdammt noch einmal zu. Der Gesprächspartner kann entscheiden, wieviel er erzählen will. Und danach richtet man sich. Man stellt keine dummen Interpretativfragen, gibt nicht ungefragt Ratschläge. Und überlegt einfach mit, ob die ehrliche Beantwortung einer Frage Menschen unangenehm sein könnte (deshalb hört bitte auf, alle Schwangeren mit der Frage nach dem Wunschkind zu nerven). So einfach ist das. Peinlich, dass ich erst schwanger werden musste, um das zu kapieren. Ach ja, und wenn euch die eine, geniale böse, nicht ausfallende, aber eindeutige Antwort an die Teufelstrulla einfällt, ich werde euch ewig dankbar sein.