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„Es ist Schluss mit der Kultur-Kuschelei“

Peter Schneider über die Fasnacht der Souveränität und die ökologisch gestimmte Naturreligion hinter Ecopop.

Peter Schneiders Stimme ist bei mir so tief in der Kindheit verankert wie sonst nur die Stimmen meiner Eltern. Bei jeder Fahrt im Familienauto lief früher oder später „Die Andere Presseschau" auf DRS3. Peter Schneider ist aber nicht einfach Radio-Satiriker, sondern schreibt auch Kolumnen (u.a. im Tagesanzeiger), ist Psychoanalytiker und doziert an den Unis in Bremen und Zürich.

Da ich ihm schon in der ersten Mail geschrieben hatte, dass ich bereit wäre, das Interview notfalls in der Schlange beim Flughafen-Check-In zu führen, ist es nicht verwunderlich, dass unser Gespräch über den mentalen Zustand der Polit-Schweiz auf einer Tramfahrt begann und an einem Familienessen im kleinsten Rahmen endete.

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Als Familienessen-Crasher akzeptierten wir, hin und wieder von Kellnern mit Entrecôtes und Fetzen wie „Komm, Schatz, das ist schon weniger rot. Das gart jetzt auf dem Teller nach." unterbrochen zu werden. Die Konzentration hielt dem problemlos stand:

VICE: Sie haben die Minarett-Initiative und die Ausschaffungs-Initiative für Experimente gehalten. Sind wir auch nach der Masseneinwanderungs-Initiative noch in dieser Experimentierphase?
Peter Schneider: Die Minarett-Iniative war schon eine herausragende Leistung. Es war die Feier von Willkür, eine Spassinitiative, eine Art von Fasnacht der Souveränität: Wir bestimmen jetzt einfach mal. Und das scheint Schule gemacht zu haben, etwa bei der Pädophilie- oder der Masseneinwanderungs-Initiative.

Feiert man diese Fasnacht auch aus einem Komplex heraus?
Der Mainstream gibt sich verfolgt und haut jetzt mal so richtig auf die Sahne.

Mainstream ist aber auch ein Wort, das gerne von der Rechten gebraucht wird.
Genau, das ist eben die Umkehrung: Die „Freemen", die sich von einem linken Mainstream verfolgt fühlen. Meistens unterliegen wir Linken. Aber jetzt gibt es auf der rechten Seite Leute, die sich in die Haltung einer verfolgten Minderheit fantasieren.

Am SVP-Abstimmungsbrunch vom 9. Februar haben mir viele gesagt, dass sie nicht verstehen, weshalb die Städte ihre Initiativen ablehnen.
Wenn es tatsächlich so ist, dass die Agglo die Abstimmung entschieden hat, liegt das sicher daran, dass die Leute nicht vom städtischen Vibe profitieren können und und sich als die Verlierer des Urbanen fühlen: Sie sind weder Fisch noch Vogel, nicht Stadt und nicht Land; sie sind eben nur die aus … Zum Beispiel …

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Aus Spreitenbach! Wenn man in Spreitenbach wohnt, wohnt man in Spreitenbach und noch lange nicht in Zürich.
Genau. Es gibt keine gesellschaftliche Utopie dafür, wie es wäre, wenn die Agglo nicht mehr bloss Agglo wäre, sondern Teil von Zürich.

Sie haben auch mal gesagt, dass die SVP Lust und Spass in die Politik bringt, die der anderen Seite fehlen.
Ich weiss nicht, ob dieser Spass für die andere Seite überhaupt wünschenswert ist. Spassinitiativen wie die Minarett-Initiative bringen die Provokations-Performance der 68er in die Politik. Sie haben den unglaublichen Vorteil, dass es um nix geht, aber dass man ein maximales Signal setzen kann. Wirklich die freie Sicht aufs Mittelmeer.

Hat sich grundsätzlich was verändert, wenn die Schweizer Initiativen zustimmen, obwohl die Wirtschaft dagegen ist?
Die Minarett-Initiative hat ein Scheissegal-Gefühl als Handlungsmaxime lanciert: Was kümmern uns internationale Verträge, was kümmert uns die Menschenrechtskommission, was kümmert uns Europäisches Recht … Es ist ein karnevalistisches Souveränitäts-Auftrumpfen.

Die Masseneinwanderungs-Initiative hatte immerhin wieder eine minimale Rationalität. Mit sehr viel Goodwill kann man sagen, dass von der Minarett- zur Masseneinwanderungs-Initative ein gewisser Lernprozess stattgefunden hat. Man kann sagen, dass es noch leidlich existierende Probleme betrifft: Mieten und Lohndumping. Allerdings nur auf der Ebene des Behauptens—sonst hätten die Befürworter ja unglaublich begeistert von den Aktionen der Unia sein müssen.

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SP-Nationalrätin Jacqueline Badran hat auf ihrem Smartvote-Profil von 2011 bei Ecopop sogar „Eher Ja" angekreuzt.
Das ist, nun sagen wir: politisch sehr originell. Immerhin war sie wahrscheinlich nicht dagegen, dass die UNIA die Baustelle am Bahnhof stilllegt, weil dort Arbeiter beschäftigt wurden, die man um den ihnen zustehenden Lohn beschissen hat … Was die steigenden Mieten wegen der Einwanderung angeht—wer kassiert die eigentlich?

Die Leute hinter Ecopop denken im Gegensatz zur SVP absolut technokratisch.
Es ist eine politische Initiative, die behauptet, dass sie völlig apolitisch ist. Sie tut so, als ob sie die Herrschaft der Wissenschaft—oder dessen, was sie dafür erklärt—über die Politik anstrebe.

Die alte Feministin Julia Onken ist schon lange bei rechten Gehässigkeiten dabei. Aber Ecopop wird zum Beispiel auch von Anne-Marie Rey, der Mutter der Abtreibungslegalisierung, unterstützt. Wieso gibt es diese Frontverläufe?
Ich habe im Psychologie Heute vor genau 30 Jahren einen Artikel über die Ökowende von Valentin Oehen, damals Nationalrat der Nationalen Aktion, geschrieben. Schon damals gab es den Slogan „Mehr Umweltschutz, weniger Ausländer". Dass das Ganze jetzt wieder kommt, hat mit der Klimawandel-Diskussion zu tun. Einer Art grossökologischen Katastrophentheorie.

Das hängt aber auch mit der Naturalisierung des Menschenbildes überhaupt zusammen. Diese Anthropologie besteht aus selbstgebastelten Gattungsgeschichten, die immer im Schluss münden, dass es so nicht weitergehen kann, weil wir uns gegen unsere Natur versündigen.

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Nehmen auch Leute mit klassisch grünem Hintergrund Ecopop an?
Es war ja immer das Problem der Ökologie, dass sie als Alternative zur Politik aufgetreten ist. In der Politik kann man sich streiten; die Naturgesetze stehen fest. Und diese Gruppierung sagt jetzt: Schluss mit dem Gezänke. Wir tun nichts anderes, als den Naturgesetzen wieder Geltung zu verschaffen. Es ist Schluss mit der Kultur-Kuschelei.

Jetzt sind es biedergrüne Körnlipicker, die das Rationale für sich in Anspruch nehmen. Früher waren das Industrielle, die die Produktivität antreiben wollten.
Das war eine durchschaubare Rationalität: Die Rationalität des ungehinderten Wirtschaftswachstums war immer deutlich politisch geprägt. Jetzt ist es wie Neoliberalismus ohne Liberalismus. Das Mantra der Thatcher war „There's no alternative." Im Politischen ist das ein Widerspruch in sich, denn das Politische ist durch die Alternative bestimmt. Aber bei dieser Vernatürlichung der Politik gibt es keine Alternative.

Wenn gesellschaftliche Verhältnisse als soziobiologische Gegebenheiten gefasst werden, erhält der Begriff der „Widernatürlichkeit" plötzlich einen neuen Glanz: Nicht Kondome sind widernatürlich, sondern die Bevölkerungsexplosion in der Dritten Welt. Da formiert sich eine ökologisch gestimmte Naturreligion.

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