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The Hot Box Issue

VICE Reviews

Von Feenmagie und weiblichen Herrenstimmen. Die neuen Reviews sind da.

JULIANNA BARWICK
Nepenthe
Dead Oceans
9
Ihr werdet wieder von Geysiren lesen, die leise flüstern, von Feenmagie und von längst erloschenen Vulkanen, von geschmolzenen Gletschern, die in der Mitternachtssonne…-es ist wieder an der Zeit, für solche Arschwinde aus dem Lokus der Unterhaltungsindustrie, die wirklich nur noch Ideen ausscheißt, die schon vor dem Abseilen verfault waren. Und als wären die neuen Alben von Sigur Rós und Múm nicht genug, um sämtliche Klischeeschleudern auf sich zu richten, soll nun auch der Sound von Julianna Barwick bombardiert werden. Das wirklich Schlimme ist, all diese Handlampen, die schlampig solche Hirnfurze in Schablonen pressen, glauben ja ehrlich, es gut mit so einem Album zu meinen. Die Barwick hat sich, erklärtes Fangirl, natürlich ein Stück weit auch auf dieses Risiko eingelassen, als sie mit Alex Somers im Sigur-Rós-Studio ihr zweites Album aufnahm. Die Essenz dieser Komponenten ist jedoch eine Musik solch überirdisch entrückter Sphären, dass selbst kilometerhoch in den Äther gespuckte Island-Klischees hierhin nicht mehr vordringen können.
BUSTER CLOUD

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PORCELAIN RAFT
Permanent Signal
Secretly Canadian/Cargo Records
2
Erinnert sich noch jemand an die Loveninjas? Das war eine gnadenlos langweilige, schmalzig-poppige, schwedische Mädchenmusikband Mitte der 00er, die laut Wikipedia seit Anfang 2008 zumindest den Anstand besitzen, weder Konzerte zu spielen noch neue Songs unter das wehrlose Volk zu mischen. Porcelain Raft hingegen klingen genauso, machen aber einfach immer weiter. Nasal-weibliche Herrenstimme trifft repetitive Akkorde und ewiges Lamentieren über die ach so großen Gefühle. Will man da vielleicht noch mal achtzehn sein? Nein, lieber nicht.
BEN THERE

COLD WORLD/HUMMINGBIRD OF DEATH
Split
Deep Six Records
8
Gut, wir kicken objektives Fachsimpeln gleich mal raus und bei der Gelegenheit dem slicken Metalcore-Jüngling ordentlich ins Gemächt, so wie es uns Cold World ja seit 25 Jahren vormachen. Die Gründe dafür sind schnell erklärt: 1. handelt es sich um Wiens stramme Hardcore-Veteranen, 2. das LP-Cover allein ist die paar Euro wert, Klaus Pichler seit einiger Zeit offi ziell große Kunst und die passende Faust auf Cold Worlds Augen, 3. frei nach Spock: „He/she who survives this LP lives longer & prosper.” (oder Fritz N.: „Was uns nicht umbringt, macht uns härter.”) Powerviolence was, Hardcore wie, it’s all Punk? Unwichtig, zuerst Cold World. Neun Songs in knapp 10 Minuten, dabei wird mehr reingepackt als andere Bands auf zwei guten (!) Longplayern verwursten. Hummingbird of Death aus Boise sind auch Nestbeschmutzer (Obama wird von beiden LP-Seiten aus gescholten, irgendwas machst du falsch!), musikalisch nicht so weit out there wie Cold World, haben dafür etwas mehr Live-Charme, man bekommt aus allen Richtungen eine gesemmelt, wie sich’s gehört, und „Shocker” ist ein Hit. Gibt es übrigens in marbled und black vinyl.
BIERMÄCHT

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MUSO
Stracciatella now
Chimperator/Universal
5
Wie schon sein Buddy Cro wird nun auch Musos Debüt Straciatella die Rap-Welt in zwei Lager spalten: Die eine Hälfte wird ihn für eine Art Hipster-Messias halten, der dazu bestimmt ist, den Sprechgesang von seinen Ketten zu befreien und mit einem zahnpastaweißen Lächeln ins nächste Jahrtausend zu befördern. Die anderen wollen ihn vermutlich einfach ein Pitbull-Leckerli in den Hintern schieben und ihn im Offenbacher Ghetto aussetzen. Ach ja, und dann gibt es noch Leute wie mich, die als Rezensenten zur Objektivität verpfl ichtet sind, dafür aber gerade gigantische Lust auf ein Stracciatella-Eis bekommen haben. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit Muso muss deshalb auf unbestimmte Zeit verschoben werden. #YOLO!
FLUTSCH FINGER

GRANT HART
The Argument
Domino
8
Den Grund, dass Grant Hart einfach nicht unter dieselbe Schuhsohle passt wie David Bowie oder eine so illustre Person wie Madonna, argumentiert der gute Mann mit seinem aktuellen Album erneut höchst selbst und ganz vortreffl ich. Nicht für eine oberflächliche Frischzellenkur an den Zeitgeist herangepirscht, sondern vielmehr der Mode völlig entrückt, balanciert Hart auf mit ergreifenden geilen Hooks völlig faltenfrei straff gespannten Songs über Stilepochen hinweg. Wir erwarten von euch nicht weniger, als dass ihr eure Schuhe auszieht, den Gebetsteppich ausrollt und dem Meister Tribut zollt. Und Bob, you eat your heart out!
NONO MOLD

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MÚM
Smilewound
Morr Music
7
Bisher habe ich jedes neue Album von MÚM gehört, für gut befunden und in meinen Plattenschrank gestellt. Und dort habe ich es dann stehen lassen. Wenn es im Gegensatz zu diesen Alben auf Smilewound nun tatsächlich ein Stück geben sollte, das zwischen der ganzen herzzerreißend niedlichen Zauberhaftigkeit auch mal einen ordentlich penetranten Haken ins Gedächtnis schlagen kann, dann ist dies mit Sicherheit nicht „Whistle“, die arg lahmende Kooperation mit Kylie Minogue im Ausklang des Albums. Wahrscheinlicher dürfte so ein Höhepunkt, an dem man den Rücken der Platte auch noch in ein paar Jahren erkennen kann, zwischen dem rhythmischen Atari-Quietscher „Candlestick“, dem ungeniert pompös angestrichenen „One Smile“ und dem melancholisch veredelten „The Colourful Stabwound“ hängen. Kann natürlich aber auch sein, dass es wieder nichts wird mit der Ewigkeit.
JASON ZAGHAFT

ZOMBY
With Love
4AD
6
Ganz klar, die hypermoderne Welt mit dem Internet, Datenclouds, USB-Furzkissen und was weiß ich frisst unsere kognitive Fähigkeiten und zerebralen Strukturen. Stichwort: Aufmerksamkeitsökonomie. Die elektronische Musik passt sich da an verschiedene kognitions psychologische Modelle an. Im House-Bereich geht man davon aus, dass ein durchschnittliches jugendliches Hirn so funktioniert wie das eines Goldfisches (sobald man sich einmal um die eigene Achse gedreht hat, erscheint einem alles wieder wie neu). Sechs bis zwölfminütige Abfolgen des immergleichen Loops sind hier keine Seltenheit! Zomby wiederum vertraut der These, dass eine Informationseinheit heutzutage entweder in 160 Zeichen oder kleinteiligen Soundfragmenten formuliert sein muss, um den Rezipienten nicht zu überfordern, und entleert somit die selbstverständlich manche Datenpreziose enthaltenden Skizzenordner der letzten Monate auf gleich zwei CDs. Macht eine Spielzeit von 80 Minuten. Hmm … vielleicht ist sein Ansatz doch noch nicht ganz ausgereift.
BLACK LOL SUN

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PALMS
s/t
Ipecac
7
Drei Typen von Isis und Chino Moreno? Da eröffnet sich ja ein ganzes Himmelszelt an Win-win-Fantasmen. Deftones bereinigt von der letzten Bremsspur hartwurstiger New-Metal-Tieffl üge und Isis mit einer vernünftigen Stimme. In Wahrheit ist es sogar noch mehr als ein best of both worlds. Es ist so, als würde man einer neuen Weltwerdung zuhören. Und am ersten Tag schufen sie die Abwesenheit von Scheiße, die Aufhebung der Laut-leise-Methode, den schwersten aller Glücksklänge und nannten das Ganze ihr erstes Album. Am zweiten Tag vernaschten sie wahrscheinlich erst mal ein paar fette Blunts und über das, was danach kommt, muss man sich wahrscheinlich echt keine Sorgen machen.
POLOF ALME

MOZES AND THE FIRSTBORN
s/t
Siluh Records
7
Die hier sind wie Trivial Pursuit, aus mehreren Wissensgebieten entsteht ein Gewinnertyp. Ein gelbes Teilchen Beach Boys (alles so kalifornisch), ein grünes Teilchen Paul McCartney (ca. „Paperback Writer”-Ära), ein braunes Teilchen Woods (allerdings unerreicht), ein pinkes Teilchen Starlite Desperation (Vorreiter in Sachen Retro-Garage in den 90ern auf dem GSL-Label) und ein violettes Teilchen Kurt Vile (Punktlandung). Zu unser aller Enttäuschung kommen Mozes and the Firstborn nicht aus Tel Aviv, wie der Name klischeehalber vermuten lässt, sonst könnte man noch den Kalauer „Gaza Beach Boys” anbringen. Nein, die kommen aus Eindhoven. Das ist derbe unsexy. Man merkt auch, dass sie immer von dort wegwollen, denn sie sind fleißig auf Tour, zu der man durchaus pilgern sollte. Oy vey!
KOSHER MOSHER

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BLACK MANNA
Radio Manna
Klanggalerie
7
Cannibal Holocaust und The Day the Earth Stood Still haben gefickt. Danach haben sie sich von The Conjuring mit einem Klangwellen-Kleiderbügel bei der Abtreibung helfen lassen und mussten 666 Tage später, entgegen allen Widrig- oder Wahrscheinlichkeiten, trotzdem ein frischgeschlüpftes Album aus dem miasmatischen Fruchtwasser fischen. Der biofeedbackige Bastard hört auf den Namen Radio Manna und liefert die Audiospur zu einer Erzählwelt, in der sich transzendentale Tonbandstimmen mit Theremin- und (anderen) Elektro-Klängen einen Kampf um unsere Gehörknöchelchen liefern. Dass die Tracks unpoliert klingen und eher zu mit Gras angefütterten Mario Bava-Filmabenden passen als zum lässigen U-Bahn-Dancen mit Earphones, überrascht dabei nur Menschen, die Letzteres Ersterem vorziehen. Fleischgewordene /slash-Filmfestival-Musik.
RADIO ARGENTO

CARDIOCHAOS
DDNOS
Little Night Music
6
Gibt es da draußen wirklich Männer oder Frauen, die auf weinerliche Weicheier stehen? Können wir nicht in einer Welt leben, in der alle ein Stückchen abgehärteter sind und keine Alben rausbringen, die dich 11 Lieder lang anheulen? Aber vielleicht habe ich nur gerade sowas wie Roid Rage (falls man das von zu viel Fantatrinken kriegen kann) und ich beruhige mich gleich wieder und kann dann links-rechts-wankend zu Cardiochaos tanzen.
HEULSUSE

Die besten Tracks aus unseren Reviews könnt ihr in unserer Deezer Playlist nachhören.