FYI.

This story is over 5 years old.

The Fashion Issue 2014

VICE Reviews

Nicht nur das beste Album in diesem Monat von Freddie Gibs und Madlib ähnelt einer Piñata, sondern auch diese Reviews sind voller Bonbons und wollen von euch ausgeweidet werden.

FREDDIE GIBBS AND MADLIB
Piñata
Madlib Invazion
9
Das übliche Rap-Alben-Problem wird auch von Freddie Gibs und Madlib konsequent bedient: Auf einen Langspieler gehört musikalisch so viel wie irgend möglich draufgepackt. Gut, im Fall von Madlib und Freddie Gibbs ist ein Album eh seit Jahren überfällig, insofern sei ihnen der 17 Tracks dauernde Spaß auch gegönnt. Crate Digger aber weinen, sie haben einen Teil in Form der vorangegangenen EPs und Singles sowieso schon im Regal stehen. Musikalisch ist die titelgebende Pappmacheefigur kein schlechtes Bild. Von allem etwas drin—auch das Zeug, das dir echt nicht schmeckt: karamellgetränkte Beats, saure Drops, zähflüssige Raps, zuckergussklebrige Hooks und dann noch Features mit Danny Brown, Raekwon, Scarface, Earl Sweatshirt und Big Time Watts. Wie bei einer echten Piñata muss man nur lange genug draufschlagen, um alles rauszuholen—glühende Kinderaugen sind dann garantiert.
FRED LIB

Anzeige

WHOMADEWHO
Dreams
Darup Associates/Indigo
2
Nach Angaben von WhoMadeWho ist das neue AlbumDreams unter anderem inspiriert von einer Nacht im Berghain, jenem „legendary techno club in Berlin that opens very late“. Na so was. Man weiß gar nicht, worüber man sich mehr wundern soll: Über Sven Marquardts viel zu laxe Türpolitik, die jetzt schon drei aufgetakelten dänischen Indiepoppern Zutritt in seine heiligen Hallen gewährt. Oder über die Tatsache, dass hinterher so eine brave Synthie-Sülze dabei rumkommt. Vermutlich haben die Jungs den Eingang zu dem kleinen, dunklen Zimmer nicht gefunden, in dem der muskulöse Typ mit dem auf den Unterarm tätowierten Lineal wartet. Damit war es natürlich keine authentische Berghain-Erfahrung und das Album ist automatisch disqualifiziert. Wir können aber für’s nächste Mal gerne ein Treffen arrangieren.
SCHNUMMEL BLUFF

SUNNO))) & ULVER
Terrestrials
Southern Lord
8
Die Zusammenarbeit mit anderen Talenten dient Greg Anderson und Stephen O’Malley seit jeher dazu, SunnO))) immer wieder in ungeahnt neue Regionen voranzutreiben, den Sound zu erweitern, ohne das puristische Grundkonzept zu verraten. Die beiden sorgen für den Drone-Doom mit dem Herzschlag eines Leviathans im Winterschlaf, die anderen kümmern sich um Abwechslung. Je besser die Gäste, desto hörenswerter das Ergebnis. Bereits vor den Aufnahmen zu ihrem letzten Studioalbum Monoliths & Dimensions (2009) trafen sich die beiden Amerikaner mit ihren norwegischen Brüdern von Ulver, die es bekanntlich seit ihren frühen Black-Metal-Tagen weit gebracht haben—Stichwort: staatstragende E-Musik. Entsprechend ausgefeilt und abgehangen klingt das mit 35 Minuten Gesamtlänge angenehm kompakte Werk, das ihr auch getrost eurer Eso-Muddi zum Namenstag schenken könnt.
KREUZ ANDERS

Anzeige

MILE ME DEAF
Holography
Siluh Records
8
Mile Me Deaf haben mit Holography ein Konzeptalbum geschrieben, bei dem Bandleader Wolfgang Möstl in den Liner Notes jeden Song ausführlich beschreibt und auch jeder der zwölf Charaktere auf dem Cover einen Song repräsentiert. Darunter illustre Gestalten wie Lady Gaga im Skelettkostüm, Reinhold Messner, Lassie und „Macho Man“ Randy Savage. Musikalisch würden Mile Me Deaf weiterhin gut in den Soundtrack einer dieser US-Serien passen, die auf Indie und alternativ machen, obwohl sie eigentlich teuer produziert sind und von wirklich jedem Arschgesicht zwischen San Francisco und Hinterdupfing gesehen werden. Holography ist nicht nur großartig, sondern auch sonnig, poppig, ohne dabei jemals dämlich zu werden. Mit Songs wie „True Blood“, „Artificial“ oder „War Bond“ positionieren sich Mile Me Deaf als kalifornischste Band Österreichs und klingen, als hießen sie eigentlich The Mile Me Deafs.
MESSNER IN A TUTU

RUN THE JEWELS
Run The Jewels
Big Dada / Ninja Tune / Rough Trade
9
El-P und Killer Mike gönnen sich eine Auszeit von der harschen Realität und uns eine gute halbe Stunde Trashtalk-Theater, Cartoon-Punchlines und Beleidigungskaskaden. Das wirkt dann in etwa so, als ob Bertolt Brecht und Walter Benjamin auf einer Überdosis Ritalin das Drehbuch für eine neue Dschungelcamp-Staffel verfasst hätten: Abstraktion und Trivialität werden in telepathischem Überschall-Stakkato ineinander überblendet, bis sich kein Unterschied mehr erkennen lässt. Am Ende bleibt man verwirrt, entfremdet, amüsiert und erlöst zurück und hat das Gefühl, gerade Zeuge eines historischen Ereignisses geworden zu sein—ohne dessen wahre Bedeutung auch nur im Geringsten zu erahnen.
CINDY SCHLAUPER

Anzeige

THE BETH EDGES
The Beth Edges
Acute Music
8
Die Dalton Brothers hätten eine große Freude mit den vier Jungs aus Linz. Nach einer halben Stunde The Beth Edges habe ich große Lust, ein Glas Whiskey in einem Saloon zu trinken und eine Runde Karten zu spielen. Am besten mit einem richtig starken Sheriff, der aussieht und schwitzt wie ein Coke Light Boy. Ach ja, The Beth Edges. Auch, wenn Tobias in einem Song um seine verlorene Fantasie weint und es wirklich schade findet, dass er kein Dreamer mehr ist, glaube ich, dass die Beth Edges heimlich davon träumen, den Soundtrack zu einem Tarantino-Film zu machen. Den Western-Einfluss kann man beim besten Willen nicht überhören, obwohl sich immer wieder aufblitzende Disco-Elemente richtig Mühe geben, sich in den Sound zu schleichen. Österreich kann sich auf The Beth Edges einen runterholen und ich mir zum Coke Light Boy. Fair enough.
MARLBORO WOMAN

TOY
Join the Dots
Heavenly Recordings
5
Eines kann man mal ohne Weiteres behaupten: Toy müssen ein ausbeuterisches Arschloch als Friseur haben. Müsste ich hier ihre Haare rezensieren, würde ich sagen, dass sie die britische Version der Kelly Family sind. „Conductor“, das erste Stück der Platte, tut so, als wäre das Album ein feuchter Traum aus Krautrock. Sieben Minuten später findet man sich allerdings in einem klaustrophobischen Zustand wieder. Toy sperren einen in einem vollgerauchten Keller ein, während hauptsächlich bedeutungsarme Lyrics durch den Raum schlafwandeln. Dougalls Stimme hört sich an, als hätte er während der Aufnahmen am Boden gekauert, dabei Angst vorm bösen Mikrophon gehabt und liefe Gefahr, jede Sekunde einzuschlafen. Eh sexy. Alles in allem ist die Platte wie einer dieser verdammten Frühlingstage: ganz okay, aber eben noch kein Sommer.
SLAUGHTER ME SOFTLY

Anzeige

DENA
Flash
!K7 Records
6
Scheiße, es ist so weit, Menschen, die die 90er nicht erlebt haben, machen jetzt voll auf Nineties. Menschen, die bei Destiny’s Child in der Volksschule waren und sich nun zu erinnern glauben, dass damals alles super war. Der übliche Trugschluss. Das heißt im Genauen: Neonsneakers anziehen, mit X-Haxen total uninteressiert für ein Foto posen und Synthiesound aus dem MacBook kopieren. Newsflash! Sneakers hießen früher Turnschuhe, uninteressiert schauen kommt eigentlich aus den 70ern und es gab damals nur Windows 95. Unabsichtlich schafft Dena es aber tatsächlich, sehr 90s zu klingen. Könnt ihr euch an Bran Van 3000 erinnern, „Drinking in LA“? Hört euch mal „Bad Timing“ an. Oargerweise ist das auch der ehrlichste, schönste Song auf dem Album. Sie hat sicherlich Talent, man möge ihr auch Erfolge gönnen, aber sie soll erst mal zu sich selbst finden. Und eigentlich will sie ja auch nur wie M.I.A. klingen.
MAJOR LASER INKJET

PATTEN
Estoile Naiant
Warp Records/RTD
8
Bassmusik für ADHSler und Klangfetischisten. Musik, die so unglaublich „Jetzt“ wie „früher Warp-Katalog“ist. Ein Album, das musikalisch so grell und flüchtig wie ein Tumblr ist. Auf Pattens zweitem Album Etoile Naiant ist alles hyperlayered, überfrachtet, sich in Sampler-getriggerten Klangwelten verlierend. Das mag jetzt wie eine Kakofonie klingen, ist tatsächlich aber recht heiß. Wenn es in „Agen“ klapperschlangenmäßig rasselt und die Synths nur so zischen, wenn in „Softer“ die Bassdrum so herrlich verschleppt, der Clap hinterhereiert und in „Key Embedded“ die vermosht klingende Wall of Sound aufgetürmt wird, dann muss jedem Autechre-, Flying- Lotus- und Squarepusher-Lover einfach das Herz ganz weit aufgehen.
SIENNA TAIL TOE

Anzeige

VARIOUS
Dance Mania— Hardcore Traxx
1986–1997
Strut
8
Muss man ja nicht mal reinhören, um das hier als essenziell zu highlighten. Dance Mania Records war die Roughness-Raffinerie der damaligen Chicago-House-Konjunktur. Man agierte unter der Maxime, House unter keinen Umständen an die Handtaschenträger abzutreten und es jederzeit strictly street zu halten. Das sich einfach nicht totzitieren lassende House Nation wurde hier verlegt und kürzlich ihren zweiten Frühling erlebende Nummern wie Tyrees „Nuthin’ Wrong“ zum ersten Mal in die Rillen gepresst. Die Notwendigkeit dieser Retrospektive ist natürlich allein schon deshalb nicht anzuzweifeln, weil die 707- und 808-Plugins momentan so heiß laufen wie selten und in sämtlichen annehmbaren Clubs vergeblich versucht wird, über aktuelle Produktionen den Straßendreck von damals in den Sound zu schaufeln. Somit ist das hier Archivware und kurioserweise State of the Art in einem.
GROSS FADER

FUTURE ISLANDS
Singles
4AD
Sam Herring könnte Kinderhörbücher einsprechen,
Baumarktprospekte vorlesen oder bei Reggae-Bands anheuern, es würde immer zum Niederknien großartig klingen. Und der Klang dieser Stimme war ja schon auf den vorherigen drei Alben das beste Argumente für wirklich alles, was Future Islands betraf. Ebenjene Stimme ist jetzt vermutlich noch besser geworden, der Kontrast zum ganzen Rest also damit noch ärger—so ließe sich das wenigstens erklären—sodass man sich auch endlich mal eingestehen kann: Musikalisch ist das ja wirklich belanglosester Crap, was da von der Band nebenbei veranstaltet wird.
BORN SCHLIPPY

MANTAR
Death By Burning
Svart
7
Dieses Debüt ist eine mit dreckigem Rock-’n’-Roll-Riffing so ungemein rundgeschliffene Sache, dass man sich selbst in der ungehemmt herausquellenden Schwärze nicht um Ecken und Kanten sorgen muss, an welchen man sich die Stirn blutig schlagen könnte—beim selbstverständlich zwanghaften Biegen und Peitschen der Nackenmuskeln. Doom, Sludge, Black Metal und Rock ’n’ Roll in einem Hexenkessel. Einem solchen Gebräu garstig und übelsinnend entsteigende Bastarde sind gewiss nicht die neueste Erfindung des Teufels—an Darkthrone, Entombed, Motörhead ja sowieso, und von mir aus auch Kvelertak, die sich für diese Mission zumindest auf ihrem ersten Album in einen rasenden Wahnsinn geprügelt haben, kommen Mantar nicht vorbei. Nee, neu ist Death by Burning nicht—aber gut … böse.
JOHNNY B. GONE