FYI.

This story is over 5 years old.

DIE PORTRÄT AUSGABE

VICE Reviews

Highlightbefreit bis tief im Arsch Gottes. Die Reviews sind da!

WOVENHAND
Refractory Obdurate
Glitterhouse/Indigo
9
Noch mehr fiebriger Eifer, noch mehr gerechter Zorn, noch tiefer im Arsch Gottes und das Ergebnis ist kaum zu glauben—großartig. Es entbehrt nicht der Ironie, dass die tief religiöse, von Schuld & Sühne und Pech & Schwefel und all dem Scheiß durchdrungene Musik von David Eugene Edwards ausgerechnet in den gottlosen Ecken Europas wie dieser Schreibstube die tiefste Begeisterung entfacht, während der Mann in seiner amerikanischen Heimat, dem Land der meisten Kirchgänger, auf keinen grünen Zweig kommt. Egal, wir wissen, was wir an unseren wahnsinnigen Wanderpredigern haben, insbesondere wenn sie uns das Lied vom bevorstehenden Armageddon mit so viel Euphorie vortragen.
APO/STAAT

Anzeige

NIGHTSATAN
Nightsatan And The Loops Of Doom
Svart/Solina/Twisted Films/Cargo
1
Mad Max für arme Finnen—erinnert an eine dieser verkackten, nur auf dem Papier lustigen Troma-Produktionen in der Folge des Toxic Avengers; kaum konnten wir uns von der letztjährigen Abschluss-Dublette Mutantz, Nazis and Zombies und Teenape vs. The Monster Nazi Apocalypse erholen, kübelt das muntere Müllunternehmen aus dem Herzen der Finsternis auch schon Bikini Swamp Girl Massacre, Pro Wrestlers vs. Zombies und Mutant Blast auf das (vergleichsweise) unschuldige Exploitation-Publikum. Aber selbst skrupellose Ausbeuter wie Troma hätten den erschütternd öden Kurzfilm mit dem erstaunlich langen Soundtrack nicht mit der Kneifzange angefasst. Der Name ist noch das Beste.
MELVIN JUNKO

SHRACK
We Shrack Because You Don’t
LISKA
2
In irgendeinem marokkanischen Kaff wird die Schlacke, die bei der Kupfergewinnung anfällt, als „Shrack“ bezeichnet. Erstens: Ehhw, weil „Schlacke“ ein ziemlich hässliches Wort ist, und zweitens, ehw, weil „Kupfergewinnung“ ein ziemlich hässliches Wort ist. „Shrack“ steht im englischen Slang aber auch für Idiot und für den Zustand deiner Eier, wenn sie sich vor lauter Geilheit zusammenziehen und beinahe in deinen Gedärmen verschwinden. Deshalb finde ich den Albumtitel allen Männern gegenüber unfair. Bei der zweiten Nummer der EP müsst ihr aufpassen, dass ihr den Bass nicht mit Migräne verwechselt, der ist so schlecht produziert, dass er euch dumpfer macht als ein Nachmittags-Rausch bei 40 Grad im Schatten.
SHANTI ASHANTI

Anzeige

PERFECT PUSSY
Say Yes To Love
Captured Tracks
3
Das Debütalbum einer Band, die auf der Suche nach einem edgy Bandnamen irgendwo in der Mitte stecken bleibt, weil ein Baristaknecht gerade wieder eine neue Runde Latte angerührt hat oder so was, und es folglich nicht mal bis in die Liga von Anal Cunt schafft, stelle ich mir tatsächlich genau so vor: 23 Minuten lang. Davon knapp fünf Minuten Stolpern durch Noise und nochmal knapp vier Minuten Analograuschen. Der Rest: highlightbefreiter, mumpfiger Rumpelpunk, den du wahrscheinlich geistreicher in jedem Dischord-Outtake- Mülleimer fi ndest. Irgendeiner von diesen Hype-Trompetern da draußen muss sich wohl erdreistet haben, Perfect Pussy als die wichtigste Punkband aus Syracuse seit Earth Crisis hochzujazzen. Da möchte man fast hoffen, dass sich bei den VeganEdge-Machos blitzschnell die Feindbilder drehen und der nächste Feuersturm an überbewerteten LoFi-Scum wie diesen hier adressiert wird.
HARRY HARDLINE

MQ
Reinkarnation
Selfreleased
7
Schwarze Helikopter säumen den Horizont wie Nachtmahre aus einer drohenden Zukunft. Der Weg zum 24-Stunden-Laden um die Ecke gleicht im Licht des sinkenden Feuerballs einem Straßenwechsel in Bagdad. Zwei Rauchsäulen entsteigen deinen Nüstern, dein Blick unter dem schweren Bass gebeugt, leuchtend rot. Du höhlst einen Villiger-Stummel aus, der Tabak rieselt wie weisse Asche auf den Asphalt. Wer echten Rap auf den Ohrmuscheln trägt, erlebt auch ein bisschen Bürgerkrieg, während er aufs Postauto wartet.
DON PHIXION

Anzeige

EKI CON EL ITALIANO
Reggae Gschicht
Familiebetrieb
8
Die Zürcher lieben ihren Sommer, wie sie ihren Winter hassen: inbrünstig, aus ganzem und tiefstem Herzen. So farblos und uniform sich ab November alle Zürcher vermummen, so nackt und tätowiert bevölkern sie ab Mai den Oberen Letten. Das ist Naturgesetz. Die Biologie der Zürcher Kultur wirft passend zu jedem Sommer ein Reggae-Album, das den Soundtrack für eben diese Jahreszeit liefert, in die freie, hormongeschwängerte Wildbahn. Dieses Jahr hat sich der König persönlich mit el Italiano zusammengetan, um uns genau diese hymnenbeladene Scheibe zu liefern.
SENSEI ZWINGLI

XENO & OAKLANDER
Par Avion
Ghostly International
5
Sollten ein paar Idioten unter euch noch immer nicht wissen, was Synästhesie ist: Das ist die Krankheit, die du gerne hättest. Die Krankheit, bei der deine Sinne miteinander Sex haben. Par Avion behandelt spätestens mit „Jasmine“ das Riechen von Musik, das einem absurde Fantasiebilder in den Kopf projiziert. Musikalisch erinnern sie mal an Led Er Est, mal an Visage oder an eine Hundewelpen-Version von Vive La Fête. Liz Wendelbo und Sean McBride wollen mit ihrer LP an Postkarten und Reisen (Par Avion, duh!) erinnern und haben dafür „analogue synthesizers and instruments exclusively“ verwendet—was ihr ganzer Stolz sein muss, weil sie den Satz in Interviews öfter erwähnen als den Namen des Albums selbst. Ich kann sie verstehen—wenn sie ihr nächstes Album besser machen, kann es sein, dass Xeno & Oaklander eine Band ist, die du in Zukunft noch öfter im Plattenladen riechen kannst.
PORT ZUMI

Anzeige

EWHO
Die Mensch-Maschine
monkey.
7
Der Witz an diesem Coveralbum sind die Technik und das Instrument. Kraftwerk haben den besten und modernsten Elektroniksound, so modern sogar, dass sie ihn sich selbst erfinden und die Technik dafür selber bauen mussten. Auch 2014 können sich die Ninja Tuner und Warper dieser Welt hier immer noch was abschauen. Das Erste Wiener Heimorgelorchester nimmt wiederum das billigste Massenware-Equipment von Firmen wie Bontempi und Casio und kreiert damit seit 1994 auch brauchbare Musik. Nun haben sie also tatsächlich Kraftwerks 78er-Meilenstein von Anfang bis Ende gecovert. Das Ding kann also nur gut sein, denn die Originale sind gut und EWHO bauen alle Töne ziemlich detailgenau nach. Das hat einfach Charme und stellt alle möglichen Konzepte von Technologie bis Modernität in Frage. Der Witz an diesem Album ist ja … ach, ich hab’s eh schon erwähnt. Für Nerds ein amüsantes Album und eine Grundlage für mindestens 7 Minuten Bargespräch im Rhiz. Für alle anderen: Gratulation, dass ihr es überhaupt bis zum Ende des Reviews geschafft habt.
JIMMY PAGER

LONE
Reality Testing
R&S Records
7
Mit dem ersten Track „First Born Seconds“ betrete ich eine helltürkis gefärbte Gummizelle, in der gigantische Seifenblasen mit dem Gesicht einer lächelnden Fee herumfliegen und mich vorsichtig durch den Raum jagen—als ob ich ein Schmetterling wäre, dem sie nachlaufen würden. Durch einen Tunnel aus Diskokugeln kommen wir in einem Candy-Wald an und treffen auf die Jungs von Boards of Canada, die traurig sind, weil Lone ihnen besser gefällt als ihre eigene Musik. Wir nehmen uns kurz in den Arm, werden alle scharf und gehen getrennte Wege. Ab der Mitte des Albums wird mir das Lone-Land für kurze Zeit zu viel. Ich fühle mich wie die Frau bei Spun , die von ihrem drogensüchtigen Freund ans Bett gefesselt wird und sich immer wieder den gleichen Teil eines Metal-Songs anhören muss. Paradoxerweise führt mich „Stuck“ in meditativer Ruhe langsam in die Realität zurück, die mit diesem Album auch genug getestet wurde.
NIGHT MARY

Anzeige

TERRA TENEBROSA
V.I.T.R.I.O.L. – Purging The Tunnels
Apocaplexy
8
Auch wenn Label und Waschzettel wiederholt das Gegenteil behaupten, mit zwei Stücken in 25 Minuten ist das Teil keine LP, sondern bestenfalls eine EP. Das nur mal als kleine, solidarische Verbraucherdurchsage an alle sammelwütigen Meddel-Leude. Andererseits liegt uns die „LP“ bzw. EP auch nur als CD vor, vielleicht handelt es sich also auch um eine besonders ausgebuffte Verwirrungsstrategie, die den maskierten Schweden durchaus zuzutrauen wäre. In welchem Format auch immer, die Veröffentlichung schlägt einen feinen Kreis: auf der A-Seite gibt es einen unveröffentlichten 17-Minüter aus der Session zum letzten Album The Purging —die B-Seite glänzt mit dem Track, mit dem alles anfing („Apokatastasis“).
ABSU LUTHER ZUFALL

DAMON ALBARN
Everyday Robots
Parlophone
9
Du und dein Smartphone, ihr seid Teil des Problems. Jedenfalls in den Augen Damon Albarns, der auf Everyday Robots etwas desillusioniert in sein erstes Soloalbum einsteigt. Quietschende Streicher, schleppend vorgetragenes Klavierspiel und dazu der Blur-Frontmann, der in seinem markanten Timbre erklärt, dass unser aller Verlorenheit in Smartphonedisplays längst zu einer Entkopplung vom Alltag geführt hat. Im Unrecht ist er damit ja nicht: Du erinnerst dich an das viral kursierende Foto neulich auf Facebook, das zwischen 20 wartenden Smartphonelesern einen Richtung Sonne blickenden Pendler zeigte. Toll, so funktioniert das Leben also. Dass es sol- che konstruierten Fotos schon vor 70 Jahren gab—nur damals eben mit Zeitungen statt Handys—sagt Albarn allerdings nicht. Apropos Fotos: Deine Instagrams geben auch—„Photographs (You’re Taking Now)“—Anlass zum Verdruss: Das Leben, es wird in Albarns Wahrnehmung beliebiger, je mehr man jeden Moment zu dokumentieren versucht. Wo aber bleibt da der liedgewordene Kommentar zum Thema Life-Tracking? Aber man muss ja nicht dauernd in die Textebene absteigen, musikalisch ist Everyday Robots schließlich herrlich versöhnlich: Das funky gespielte „Mr. Tembo“, das auch als gutgelaunter Jingle von C&A-Werbespots funktionieren könnte; das an beste Gorillaz- oder Múm-Momente erinnernde, leicht infantil glockenspielende „Parakeet“; das gemeinsam mit einem schwer näselnden Brian Eno aber ebenso großartig schwülstig und stoisch vorgetragene „Heavy Seas of Love“; das sind die Momente, in denen man nicht umhinkommt, Damon Albarn als einen der größten Zampanos im Musikbetrieb wahrzunehmen—im positivst möglichen Sinne.
THE GOOD, THE BAD AND THE REVIEW

MOPEDROCK!!
Virage
Konkord
8
Mopedrock!! schicken mich in die späten 70er-Jahre. Ich bin mit dreizehn Leuten auf einem Boot und trinke Wein. Irgendwelche Punks wollen mir die Politik erklären. Ein Mädchen möchte mir die Liebe erklären. Ein Typ namens Jaques bricht zusammen und wirft mit kitschigen Sätzen um sich. Ein Russe legt dem Liebe-Mädchen den BH an und will mir währenddessen etwas über Gesellschaft erzählen. Virage ist ein Album, das den Alltag extrahiert und so gut gelungen ist, dass ich meine schlechte Laune wohl an jemand anderem auslassen muss.
MESRINE

SHANDY MANDIES
s/t
Amen Records
7
Man muss sich schon fragen, was für ein magisches Power-Kraut man rauchen muss, um seinen eigenen Garage-Rock, nein: Northern Soul, nein: harmoniebeladenen Indie- bis Blues-Rock als „afrikanisch beeinflusst“ zu beschreiben. Nur weil es derzeit eine aufmerksamkeitsgarantierende Referenz ist oder Vampire Weekend mit ihrer Auslegung von Polyrhythmik-Appropriation zuletzt Mainstream-Lorbeeren ergatterten, macht ein sich an alten Gluecifer- und Hives-Platten entlanghangelndes Album noch keinen Afrikaner. Aber wer will schon spitzfindig sein, wenn die 47 Minuten auf dem selbst betitelten Shandy-Mandies-Album doch wie im Rausch verfliegen, die Orgel wohlig verspult und auch ansonsten vieles wie in den besten Soundtrack Of-Our-Lives-Momenten klingt. Power-Psycedelic-Rock aus Leipzig und Berlin, zu dessen viertem Durchlauf ich mir jetzt die Luft aus dem Bierglas lasse und zu legalisierende Heilkräuter anzünde.
ROCK MARLEY