FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Wenn der Hausverstand aussetzt

Sandler gehören in Wien zum Billa wie das 16-er Blech zur Eitrigen. Das sehen die Billa-Bosse anders und wollen mit lahmen Mitteln verhindern, dass sich Obdachlose vor ihren Filialen aufhalten.

Foto von spanaut

Weil wir noch nicht in einer idealen Welt des Friedens und der gerechten Ressourcenverteilung leben, gehören in Städten ab ungefähr 1.000 Einwohner sowohl Junkies als auch Obdachlose einfach dazu. Die Gründe dafür sind recht komplex und wir werden das Problem, dass es Menschen beschissen geht, nicht so schnell lösen können. Bis es so weit ist, tun wir einfach das Nächstbeste: Dem Junkie am Karlsplatz eine Zigarette geben, wenn er danach fragt oder einem Obdachlosen das Restgeld in Form von ein paar Münzen in die Hand zu drücken und hoffen, dass er es nicht in flüssige Nahrung investiert. Die unschlagbare Kombination aus Gerade-Geld-bei-der-Hand-haben-weil-man-damit-gezahlt-hat und schlechtes Gewissen darüber, dass man gerade Käse um 5 Euro gekauft hat, während andere Menschen davon den ganzen Tag leben müssen, macht Supermärkte zu idealen Orten für Bettler und Sandler. Dazu kommt unglaublich viel heiße Luft, die als Abfallprodukt der Kühlkette produziert wird und für Obdachlose eine Art Heizung darstellt.

Anzeige

Genau diese Funktion hatte auch der Lüftungsschacht beim

am Rilkeplatz in Wien, unweit vom Karlsplatz. Egal ob bei 40 Grad im Schatten oder im tiefsten Winter—immer ist in der kleinen Nische ein junger, obdachloser Alkie gesessen, der entweder Wein gesoffen oder Lustige Taschenbücher gelesen hat. Manchmal auch beides. Während er für uns einen täglichen Fixpunkt dargestellt hat, der uns daran erinnerte, dass es eine Welt abseits von dem ganzen schlussendlich belanglosen Blödsinn gibt, mit dem wir uns tagtäglich beschäftigen, war das für die Verantwortlichen des Supermarktes am Rilkeplatz etwas zu viel: Der Lüftungsschacht in einer kleinen Nische, der warme Luft auf den Gehsteig vor dem Billa bläst, ist seit kurzem mit einem Eisengitter versperrt.

Foto von VICE Media

Wo sich vorher frierende Obdachlose aufgewärmt haben, wird ihnen jetzt unmissverständlich von einem Gitter mitgeteilt, dass sie hier nicht mehr erwünscht sind. Den Lüftungsschacht gibt es natürlich noch, genau so wie sich immer noch frierende Menschen an der ausgeströmten Luft erwärmen können. Nur ist es halt nicht mehr ganz so „bequem“ und man muss dabei dezidiert auf dem Gehsteig sitzen.

Was sich die Verantwortlichen vom Billa bei diesem Schritt gedacht haben, wissen wir nicht genau. Wir haben den Leiter der betreffenden Filiale gefragt, und wurden mit einem schelmischen Lachen und einem „Da sag ich nix dazu“ an angebliche Zuständige weiterverwiesen, die sich auf telefonische Nachfrage natürlich auch nicht zuständig fühlen und gar nicht verstehen wollen, warum man sich nach so etwas Banalem erkundigt.

Der so exzessiv propagierte Hausverstand von Billa, das personifizierte schlechte Gewissen im Rollkragenpullover, sollte vielleicht besser nicht uns beim Einkaufen, sondern lieber denen, die sich solche Maßnahmen ausdenken, über die Schulter schauen.

Update

Nachdem sich zahlreiche Facebook-User und Billa-Kunden auf der Page des Unternehmens empört über das Gitter und die damit einhergehende Verdrängung von Obdachlosen gezeigt haben, hat Billa nun mit folgendem Statement reagiert:

"[…] Danke für dein Posting. Wir wollen festhalten, dass es sich bei dem Gitter um eine Sicherheitsmaßnahme handelt, die dem Schutz der Menschen dienen soll und es sich nicht um „Verdrängung“ obdachloser Menschen vor der Filiale handelt. Im konkreten Fall ist es so, dass das angesprochene Gitter vor dem Lüftungsausgang der Filiale aus Sicherheitsgründen angebracht werden musste, da das ursprüngliche Lüftungsgitter in der Vergangenheit beschädigt wurde. Damit es zu keinen Unfällen und Verletzungen kommt, haben wir das Gitter installiert. Natürlich sind wir uns der Situation obdachloser Menschen vor der Filiale bewusst, daher führen wir intensive Gespräche mit der Caritas darüber, wie wir bis zum Beginn des Winters eine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung erarbeiten können (so wie wir es auch bereits am Praterstern und Franz Josefs-Bahnhof machen). Die Caritas führt vor allem im Winter intensive Betreuungsaktionen durch, um obdachlose Menschen möglichst gut vor Kälte und Hunger zu schützen. Gesellschaftliches Engagement und soziale Verantwortung sind für uns sehr wichtig und wir arbeiten eng mit Non Profit Organisationen zusammen, um über diverse Initiativen einen wirksamen Beitrag dazu zu leisten („Aufrunder“-Aktion in Kooperation mit der Caritas, Lebensmittelspenden an karitative Organisationen im Wert von € 9 Millionen jährlich, Unterstützung der österreichischen Kinder-Krebs-Hilfe, etc.). Liebe Grüße aus Wiener Neudorf!"