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Sex

Wer hat Angst vor Vaginakunst?

Warum ist der 3D-Ausdruck einer Vagina obszön, während ein Fest mit Tausenden Penissen was für die ganze Familie ist?

Rokudenashiko und ihr Manko-chan-Kostüm (Manko-chan ist japanisch und bedeutet „Kleine Muschi"). Foto von Nobutaka Shirahama

Aus der Wir blicken in den Abgrund Ausgabe 2015

Ich traf die Künstlerin Megumi Igarashi, besser bekannt als Rokudenashiko, an einem klaren Frühlingstag kurz vor dem Ende der Kirschblütensaison vor einem überdimensionalen Großmarkt für Kunsthandwerk in Shibuya, Tokio. Sie trug eine große Schleife im Haar und ein mit Grafiken von flanierenden Katzen und Hunden bedrucktes rosa Kleid mit Kragen. Ich erwähne ihr Outfit nur, weil sie wie das genaue Gegenteil einer Person wirkte, die im vergangenen Jahr zweimal wegen Verbreitung obszönen Materials verhaftet wurde.

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In gewisser Weise geht es bei Igarashis Arbeit genau um diesen Widerspruch. Rokudenashiko (Japanisch für „Bastard") möchte das Verhältnis der japanischen Gesellschaft zur Vagina normalisieren, indem sie sie mithilfe unterschiedlicher künstlerischer Medien darstellt. Doch dabei stieß sie auf ziemlich abschreckende und zugleich absurde Hindernisse. Im vergangenen Juli wurde sie verhaftet, weil sie Entwürfe für 3D-Drucke ihrer Genitalien verbreitet hatte. Der Haftbefehl wurde aufgehoben, und sie kam fünf Tage später frei.

Anfang Dezember wurde sie allerdings erneut wegen der Verbreitung obszönen Materials festgenommen. Am Tag nach Weihnachten kam sie auf Kaution frei. Da sie sich als „nicht schuldig" bekannt hat, folgt nun ein langwieriges Gerichtsverfahren.

Vor ihrer Verhaftung hat Rokudenashiko vagina­zentrische Kunst in vielen Formen geschaffen. Während der Durchsuchung ihres Ateliers im letzten Jahr konfiszierte die Polizei zwar die meisten ihrer Werke, doch auf ihrer Website existieren noch Fotos. Zu sehen sind dort ein Vaginaleuchter, ein ferngesteuertes Auto in Vaginaform sowie Dutzende winziger Dioramen, die auf Vaginaabdrücken gestaltet wurden.

Rokudenashiko nennt diese Stücke deco-man. „Man" ist die Kurzform von „manko", dem japanischen Wort für „Muschi" oder „Fotze". Die auf den deco-man dargestellten Szenen reichen von kosmisch (Astronauten bei einer Mondlandung) über idyllisch (ein Sommerfest mit Frauen in Kimonos) bis politisch (die Geländedekontamination nach der Fukushima-Katastrophe).

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Wir hatten uns an dem Großmarkt für Kunsthandwerk verabredet, um das Material für eine deco-man zu besorgen, die eigens für unsere Doku von mir gestaltet werden sollte. Ich freute mich darauf, eine Plastik nach ihrer Anleitung zu kreieren. Rokudenashikos Werk ist durch die Umstände ihrer Verhaftung politisiert worden. Doch als ich sie durch die Modellbauabteilung des Mega-Bastelladens flitzen sah, überraschte mich ihre Unbeschwertheit.

Ein Golfdiorama mit einer Abformung von Rokudenashikos Vagina. Foto mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin

Rokudenashikos Interesse für Vaginakunst begann als Scherz. „Ich fand die Idee lustig, eine Abformung meiner Muschi als Diorama zu dekorieren", schrieb sie kurz vor ihrer Verhaftung in einem Blogeintrag. „Ich war sehr überrascht, dass die Leute sich so sehr über meine Werke aufregten oder sogar über das Wort ‚manko' aus meinem Mund."

Angesichts der vielen humorlosen Reaktionen auf ihren Scherz sah sie sich gezwungen, sich ernsthaft mit dem Thema zu befassen. Ihr Ziel ist es, die „manko" zu etwas „Normalem und Poppigem" zu machen. „Die Vagina wird wie etwas Verbotenes und Geheimes behandelt", erzählte sie mir, „deshalb möchte ich sie industrialisieren und zu einem Massenprodukt machen."

Da all ihre „realistischen" Vaginakunstwerke beschlagnahmt wurden, sind in Rokudenashikos Galerie aus dem gesamten Oeuvre nur noch die verschiedenen Manko-chan verblieben, eine bezaubernde, von ihr erschaffene, mobile Kunstfigur. Manko-chan, japanisch für „kleine Muschi", hat kleine vorwitzige Augen, eine wilde Mähne aus Schamlippen und einen ständig geöffneten Mund mit weißen Zähnen. Auf ihrer Stirn thront eine goldene Klitoris. Rokudenashiko hat sie in Mangas, als Plastik und als Plüschpuppe zum Leben erweckt. Außerdem hat sie ein Manko-chan-Ganzkörperkostüm kreiert.

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Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass ich etwas Verbotenes tat, ganz zu schweigen davon, dass man mich deswegen verhaften könnte.

Als wir unser Material in der Galerie ausbreiteten und eine Freundin von Roku­denashiko Gipsbinden hervorholte, dämmerte mir allmählich, dass ich für den Vaginaabdruck persönlich herhalten sollte. Auf Japanisch wurde darüber diskutiert, ob ich mir dazu die Schamhaare abrasieren müsse. Nachdem ich dank einer Dolmetscherin zu Wort kam, trat ich den Rückzug an, da ich für die Verbreitung meiner Genitalien über YouTube nicht cool genug bin. Rokudenashiko war zwar herzlich und verständnisvoll, wirkte allerdings ein wenig enttäuscht.

Letztes Jahr wurde ihr allmählich klar, dass das vergleichsweise bescheidene Format der Vaginaplastiken ihre großartige Vision stark beschränkte. Nachdem sie zunächst zwischen einer „Muschi-Tür" und einem „Muschi-Auto" hin- und herschwankte, entschied sie sich schließlich für ein „Muschi-Boot"—ein Kajak, dessen Luke von Vaginaformen umhüllt wurde. Ein Muschi-Boot ist natürlich teuer, also beschaffte sie sich das Geld online über Crowdfunding. Begeisterte Unterstützer spendeten, und im vergangenen Frühjahr konnte sie zu ihrer Jungfernfahrt aufbrechen. Als Dankeschön schickte sie ihren Kapitalgeberinnen unter anderem 3D-Druckdaten, die ermöglichen, zu Hause ein Modell ihrer Vagina auszudrucken. „Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass ich etwas Verbotenes tat, ganz zu schweigen davon, dass man mich deswegen verhaften könnte", sagte sie. Doch die Polizei bewertete das Versenden der Daten als illegale Verbreitung obszönen Materials. Obwohl nur 30 Personen die 3D-Druckdaten erhalten hatten, erschienen zehn Polizeibeamte in Rokudenashikos Wohnung und führten sie in Handschellen ab.

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Das Bild von Japan als einem zu übertriebener Zensur neigenden Staat erscheint ein wenig paradox. Schließlich genießt das Land den Ruf, krasse sexuelle Extreme zu zelebrieren. Außerdem hat Japan eine reiche und bedeutende Tradition erotischer Kunst. Am bekanntesten sind die eleganten und äußerst expliziten Shunga Farbholzschnitte der Edo-Zeit (1603–1868). Zahlreiche traditionelle Feste aus dieser Epoche mit ihren Darstellungen sexueller Aktivitäten sowie unzählige Symbole existieren in abgewandelter Form auch heute noch. Am bekanntesten ist sicher das „Fest des stählernen Phallus" in Kawasaki, in dessen Mittelpunkt drei gewaltige Penisplastiken stehen.

Doch das japanische Strafgesetzbuch—1907 während der Meiji-Zeit in Kraft getreten, als Japan sich der westlichen Welt öffnete und Handel sowie die Übernahme westlicher Kultur förderte—löschte die Freizügigkeit des Landes größtenteils aus. Die restriktiven Sittengesetze waren zum Teil deshalb ins Strafgesetzbuch aufgenommen worden, um deutlich zu machen, dass Japan mit der westlichen Welt und ihrem prüden, post-viktorianischen Sittenkodex konform ging.

Das Sittengesetz ist einerseits extrem streng, andererseits jedoch vollkommen nebulös: Obgleich es die „Verbreitung obszönen Materials" mit bis zu zwei Jahren Haft streng bestraft, enthält es keine klare Definition von Obszönität. Das festzulegen ist Sache der Gerichte. Diese haben in den vergangenen 50 Jahren geurteilt, dass die Darstellung von Genitalien in allen Medien illegal ist.

Rokudenashiko ist bei Weitem nicht die erste Künstlerin, die wegen Japans drakonischen Sittengesetzen verhaftet wurde. Auch ihre Überraschung darüber ist nicht einzigartig. So stellte die Rechtswissenschaftlerin Amanda Dobbins 2008 fest: „Zahlreiche Regisseure, Autoren und Künstler sind [wegen Verstoßes gegen das Sittengesetz] unabsichtlich vor dem japanischen Gericht gelandet und haben den Saal wieder verlassen, ohne verstanden zu haben, worin ihr Vergehen eigentlich bestand." Doch Rokudenashiko meint, dass ihre Erfahrung dennoch einzigartig sei. „Ich bin vermutlich die erste Frau in Japan, die verhaftet wurde, weil sie ihre eigene Vagina als Ausdrucksform eingesetzt hat", erklärte sie mir.

Laut ihrer Anwältin wird sich der Prozess wahrscheinlich noch hinziehen. Trotz des schleppenden Verfahrens und der Einschüchterungsmaßnahmen durch die Polizei will sie nicht nachgeben. „Ich bin eine [gesellschaftlich] angreifbare, alleinstehende Frau. Ich glaube, die Polizei ist davon ausgegangen, dass ich mich schnell entschuldigen würde", sagte sie sanft, eine Plüsch-Manko-chan auf ihrem Schoß. „Aber ich werde auf jeden Fall für meine Unschuld kämpfen."

Schaut euch die Doku „Wer hat Angst vor Vaginakunst?" auf Broadly.VICE.com an, unserer neuen Website für Frauen.