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Sex

Wie ich als Neo-Jungfrau über Liebe, Sex und Beziehungen denke

Enthaltsam zu leben, ist viel schwerer, wenn man schon mal mit einem anderen Menschen geschlafen hat—denn dann weiß man, wie gut sich das Ganze anfühlen kann.

Illustration: Dan Evans

Ich hatte eine richtig glückliche und idyllische Kindheit. Zwar waren meine Eltern beide Baptistenpastoren, aber sie agierten niemals wirklich angsteinflößend oder bevormundend, sondern eher sehr liebevoll. Ich war auch ein Einzelkind—meine Eltern versuchten zwar 13 Jahre lang, noch ein weiteres Kind zu bekommen, aber es folgten leider nur viele Fehlgeburten. Mein Leben verlief super, aber dann wurde ich neun Jahre alt und die Hänseleien begannen. Dabei ging es um das Übliche—also meine Eltern als Pastoren, meinen Glauben sowie Jesus. Ich trug ständig pastellrosa Sweatshirts, Bermuda-Shorts und große Buttons, auf denen „Jesus Loves You" stand. Das hat auch seinen Teil dazu beigetragen.

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Schließlich zogen wir in eine andere Stadt und ich ging von da an auf eine Mädchenschule. In meinem Kopf drehte sich alles nur noch um Jungs. Als ich dann 15 Jahre alt war, realisierte ich, dass Sex in meiner Familie als etwas sehr Wertvolles galt. Als meine Freundinnen dann so langsam sexuell aktiv wurden, hatte ich damit kein Problem, denn es war ja doch recht normal—ich hatte trotzdem keine Lust darauf. Während bei Partys also diverse Couches und Betten in Beschlag genommen wurden, hörte ich lieber Musik. Außer mir schien das jedoch niemand so wirklich in Ordnung zu finden.

Während meiner Teenagerjahre war ich dann als das Mädchen bekannt, das keinen Sex hatte. Meine Entscheidung zur Abstinenz wurde oftmals entweder als Grund genannt, warum Jungs keine Lust auf ein Date mit mir hatten, oder aber als Grund, warum sie mich unbedingt treffen wollten—wohl mit dem Ziel, der Erste in meiner Hose zu sein. Ich war jedoch kein Kind von Traurigkeit und jeder zweite meiner Sätze enthielt irgendeine sexuelle Anspielung.

Ich glaube, dass das die Leute neugierig gemacht hat, so nach dem Motto „Sie redet darüber, sie hat kein Problem damit, aber sie macht es nicht". Diese Tatsache verwirrte die Jungs und das konnte ich auch verstehen. Als ich dann 23 war, verstarb plötzlich mein Vater. Über einen Zeitraum von 18 Monaten hinweg verlor ich dann noch weitere fünf Menschen und fing an, meinen Glauben und meine Überzeugungen in Frage zu stellen. Das Ganze war wie aus einem schlechten Film: „Warum gibt es denn überhaupt so viel Leid? Mach's gut, Gott!"

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Danach folgte ein dreijähriges Atheismus-Gastspiel und obwohl ich während dieser Zeit nicht komplett mit Drogen oder Ähnlichem durchdrehte, verliebte ich mich doch in den jungen Mann, an den ich auch meine Jungfräulichkeit verlor. Das Ironische an der ganze Sache war allerdings der Umstand, dass er sogar dazu bereit war, sich in Geduld zu üben—ich konnte mich zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr auf meine Hochzeit freuen, weil mein Vater nicht mehr da war, um das Ganze mitzuerleben.

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Seitdem habe ich noch mit zwei anderen Männern geschlafen. Es ist jetzt also nicht so, dass ich mit allem Sex hatte, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Ich hatte vier Langzeitbeziehungen und in nicht allen davon war ich sexuell aktiv. Den Anfang machte der Typ, der mich auch entjungferte, und danach kam ein Christ, mit dem ich während der einjährigen Beziehung keinen Sex hatte. Im darauffolgenden Jahr war ich wieder mit einem anderen Mann zusammen, dem es doch ziemlich gegen den Strich ging, dass bei uns im Bett nichts lief—denn er wusste, dass ich keine Jungfrau mehr war.

So ging es ein Jahr lang, bis wir eines Abends in einem Pub saßen und er sich darüber beschwerte, dass ich rauchte. Ich wusste, dass er auch gleich wieder das Thema Sex auf den Tisch bringen würde. Deshalb meinte ich einfach nur: „Ach, dann machen wir es halt." Nach diesem Typen folgte schließlich eine fünf Jahre andauernde Beziehung, während der ich auch meinen Glauben wiederfand und demnach auch wieder sexuell abstinent wurde.

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Ich ließ meinem Partner daraufhin die Option, mich zu verlassen, wenn er das wollte, denn am Anfang der Beziehung war ich ja noch eine quasi komplett andere Person gewesen. Außerdem drückte er seine Liebe vor allem körperlich aus—genauer gesagt durch Sex. Ich wählte dafür eher den Weg der Worte und der emotionalen Verfügbarkeit.

Damit will ich jetzt nicht sagen, dass ich plötzlich keine Lust mehr auf körperliche Intimitäten hatte. Sex ist in diesem Sinn ja ein bisschen wie eine Diät: Wenn man auf Kuchen und Kekse verzichtet, kann man an nichts Anderes mehr denken. Ich fing deswegen an, Pornos zu schauen, um mir meinen sexuellen Kick zu holen, und wurde schnell süchtig. Eigentlich stand das ja im krassen Gegensatz zu meinen Überzeugungen, aber ich dachte mir einfach, dass da ja nur ich und mein Laptop involviert sind—niemand kommt dabei zu Schaden. Natürlich war das total heuchlerisch und ironischerweise berate ich heutzutage verheiratete Paare, bei denen Pornosucht die Ehe ruiniert.

Als ich dann 31 war, beendeten mein jetziger Ex-Freund und ich die Beziehung. Es gab quasi nichts mehr, was mich noch in London hielt, und deswegen zog ich nach Kalifornien, wurde Pastorin und hatte jetzt schon fünf Jahre lang keinen Sex mehr. Meine Mutter war diejenige, die den Begriff „Neo-Jungfrau" zum ersten Mal in die Runde warf. „‚Geläuterte Jungfrau' klingt zu sehr nach Kloster", meinte sie eines Nachmittags bei einer Tasse Tee. Diese Bezeichnung etablierte sich dann und ich wurde eine Frau, die sich wieder einen Lifestyle aneignete, bei dem für etwas gekämpft wird—nämlich Exklusivität und Bedeutung.

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„Du bist jetzt 35 und Single. Dieses ganze Abstinenz-Ding funktioniert nicht wirklich, oder?"

Obwohl Sex wirklich etwas Phänomenales ist, geht es dabei im Grunde aber immer noch darum, eine feste Verbindung aufzubauen. Damit sollen Menschen zusammengehalten werden und ich bin mir nicht sicher, ob man mit einer solchen Sache so leichtfertig umgehen sollte. Einige meiner Freunde sagen oftmals Sachen wie etwa „Ich hatte gerade Sex und bin glücklich darüber", aber letztendlich endet das Ganze dann doch häufig damit, dass irgendjemand in Tränen ausbricht, weil es einfach nicht funktioniert. Enthaltsam zu leben, ist viel schwerer, wenn man schon mal mit einem anderen Menschen geschlafen hat, denn dann weiß man, wie das Ganze aussieht und wie gut es sich anfühlen kann. Zwar ist die Versuchung schon groß, aber ich fühle mich dennoch befreiter als jemals zuvor—selbst dann, wenn es mal nicht so erscheinen mag.

Wenn ich jemanden date, dann muss ich von Anfang an offen und ehrlich sein. Bei Partys gelte ich oft als „Die Christin" und deswegen kommen die Leute entweder schnurstracks zu mir rüber, um irgendeine Diskussion anzufangen, oder sie meiden mich komplett, weil sie denken, dass ich sie sowieso nur bekehren will. Das war allerdings noch nie mein Ziel. Da ich Pastorin bin, wissen die meisten Männer bereits vor dem ersten Date, dass Sex bei mir nicht drin ist. Wenn dieses Thema jedoch selbst beim dritten Date noch nicht angesprochen wurde, haben wir ein Problem. Im Allgemeinen ist es für mich nicht schwer, auf Geschlechtsverkehr zu verzichten, aber wenn man sich ineinander verliebt, wird es doch schwieriger—und genau da braucht es dann auch klar festgelegte Grenzen.

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Folgende Aussage bekomme ich ziemlich oft zu hören: „Du bist jetzt 35 und Single. Dieses ganze Abstinenz-Ding funktioniert nicht wirklich, oder?" Die Sache ist jedoch die, dass es für mich auch nicht wirklich funktioniert hat, bevor ich wieder enthaltsam wurde. Ich frage mich, ob ich diese Entscheidung als Atheistin ebenfalls getroffen hätte. Durch meinen Verzicht auf Sex sehe ich die Dinge jedoch auf jeden Fall klarer: Will die Person mich kennenlernen, weil sie wirklich an mir interessiert ist, oder ist sie co-abhängig und will einfach nur in irgendeiner Beziehung sein?

Was ich an der ganzen Sache auch ziemlich schön finde: Viele meiner Freundinnen befinden sich im gleichen Boot. Irgendwie ist es auch ziemlich lustig, wenn wir darüber reden, wie ich mit einem Mann Händchen gehalten habe oder was unsere Gesprächsthemen waren. Dann fühlt es sich so an, als ob man wieder 15 wäre.

Carrie Lloyds Buch „Prude: Misconceptions of a Neo-Virgin" ist ab jetzt erhältlich.