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Drogenabhängige Schwule verabreden sich zu endlosen Sexorgien

Soziale Netzwerke haben nicht nur positive Effekte: In London verabreden sich Crystal-Meth-Abhängige in Netzwerken zu endlosen Slamming-Events. Auf den Sexpartys spritzt man sich Meth und schläft mit so vielen Typen wie möglich—mit teils tödlichen...
Max Daly
London, GB

Tim ist vor ein paar Jahren ausgestiegen. Vorher hat er "Slamming-Partys" organisiert.

Wochenlange, ungeschützte Sexorgien auf Crystal Meth sind der neueste Trend in Londons schwuler Partyszene.

Die Orgien—oder „Slamming Partys“ („slamming“ als Euphemismus für „injizieren“)—sind in einem kleinen, aber immer größer werdenden Teil von Londons Gay Community bekannt. Sie werden unauffällig über sozialen Netzwerken wie Grindr oder Bareback Real Time organisiert.

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Deswegen sind sie nicht unbedingt besonders exklusiv. So lange du schwul bist und kein Problem damit hast, dich mit einem potentiellen Träger von allen möglichen Geschlechtskrankheiten einzulassen, kannst du gerne vorbeikommen und dich der Party anschließen. Außerdem solltest du Spaß daran haben, mehrere Tage lang Viagra zu nehmen und dir Crystal Meth (und manchmal Mephedron) zu spritzen.

Die diversen Stelldicheins der Slamming-Szene folgen keiner bestimmten Struktur. Vielmehr finden sie über mehrere Tage hinweg an verschiedenen Orten statt, von verdunkelten Privatwohnungen und Saunen im Londoner West End bis hin zu schäbigen Appartements und Villen in den Vororten.

Aber einige Merkmale bleiben immer gleich: die Pornofilme, die durchgehend auf irgendwelchen riesigen Bildschirmen flimmern, die Synthie-Lines von beschissenem Euro-Trance und das Leuchten der iPhones von Besuchern, die unterwegs versuchen, noch mehr Drogen und Leute aufzugabeln.

„Dieser neue Trend des ungeschützten Sex und Drogenspritzens ist schon stark an der Grenze der gesellschaftlichen Akzeptanz“, sagt Tim, ein 39-jähriger Web Publisher, der die Slamming-Events zwei Jahre lang veranstaltete und besuchte. „Wenn du Crystal Meth spritzt, macht das dich unglaublich geil und du bist bereit, alles zu tun. Auf dem Zeug verwandeln sich Menschen in Tiere. Im Prinzip ist es ein schwanzlutschender und fickender Schneesturm, der dann wütet.“

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Ja, die Szene klingt ein bisschen wie das hedonistischere, kosmopolitischere Äquivalent zum „Dogging“—weniger Minis und Micras, dafür mehr Mosley Madness. Wenn man bedenkt, dass es bei den Partys an Kondomen mangelt und Spritzen fröhlich geteilt werden, sehen die Auswirkung so eines Blas-und-Fick-Schneesturms um einiges düsterer aus, als bei einem One-Night-Stand in der Provinz.

Drogenberater können ansteigende Zahlen schwuler Männer, die von Crystal Meth abhängig sind, bezeugen. Noch Besorgnis erregender ist der rasante Anstieg drogenabhängiger, schwuler Männer, die mit HIV infiziert sind.

Jemand, der sich Meth bei einer „Slamming-Party“ injiziert.

Laut David Stuart, dem Direktor von Antidote—Londons einziger, LGBT-spezifischer Drogen-und-Alkohol-Suchtberatungsstelle—stieg die Zahl der Nutzer von Crystal Meth und Mephedron von 20 Prozent im Jahr 2011 in nur einem Jahr auf 80 Prozent. Siebzig Prozent der Abhängigen teilen ihre Nadeln. „Das ist ein gigantischer und erschreckender Anstieg", sagt Stuart.

Was diese Slamming-Partys so besonders macht, ist das Spritzen selbst. Sich Meth (oder Tina, wie es in der Gay Community umgangssprachlich genannt wird) zu injizieren, sorgt für einen intensiveren, längeren und dementsprechend auch billigeren Trip, als es zu rauchen. Außerdem bringt es dabei noch deine Libido in Schwung und baut die Hemmungen ab. Es verwandelt das Ausgehen in Londons eh schon ziemlich sportlicher Schwulen-Sexparty-Szene in einen Extremsport, bei dem die Feierwütigen allem Anschein nach mit bis zu fünf verschiedenen Partnern pro Nacht Sex haben.

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„Das Einzige was ich auf Crystal wollte, war vom größten Schwanz gefickt zu werden", sagt mir Tim, dessen Zähne durch die Kombination seiner HIV-Erkrankung und dem jahrelangen Spritzen und Rauchen von Meth weggefault sind. „Jeder wusste, wie unterwürfig ich auf den Partys war.“

Einige Slamming-Partys sind extremer als andere, wobei in der härteren Variante sehr oft S&M, Auspeitschen und Bondage praktiziert wird. Falls zwei Leute etwas machen wollen, mit dem Andere nicht klar kommen—wie zum Beispiel Fisten oder Kotspiele—dann setzen sie die Party einfach irgendwo anders fort.

„Oft genug sind Leute tagelang wach ohne etwas zu essen oder zu trinken, abgesehen von Softdrinks und irgendwelchen Nahrungsergänzungsmitten“, erzählt mir Tim. „Das dümmste an der Sache ist, dass niemand zum Orgasmus kommt. Crystal Meth, genau wie Viagra, hält dich nämlich davon ab, zu kommen. Der Sex hört also einfach nicht auf. Das ist schmerzhaft. Die meisten Leute enden im Krankenhaus, weil sie keine Haut mehr am Schwanz haben oder wegen Panikattacken, die von zu viel Crystal verursacht wurden“, erzählt er weiter.

Tim war einer der Ersten, die Slamming- und Sexpartys  veranstaltet haben. Er sagt mir, dass sich die Szene in den letzten Jahren kontinuierlich vergrößert hat. Viele Männer, die dort mitmachen, sind trotz ihres extremen Drogenkonsums bereits erfahrene Profis.

„Es gibt die Typen, die für die ganzen Drogen bezahlen, um Andere auf die Partys zu locken. Auf der anderen Seite gibt es Kerle, die immer eingeladen werden, weil sie einen riesigen Schwanz haben und auch auf Crystal Meth, mit oder ohne Viagra, einen hochkriegen können“, sagt Tim, bevor er anfängt, von den Partys zu erzählen, die er früher immer gegeben hat. „Ein Mal kamen sogar Typen aus Manchester. Zwölf Männer gingen die ganze Zeit ein und aus bei mir. Ich erinnere mich noch an mein dunkles, verschwitztes Wohnzimmer, in dem ein halbes Dutzend Kerle miteinander Sex hatten. Alle Anderen waren damals noch damit beschäftigt, verkrampft im Internet nach Sexpartnern zu suchen oder sich darüber zu streiten, welche Pornoseiten im Internet gut sind."

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Die goldenen Regel bei solchen Partys sei es, seine Schlüssel und die Drogen zu verstecken und immer die Tür geschlossen zu halten, „ansonsten sind deine Drogen weg und deine Gäste flippen draußen auf der Straße aus.“

Ein Brocken Crystal Meth. Bild via

Victor, ein 23-jähriger Rumäne, der vor vier Jahren nach London gezogen ist, hat gerade erst seine Suchtbehandlung wegen Crystal Meth abgeschlossen, nachdem er in der Slamming-Party-Szene aktiv war. „Ich habe schon Kokain und Ecstasy genommen, bevor ich nach England gekommen bin. Dann habe ich einen Meth-Dealer getroffen, der mich vielen Leuten vorstellte. Ich habe danach zum ersten Mal Crystal Meth geraucht und GHB genommen. Der Sex war großartig“, erzählt Victor. „Tina habe ich mir zum ersten Mal auf einer Party in West London gespritzt. Irgendwie hat damals jeder gespritzt. Also habe ich es auch probiert und war sogar noch higher als davor schon. Es war einfach unglaublich. So ein High wollte ich wieder. Ich hatte keinerlei Hemmungen, habe neue Sachen ausprobiert und war auch auf Sexpartys. Es war einfach verrückt.“

Sowohl Tim als auch Victor wissen, wie tödlich die Slamming-Szene sein kann. Beide haben Freunde, die im Krankenhaus gelandet oder gestorben sind. Andere haben sich umgebracht. Entweder wegen den psychologischen Nebeneffekten von Meth oder weil sie sich mit HIV oder Hepatitis C angesteckt hatten.

David Stuart hat mir erzählt, dass rund 75 Prozent der 800 Männer, die von Antidote versorgt werden, HIV-positiv sind. Sechzig Prozent davon schaffen es wegen ihrer Drogensucht nicht, sich deswegen behandeln zu lassen.  „Viele Faktoren begünstigen die Abhängigkeit. Zum Einen die Einfachheit, mit der man an Drogen selber kommen kann und zum Anderen das Internet, durch das die Leute Drogenumschlagplätze und Sexpartys finden, auf denen sie sich ausleben können“, erzählt er mir.

Stuart sagt, die Motive, die dahinter stehen, seien meist komplizierter als der reine Wunsch nach Hedonismus. „Viele schwule Männer haben das Gefühl, ihre Sexualität sei „krank-“ oder sündhaft—weil ihre Eltern sie missbilligen. Die gesamte Kultur der Online-Bekanntschaften verhindert einen normalen Aufbau von Intimität, die hergestellt sein sollte, bevor es zum Sex kommt. Drogen helfen, dieses Problem zu überwinden und eine hemmungslose Hingabe zu erschaffen, die diese Leute sonst nur selten fühlen.“

Yusef Azad ist der Direktor für Strategien des National AIDS Trust. Die Organisation hat einen Brief an alle Londoner Gremien geschickt. Darin beklagen sie den Mangel von Sozialeinrichtungen, die sich speziell um den „kürzlichen und raschen Anstieg von Crystal Meth im Zusammenhang mit hochriskantem Sex“ kümmern.

Azad erklärt mir die Umstände, die zu diesem Brief führten: „Was sich verändert, sind die Drogen und in welchem Kontext sie genutzt werden. Die Drogennutzung verlagert sich von den Clubs hin zu privaten Sexpartys. Apps wie Grindr erleichtern den Aufbau von Netzwerken für ausgedehnte Sexorgien unter Drogeneinfluss. Alles, was wir von den Clubgängern und schwulen Männern hören, ist, das sich das Ganze verbreitet. Vor drei Jahren war das noch kein Thema.“

Sowohl Tim als auch Victor können seit ihren Erfahrungen bei den Slamming-Partys keinen normalen Sex ohne Drogen mehr haben. „Es ist langweilig“, sagt Victor. „Ohne die Drogen werde ich nicht geil. Was mich betrifft, kann ich die Drogen nicht aufgeben, ohne Sex aufzugeben. Das Alles war eine riesige Verschwendung und hat mein Leben ruiniert.“