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„Ich werde diesen Kampf bis zu meinem Tod weiter führen.“

Yüksel Yilmaz warf der ÖBB Rassismus vor und wurde später entlassen. Laut ÖBB ist er kein Opfer, sondern selbst Täter. Heute ist er wohnungslos und führt einen Kampf gegen Windmühlen.

Am 27. Mai 2013 wurde der Zugbegleiter Yüksel Yilmaz von der ÖBB gekündigt. Am 10. Juli 2013 wurde die Kündigung mit sofortiger Wirkung in eine Entlassung umgewandelt. Heute ist Yüksel Yilmaz obdachlos und lebt im Keller eines Freundes. Soweit die Fakten. Der Rest seiner Geschichte ist eine große und ziemlich beunruhigende Blackbox aus Anschuldigungen gegen seine Ex-Kollegen bei der ÖBB, die auf Facebook inzwischen mehr als 560 Mal geteilt wurden.

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Seinen Angaben zufolge hatte Yüksel Yilmaz seit Beginn seiner Dienstzeit rassistische Vorfälle und Äußerungen von anderen Zugbegleitern dokumentiert. Die Vorwürfe klingen selbst dann noch hart, wenn man in Sachen Austro-Alltagsrassismus einiges gewöhnt ist. Angeblich sollen im Aufenthaltsraum Aussagen gefallen sein wie „Die Ausländer werden wir samt Wien in die Luft jagen" und „Ich werd einen Turm bei der Grenze bauen und jeden mit dem Gewehr niederschießen, der rüber kommt." 14 bis 15 seiner Mitarbeiter sollen laut Yilmaz solche Aussagen getätigt haben. Begrüßungen mit „Servus Tschusch" seien dabei auch ihm gegenüber vorgekommen.

„Als ich das gegenüber meinem Teamleiter erwähnt habe, meinte er, ich soll mein Namensschild halt auf einen österreichischen Namen ändern", erzählt er. Yilmaz ist in Österreich geboren und türkischer Abstammung. „Aber die persönlichen Beschimpfungen waren nicht so schlimm. Sicher hat es wehgetan, aber viel schlimmer war es, mitzubekommen, wie hier systematisch vorgegangen wird. Nicht die 14 oder 15 Kollegen, die direkt geschimpft haben, waren das echte Problem-sondern diejenigen, die im Aufenthaltsraum daneben gesessen sind und es toleriert haben. Das hat mich sehr traurig gemacht."

Auch Fahrgästen gegenüber hätte es Unterschiede in der Behandlung gegeben, meint Yilmaz („Der Umgangston mit Migranten und vor allem Afrikanern war anders als der mit Inländern"), aber der wirkliche, systematische Rassismus passierte hinter vorgehaltener Hand und äußerte sich in der internen Nomenklatur der einzelnen Züge: „Der Zug nach Bratislava wurde Huren-Zug genannt-der Zug nach Wiener Neustadt Tschuschen-Zug und der nach Bukarest Zigeuner-Zug".

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Yilmaz dokumentierte auch ausländerfeindliche und nazistische Schmierereien, die er angeblich in Aufenthaltsräumen, Führerständen und Steuerwägen der ÖBB vorgefunden hatte-an Orten, zu denen man „nur mit einem 77er- oder 40er-Schlüssel der ÖBB Zutritt hat", so Yilmaz. Zu sehen sind darauf Sprüche wie: „Arbeit macht frei und Koksen macht high", „Stoppt Tierversuche: Nehmt Ausländer" oder: „Besser Nazi als Tschusch!". Eines der Fotos zeigt auch ein verwackeltes Hakenkreuz. Wo diese aufgenommen wurden, lässt sich allerdings schwer bis gar nicht beweisen.

2011 entschloss er sich zum ersten Mal, dagegen vorzugehen und seine Vorgesetzten mit den Vorfällen und Fotos zu konfrontieren. „Zuerst habe ich mich an den Team-Koordinator gewendet, dann an den Teamleiter für Wien, Niederösterreich und das Burgenland. Ich habe ihm meine Fotos übergeben, aber er hat sie mir nur zurückgeschmissen und gemeint: ‚Na und, was soll ich jetzt machen?' Monate sind vergangen und nichts ist passiert. Zuletzt habe ich unseren Vorstand Birgit Wagner angerufen und um einen Termin gebeten. Das war Anfang April 2013. Als ich Mitte April nachfragte, hieß es, sie hätte nicht auf mich vergessen. Im Juni kam dann die Kündigung. Statt den Dingen nachzugehen, haben sie es richtiger gefunden, mich loszuwerden."

Seither findet Yilmaz keinen Job mehr, hat mehr als 100 Absagen bekommen. „Wegen der fristlosen Entlassung will mich niemand einstellen", ist er überzeugt. Inzwischen klagt Yilmaz gegen die ÖBB, auch wenn die Verhandlung nur schleppend vorangeht und ihn seine letzten Reserven kostet. „Die ÖBB hat mir bei der Gerichtsverhandlung 17.000 oder 18.000 Euro als Vergleich angeboten. Auch wenn sie mir das Fünffache anbieten, werde ich den Betrag nicht annehmen. Ihr Ziel ist doch nur Verzögerung." Um das Geld geht es aber ohnehin längst nicht mehr.

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Der Kampf scheint sich für Yilmaz zum Selbstzweck entwickelt zu haben. Er will Gerechtigkeit, sagt er, und bestehende Missstände zumindest für andere beseitigen. „Es ist definitiv Rassismus bei der ÖBB vorhanden. Ich will, dass es den anderen Mitarbeitern gut geht." Auch vermeintlich sexistisches Verhalten gegenüber weiblichen ÖBB-Mitarbeitern prangert er an; angeblich hätten Frauen aufgrund der Poster und aufgehängten Kalender bereits den Aufenthaltsraum gemieden, sich bei den Kollegen nicht mehr wohlgefühlt.

Für manche klingt das nach einem Querulanten-für andere ist Yüksel Yilmaz ein Idealist. Dass sein Idealismus dabei ziemlich weit geht, steht außer Frage. Bierflaschen in den Kühlschränken der Aufenthaltsräume und Reisebegleiter, die „nicht ordentlich angezogen sind", standen ebenso auf Yüksel Yilmaz' Agenda wie nicht abspielbare DVDs im Kinderabteil oder eine Rampe für Mobilitätseingeschränkte, die seiner Meinung nach nur zu Repräsentationszwecken installiert wurden („Wir konnten sie gar nicht bedienen und hatten nicht mal einen keinen Schlüssel dafür").

Yüksel Yilmaz hat mit seinen Anschuldigungen in der Zwischenzeit an alle Stellen und Behörden gewendet, die es in Österreich gibt, wie er mit leichtem Stolz erzählt. Dass die wenigsten davon überhaupt geantwortet haben-und noch weniger positiv-scheint fast zweitrangig. Unter den Adressaten finden sich neben dem ÖBB-Chef auch der Bundeskanzler sowie der Bundespräsident (dem laut Antwort von Brigitte Binder „in dieser Angelegenheit [leider] kein Einfluss zusteht").

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Seine Hartnäckigkeit blieb trotzdem nicht ganz ohne Folgen: Am 30. August 2013 wurde von den „Abgeordneten Alev Korun, Gabriela Moser und Freundinnen und Freunden an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie" eine parlamentarische Anfrage eingebracht. Diese wurde allerdings bereits am 5. September des gleichen Jahres von Doris Bures, mittlerweile Nationalratspräsidentin, eher oberflächlich abgetan, indem sie auf die Zuständigkeit „der entsprechenden ÖBB-Organe" verwies und fast ein wenig zynisch antwortete: „Informationen dazu und Ansprechpersonen sind auf der Website der ÖBB abrufbar."

Yüksel Yilmaz bleibt hart: „Ich werde auch einen Antrag bei der UNO stellen." Dass von seinem Fall bisher eher wenig berichtet wird-abgesehen von einem Artikel im Kurier und einem zweiteiligen Beitrag auf M-Media-, erklärt sich Yüksel Yilmaz über die Abhängigkeit der Medien von der ÖBB als Anzeigenkunden.

„Am liebsten wäre ihnen, wenn Menschen wie ich Selbstmord begehen", ist er sich sicher. „Werde ich aber nicht. Wie eine Ameise, die einen Waldbrand auslöscht, werde ich den Weg bis zum Ende gehen." Als bräuchte diese Aussage noch etwas mehr Deutlichkeit, fügte er hinzu: „Inzwischen bin ich auch bereit, einen Hungerstreik durchzuführen. Ich werde diesen Kampf bis zu meinem Tod weiter führen."

Für die ÖBB stellt sich die Sache völlig anders dar. Pressesprecher Michael Braun erklärt uns gegenüber: „Wir möchten festhalten, dass die ÖBB jede Form von Diskriminierung ablehnen und auch Verstöße in diesem Bereich mit aller Konsequenz geahndet werden. Die Vorwürfe von Herrn Yilmaz haben wir von Beginn an sehr ernst genommen und umfassende Überprüfungen eingeleitet. Auch die Gleichstellungsbeauftragte des Konzerns wurde beigezogen. Es wurden noch im Juli Sonderbegehungen der von Herrn Yilmaz angesprochenen Räume veranlasst. Unsere intensiven Überprüfungen haben bis dato keine Bestätigung der damit aus unserer Sicht haltlosen Vorwürfe ergeben."

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In einem 16-seitigen Schriftsatz erklärt das Unternehmen weiter, Yilmaz wäre ein „schwieriger" Mensch und habe „sich gegenüber Mitbediensteten und Vorgesetzten zumeist unleidlich, uneinsichtig und unkooperativ verhalten."

Auch Pressesprecher Braun betont: „Die fristlose Entlassung von Herrn Yilmaz hat nichts mit seinen Kritikpunkten zu tun, sondern arbeitsrechtliche Gründe, die wir aus Datenschutzgründen nicht näher erläutern können. Derzeit ist ein arbeitsgerichtliches Verfahren beim Arbeits- und Sozialgericht Wien anhängig. Sollten sich nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens ableitbare Maßnahmen ergeben, werden die ÖBB diese natürlich rechtskonform umsetzen."

Nicht die ÖBB oder mehrere seiner früheren Mitarbeiter, sondern Yilmaz selbst habe sich abfällig und diskriminierend verhalten-etwa gegenüber einer türkischen Mitarbeiterin, der er nahegelegt haben soll, sich einen Job zu suchen, neben dem ihr genügend Zeit zum Kochen und für den Haushalt bliebe, wie sich das vermeintlich gehöre. „Er ist der Täter und nicht das Opfer, als das er sich darzustellen versucht", heißt es im gerichtlichen Schreiben seitens der ÖBB. Darüber hinaus wird Yüksel Yilmaz hier ein „verdichtetes Rechtsempfinden" und ein „Wahn" unterstellt, den er mit Fotos zu untermauern versucht, die in Wahrheit nur in anderen öffentlichen Räumlichkeiten und nicht in Mitarbeiter-Toiletten oder abgesperrten ÖBB-Zugführerabteilen geschossen worden sein könnten.

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„Es wurde jedem einzelnen Foto nachgegangen und sofortige Überprüfungen in den von Herrn Yilmaz genannten Orten durchgeführt", sagt Michael Braun, Pressesprecher der ÖBB. „In keinem einzigen Fall wurden solche Schmierereien gefunden."

Inzwischen liegen auch Vorwürfe gegen Yüksel Yilmaz vor, er hätte fünf Monate vor Kündigung gegenüber Kollegen gesagt „Frauen sind zum Schlagen, Ficken und Putzen da". Yilmaz selbst begegnet den Vorwürfen emotionslos-und will diese mit einem Auszug seiner Personalakte von Juni 2013 widerlegen. „Ich habe während meiner gesamten Dienstzeit keine Belehrung und keine Ermahnung erhalten", sagt er und zeigt auf die Kopie der Akte. „Hier steht es: Keine Vormerkung. Ich bin nicht vom Dienst abgezogen worden, man hat mich sechs Jahre ohne Probleme arbeiten lassen. Das wäre nicht der Fall, wenn an den Vorwürfen, die später kamen, etwas dran wäre." Sein ehemaliger Team-Leiter sowie Team-Koordinator wollten aufgrund des laufenden Verfahrens keine Stellungnahme dazu abgeben.

Über den Vorwurf des „schwierigen Charakters" schüttelt er nur den Kopf. „Woher wissen sie das? Haben die ein Charakter-Messgerät?" Yilmaz wirkt besonnen, drückt sich gewählt aus und argumentiert stets mithilfe seiner Unterlagen, die zu seinem Leben geworden sind. Alles, was er sagt, lässt sich mit einem Gedächtnisprotokoll, einer Anrufliste oder archivierten E-Mails belegen-auch wenn vieles davon eher wenig beweist. Trotzdem verlangt er keinen Vertrauensvorschuss, sondern will seine Daten und Zahlen die Überzeugungsarbeit machen lassen.

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Aber je eingehender ich mich mit den Unterlagen und Aussagen von Yüksel Yilmaz beschäftigte, umso mehr davon verschwand in der Blackbox zwischen seinen Anschuldigungen und der Entlassung durch die ÖBB. Vieles lässt sich nicht eindeutig nachweisen-wie etwa, ob die Nazi-Schmierereien nun auf einem öffentlich zugänglichen oder tatsächlich auf einem abgesperrten WC für Zugbegleiter gemacht wurden. Selbst aus seinen eigenen Aufzeichnungen geht hervor, dass er Gesprächspartner auf Aussagen festzunageln versuchte und beispielsweise sofort hinterfragte, wenn diese sich für Antworten zu lange Zeit ließen.

Allerdings lässt sich auch dieses obsessive Verhalten-wie so vieles andere an dem Fall-auf mehrere Arten erklären. Für uns als vermeintlich neutrale Betrachter ist es schwierig, sich die Situation eines Menschen vorzustellen, dessen Leben von genau einem absorbierenden Thema und der damit verbundenen Gerichtsverhandlung dominiert wird. „Die ÖBB verzögert die Verhandlung immer wieder. Bisher wurde nur ein Zeuge aufgerufen. Die ganze Sache ist absurd. Obwohl ich hier der Kläger bin, muss ich mich verteidigen!", sagt Yüksel Yilmaz.

Anhand der vorliegenden Fakten lassen sich die Zweifel an beiden Versionen der Geschichte nicht restlos ausmerzen. Die Fragen, die ich mir bis zum Schluss nicht eindeutig beantworten kann, lauten immer noch: Warum sollte ein Mann, der in seinem Job nie unter 1.800 Euro netto im Monat mit Volkschulabschluss verdient hatte, grundlos alles aufs Spiel setzen? Konnte das alles wirklich allein mit dem verschwörerischen Weltbild eines schwierigen Menschen erklärt werden, das genau wie alle anderen Verschwörungstheorien vor allem einen sinnstiftenden Zweck hatte? Oder steht hier wirklich systemischer Rassismus vor Gericht, der nicht nur toleriert, sondern letztlich auch vertuscht und dessen Anprangerung bestraft wurde? Bei all dem bleibt natürlich der eigentliche Skandal am meisten auf der Strecke-nämlich, dass es den grundlegenden Alltagsrassismus und die auf den Fotos abgebildeten Nazi-Schmierereien tatsächlich gibt, ganz egal, auf welchen Wänden sie angebracht wurden.

Die Verhandlung wird am morgigen Freitag, dem 26. September 2014, fortgesetzt. Dann wird möglicherweise auch geklärt, welchen Kampf Yüksel Yilmaz führt-einen gegen die ÖBB und die Mühlen der Justiz oder gegen Windmühlen.

Folgt Markus auf Twitter: @wurstzombie