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Popkultur

Renate Künast fragte mich, ob ich ihre Schlüpfer sehen will

Bei der „Ethical Fashion Show“ tut die Fashion Week etwas gegen ihr schlechtes Gewissen. Da darf Grünen-Vorsitzende Renate Künast natürlich nicht fehlen. Um ein Haar hätte sie mir ihren Bio-Schlüpfer unter die Nase gehalten.

„Ethical Fashion Show“ heißt eine Messe im Rahmen der Fashion Week, bei der nachhaltige Modekonzepte vorgestellt werden. Man muss sich den Namen mal auf der Zunge zergehen lassen. Wenn man eine eigene Messe für ethisch vertretbare Mode veranstaltet, heißt das im Umkehrschluss, dass die übrige Modebranche mit Ethik nichts am Hut hat? Na ja, eine Wohltätigkeitsveranstaltung ist der ganze Zirkus auf jeden Fall nicht—angefangen bei Magermodels bis zu üblen Produktionsbedingungen in der Dritten Welt. Bei 99,9% der Designer geht es eben nicht ums Gutsein, sondern ums Geilsein. Will man sich allerdings mal kurz an seiner Geilheit ekeln, muss man nur an sich herunterschauen und sich überlegen, wie viele Kinderhände die eigenen Sachen zwangsweise angefasst haben. Sicher ziemlich viele Hände.

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So ist es natürlich völlig in Ordnung, dass die Fashion Week ihrem schlechten Gewissen einen Ort im Berliner E-Werk schafft.

Und um zu unterstreichen, dass man es auch wirklich ernst meint, haben die Organisatoren Grünen-Politikerin Renate Künast zur Eröffnung eingeladen. Die Ex-Ministerin für Verbraucherschutz setzt sich seit Jahren für nachhaltige Mode ein, und zwar mit ihrem ganzen Körper.

Das sieht man in folgendem YouTube-Video, wo sie mit einem schwäbischen Schrot&Korn-Redakteur in ihrem Lieblingsladen in Prenzlauer Berg shoppen geht. Ab 1:15 kribbelte es mich ziemlich, schwer zu sagen, ob aus Fremdscham oder weil ich unter meinem Shirt aus Bangladesch Phantom-Kinderhände auf der Haut spürte:

Da steht also Renate Künast um kurz nach zehn Uhr morgens in der Halle und erzählt etwas darüber, dass man seine Sachen nicht nur dreimal tragen sollte. Dass es ja jetzt die Begriffe „Fast Fashion“ und „Slow Fashion“ gebe. Und dass sie natürlich auf der langsamen Seite stehe. Sie zeigt stolz auf ihr türkises Kostüm: „Acht Jahre alt!“ Dann setzt sich ein Tross aus Künast, Organisatoren und Journalisten in Bewegung. Wir machen eine Menge Fotos und könnten nun ein Tumblr namens „Renate Künast looking at ethical things“ üppig bestücken. Zwischen Garantiesocken und upcycelten Baumwollhemden spreche ich sie an:

Frau Künast, wieviel Prozent der Sachen, die Sie anhaben, sind eigentlich bio?
Frau Künast: Nicht alles, 20 bis 30 Prozent vielleicht. Ich habe immer eine breite Mischung. Inzwischen gibt es ja auch weiße Blusen in bio, meine hier ist es nicht. Es gibt so ganz formvollendet noch nicht alles.

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Wie sieht es mit ihren Schuhen aus?
Nein, die nicht. Soll ich auch meine Unterwäsche zeigen? Das geht zu weit!

Ist hier auch für Ihre meistens bunt gekleidete Parteifreundin Claudia Roth etwas dabei?
Claudia mag’s ja blumig. Ich habe hier allerdings noch nicht viele bunte Sachen voller Blumen gesehen.

Gibt es unter den Grünen-Politikerinnen eigentlich eine Art Battle, wer die coolsten nachhaltigen Klamotten hat? 
Das gibt es noch nicht. Könnte man aber mal einleiten, aber dann bitte nicht nur unter den Mädels. Da müssen die Jungs auch mitmachen.

In einem großartigen Politikerinnen-Stylecheck auf brigitte.de habe ich gelesen, dass Renate Künast der „Gegenentwurf zu ihrer Parteifreundin Claudia Roth“ sei. „Bloß nicht zu dick auftragen, so lautet Renate Künasts Devise.“ Sie sei ein „Mode-Verbraucher“ und kein „Mode-Fan“. Deshalb ist diese Frau hier einfach richtig. Es geht hier nicht um Schönheit, sondern um den guten Zweck.

Die „Ethical Fashion Show“ ist so viel Ethik und so wenig Fashion, dass die Klientel eher nach Energiemesse als nach Fashion Week aussieht. Deshalb jubeln wir innerlich, als wir mit Marcus das einzige Style-Opfer weit und breit treffen.

Er ist Stylist und erzählt uns, welche Freunde von ihm bei welchen Shows vertreten sind, für wen er schon Stylings gemacht hat und dass er auch schonmal in Mailand war.

Eine Firma bietet Jeans-Leasing an, eine andere lässt T-Shirts von einem Orang Utan designen, noch eine andere lässt in Polen und Serbien alte deutsche Feuerwehrschläuche zu Taschen und Portemonnaies nähen.

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Jetzt habe ich die großen Zusammenhänge völlig aus den Augen verloren und schon wieder ein schlechtes Gewissen. Ich setze mich zu Heike Scheuer vom Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft an den Tisch, die das GOTS-Siegel vertritt. GOTS steht für Global Organic Textile Standard. Das Zertifikat verbietet Kinderarbeit, Misshandlung oder Diskriminierung und Zwangsarbeit, fordert gerechte Löhne, Arbeitsschutz und Vereinigungsfreiheit. GOTS-Kleidung muss aus 90 % Naturfasern bestehen, davon mindestens 70 % aus biologischem Anbau. Schwermetalle, fiese Farbstoffe etc. sind natürlich tabu, Energie- und Wasserverbrauch werden kontrolliert.

Frau Scheuer, über Ihr Siegel gibt es ja noch nicht mal einen englischen Wikipedia-Artikel, nur einen deutschen. Das soll international sein?
Frau Scheuer: Dann machen wir wohl eine bessere PR als unsere internationalen Kollegen.

Wie verbreitet ist Kleidung mit dem Siegel denn schon?
Wir haben keine Marktzahlen, wie viele Textilien vom weltweiten Verkauf zertifiziert sind. Wir setzen uns sicherlich Ziele, aber die kommunizieren wir nicht. In den letzten paar Jahren hat das Thema aber einen unglaublichen Boom erlebt. Manchmal gibt es bei Aldi und C&A GOTS-zertifizierte Kleidung.

Wie sieht es eigentlich mit Greenwashing aus? Gibt es viele „Bio“-Textilien, die gar nicht bio sind?
Ja, ein „Bio-T-Shirt“ muss überhaupt keine Bio-Materialien enthalten. Viele große Hersteller wie H&M und C&A machen ihre eigenen Siegel, soviel sie eben erfüllen können. Das wollen wir nicht, weil es die Verbraucher verwirrt.

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Ist es für Ihre Lobby das höchste der Gefühle, wenn Renate Künast vorbeischaut? Oder haben Sie auch bei den Regierungsparteien Unterstützung?
Ja, Politiker profilieren sich natürlich gerne damit. Gerade die CDU ist da gerade ziemlich am Ball. Auf einer Veranstaltung im Umweltministerium kam ich vor lauter Fragen hochrangiger Politiker an unserem Stand nicht mal zur Toilette. Leider gibt es bisher keine bundestagstaugliche Mode mit unserem Zertifikat. Aber zur nächsten Fashion Week werden zwei Labels Businesskleidung vorstellen. Ich darf aber noch nicht verraten, wer.

Während ich endlich mal tiefer in die Materie einsteige, verliere ich Renate völlig aus den Augen. Wir wollten eigentlich noch ein Foto machen, wie sie in ihren Dienstwagen steigt, wie der Auspuff unethische Abgase auf den Berliner Asphalt bläst und sie zum nächsten Termin beim GREENshowroom bringt. Aber Renate war einfach zu schnell für uns.

Fotos: Aljoscha Redenius