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Ein offener Brief einer Sozialdemokratin an Hans Niessl

„Sie, Herr Niessl, spucken auf die Flüchtlinge, die von der FPÖ verbal attackiert und kriminalisiert werden. Warum soll ich die Sozialdemokratie verteidigen, wenn Sie selbst nicht dazu fähig sind, ihre Grundsätze hochzuhalten?"

Foto: library_mistress | flickr | cc by 2.0

Viele in der SPÖ sahen es schon kommen. Und das seit Jahren. Dennoch haben wir alle uns immer wieder darüber hinweggetröstet, dass es ja immer noch bestimmte Dinge in der SPÖ gibt, an denen es sich festzuklammern lohnt. Das "So schlimm wird's schon nicht werden"-Mantra gehörte irgendwie ja schon so a bissl dazu.

Vor etwa einem Jahr hätte ich mir nicht gedacht, dass die SPÖ jemals auch nur daran DENKEN würde, für ein Bettelverbot zu stimmen. Und bis vor wenigen Tagen hatte ich

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noch gehofft, dass Niessl nicht dieser machtgesteuerten und jeglichem sozialdemokratischen Grundprinzip widersprechenden Idee erliegen würde, mit der FPÖ eine Koalition einzugehen. Nun ist es Gewissheit.

An Niessl und alle SozialdemokratInnen, die das völlig in Ordnung finden: Seid ihr wirklich schon so bar aller sozialdemokratischer Grundsätze, dass es für euch kein Problem ist, mit einer Partei zu koalieren, die als Auffangbecken ehemaliger Nationalsozialisten gegründet wurde? Vielleicht ist es euch entfallen: Das waren die, von denen sich die FPÖ bis heute nicht glaubhaft distanziert und mit deren Ideologie nach wie vor nicht wenige FPÖ-FunktionärInnen liebäugeln. Die einschlägigen Verurteilungen kennt man ja. Einer FPÖ, die vor einer AsylwerberInnenunterkunft demonstriert und damit ankommenden, kriegstraumatisierten Flüchtlingen signalisiert, dass sie sich zum Teufel scheren sollen.

Ihr fühlt euch offenbar nichts und niemandem gegenüber mehr verpflichtet. Vielleicht am ehesten noch den FPÖ-WählerInnen. Den latenten RassistInnen, Neidhammeln, XenophobikerInnen und "WutbürgerInnen", die glauben, dass es OK ist, auf andere verbal und physisch hinzutreten. Da wird noch beteuert, man müsse die Ängste dieser Menschen ernst nehmen.

Ich und viele, die nicht blind jedem Populisten hinterherlaufen, der für all das Schlechte AsylwerberInnen, MigrantInnen, BettlerInnen, Linke und "Gutmenschen" verantwortlich macht, haben auch Angst. Angst davor, dass diese FPÖ nun dank Ihnen, Herr Niessl und all den anderen "VersteherInnen", so viel Fahrt aufnimmt, dass sie irgendwann nicht mehr zu bremsen ist.

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Wünschen Sie sich ungarische Zustände? Wo Roma ermordet werden und für den Erhalt der Sozialhilfe Zwangsarbeit leisten müssen, rechtsextreme Garden marschieren und politisch Andersdenkende um ihre Existenz—und teilweise um ihr Leben—fürchten müssen und das schwache soziale Netz nun völlig zusammenbricht?

Ich und viele andere fürchten sich, dass irgendwann Flüchtlingsunterkünfte brennen. Weil sich jene, die sie gerne brennen sehen würden, dadurch, dass Sie, Herr Niessl, ihnen signalisieren, dass die menschenverachtende Haltung der FPÖ völlig in Ordnung ist, bestärkt fühlen. Ich und viele andere haben Angst davor, dass Randgruppen, die ohnehin keine Lobby haben, noch weiter an den Rand gedrängt und diskriminiert werden und irgendwann der Punkt kommt, an dem auch sie (wieder) um ihr Leben fürchten müssen.

An Herrn Niessl und all die SozialdemokratInnen, die an der Koalition mit der FPÖ nichts Verwerfliches finden: Sie paktieren mit einer Partei, die nur für sich selbst die Errungenschaften der Demokratie einfordert.

Geht es darum, anderen Redefreiheit, Meinungsfreiheit und Existenzberechtigung zuzugestehen, ist das Ende der Fahnenstange schnell erreicht—vor allem bei den „besorgten" FPÖ-AnhängerInnen, die ihre menschenverachtenden Spuren in zunehmendem Maße im Netz, im öffentlichen Raum und auf den Stammtischen hinterlassen.

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Wo bleibt das Ernstnehmen unserer Ängste? Ich würde mit meinen Anliegen auch gerne ernstgenommen werden. Ich wünsche mir auch, dass meine Stimme gehört wird. Laut genug schreien würde ich—gemeinsam mit vielen anderen—ja auch. Warum soll ich eine Sozialdemokratie noch weiterhin verteidigen, wenn Sie nicht fähig sind, diese Sozialdemokratie und ihre Grundsätze zu verteidigen? Allem voran der stets so hochgehaltenen „Antifaschismus", der mit dieser Koalitionsentscheidung keiner mehr ist.

Sie, Herr Niessl, und mit Ihnen die gesamte SPÖ Burgenland und jene, die nichts dabei finden, sich mit der FPÖ auf ein Packl zu hauen, scheren sich einen Dreck um die Vergangenheit und die verwerfliche Gegenwart der FPÖ. Sie scheren sich weder darum, dass eine historische Direktverbindung dieser Partei zum Nationalsozialismus besteht, noch um jene, die für die Verteidigung der sozialdemokratischen Grundsätze, die Ihnen offensichtlich nichts mehr bedeuten, gelitten haben und gestorben sind. Sie spucken auf die Flüchtlinge, die von der FPÖ verbal attackiert und kriminalisiert werden.

Die Sozialdemokratie war doch immer so stolz auf ihr historisches Erbe—auf den Kampf für die ArbeiterInnenrechte, den Kampf für die Menschenrechte, den antifaschistischen Kampf, den Kampf für einen modernen Sozialstaat und den Kampf für mehr Solidarität. Mit Ihrer Entscheidung haben wir alle diesen Kampf verloren.