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Cop Watch

​Wie ich einem Menschen helfen wollte und nun auf der Anklagebank sitze

Jahn B. wollte bei der Verhaftung von Hüseyin S. einschreiten. Nun sitzt er bald selbst auf der Anklagebank.
Foto von Kurt Prinz

Im Rahmen der Proteste gegen den Akademikerball 2014 kam es in Wien zu zwei Festnahmen von antifaschistischen Demonstranten. Der eine war Josef S., der andere Hüseyin S. Beide wurden später schuldig gesprochen. Ein gutes Jahr später meldete sich Jahn B. bei uns, um auch seine Geschichte publik zu machen. Zuvor hatte er lange gehadert, aber am 8. April muss auch er sich vor Gericht verantworten—nachdem er laut eigenen Angaben nur in die extrem brutale Festnahme von Hüseyin S. eingreifen wollte. Ich bin einer von diesen Menschen, die etwas dagegen haben, wenn Nazis und/oder Burschenschafter in voller Montur durch die Stadt laufen und ihre politischen Statements abgeben. Gleichzeitig bin ich aber auch Gegner des zutiefst studentischen und linken Symptoms, alles zu zerreden. Ich bin der Meinung, dass am Ende immer die Straße entscheidet und jede noch so kleine praktische Solidarität mehr bringt als ein zehnseitiges Manifest. Der 4. Juni 2014 war wieder so ein Tag. Die Burschenschaften, früher Sammelpunkt progressiver Studenten, die sich gegen die Monarchie auflehnten, heute Sammelpunkt von Studenten, die zum konservativen und rechten Lager unserer Gesellschaft zählen, „feierten", wie jedes Jahr, ihr obligatorisches „Fest der Freiheit". Das Bündnis Offensive gegen Rechts, das manchen von den Akademikerball-Protesten bekannt sein dürfte, demonstrierte auch gegen diese Veranstaltung. Ich ließ es mir nicht nehmen, auf dieser Demo auch friedlich aber lautstark meinen Unmut über die Existenz von Burschenschaften kundzutun. Die Polizei war massiv präsent und begleitete uns den ganzen Weg entlang. Nach ungefähr eineinhalb Stunden war auch wieder alles vorbei und wir kamen an unserem Startpunkt am Schottentor neben der Uni Wien an. Von dort aus verließ ich die Demonstration, um mir im Untergrund neben der U2-Station Bier zu kaufen und danach mit der U-Bahn zu meiner Schwester zu fahren. Da sah ich, wie auf einmal um die 30 WEGA-Polizisten Richtung U2-Station sprinteten. Ich vermutete, dass es dort gleich krachen würde, und so lief ich ihr nach, um einen Überblick über die Situation zu bekommen. Von oben konnte ich sehen, wie die WEGA in eine Menge von migrantischen Demonstrant_innen lief, die bei der U2-Station auf die U-Bahn warteten und sie zogen eine Person mit Gewalt aus der Menge heraus. Die Polizei ließ die Lage vollkommen eskalieren und verletzte die Person, die sie festnehmen wollte, am Kopf, der daraufhin zu bluten begann. Ich war entsetzt und rannte die Rolltreppe runter, um mir ein noch genaueres Bild von dem Geschehen zu machen. Ich drängelte mich durch die Menge und erhaschte einen Blick auf den Festgenommenen. Er war halb bewusstlos, sein Kopf voller Blut und—was dem Ganzen die Krone aufsetzte—die Polizei schliff ihn im Schwitzkasten mit sich mit. Ich rannte vor die Gruppe der Polizisten und schrie sie an, sie sollen den Mann sofort in ein Krankenhaus bringen. Es kam keine Antwort, ich wurde nur weg geschubst und sie gingen mit dem Mann, weiter im Schwitzkasten, Richtung Rolltreppe.

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Als ich mich umdrehte, griff mir der Polizist von hinten auf die Hoden und versuchte, zuzudrücken. Ich schrie ihn an: „Was geht mit dir?"

Da bemerkte ich, wie junge Menschen weinten, da sie, wie sie behaupteten, Verwandte von diesem Mann seien. Ich fragte mich, durch welches Recht so ein hartes und unverhältnismäßiges Vorgehen gedeckt sein könnte. Ich wollte nicht mehr länger zusehen, sondern wenigstens die Öffentlichkeit aufmerksam machen, welches Unrecht in diesem Augenblick gerade passiert. So rannte ich neben der Polizeigruppe, die inzwischen auf der Rolltreppe war, und schrie wieder laut, dass sie ihn loslassen sollen. Ich rutschte jedoch auf der Treppe aus und landete direkt vor einem Polizisten. Nun war der Festgenommene mit den Polizisten außer Reichweite. Als ich mich zu den anderen Demonstrant_innen umdrehte, griff mir der Polizist von hinten auf meine Hoden und versuchte, zuzudrücken. Ich bewegte mich reflexartig mit meinem Becken in die andere Richtung, drehte mich um und schrie ihn an: „Was geht mit dir?" Dann sagte der WEGA-Einsatzbefehlshaber: „Den nehmen wir mit", und auf einmal stürzten sich sechs Polizisten auf mich. Vollkommen überrascht von der Aktion versuchte ich mich wegzubewegen, wurde aber sofort von den WEGA-Polizisten fixiert. Während der Festnahme griff mir der selbe Polizist noch zweimal auf die Hoden und versuchte, sie zu quetschen. Ich ließ mich ohne Widerstand abführen, aber fragte ihn, durchaus mit einer Portion Wut, warum ich eigentlich festgenommen worden bin. Keiner der Polizisten konnte oder wollte mir eine Antwort geben. Ich wurde in Handschellen gelegt und sie fuhren mich zur nächstgelegenen Polizeistation. Dort wurde auch der andere Festgenommene hingebracht. Wie ich später erfahren sollte, handelte es sich bei diesem Mann um Hüseyin S., der manchen vielleicht aus den Medien ein Begriff ist. Dort angekommen wurde Hüseyin in den einen Raum und ich in einen anderen Raum gebracht. Nach einer Stunde wurde mir mitgeteilt, warum ich festgenommen wurde. Der angebliche Grund war, dass ich bei der Festnahme von Hüseyin S. mehrfach auf die Polizisten eingeschlagen haben soll, sich ein Polizist bei meiner Festnahme ein Band gezerrt habe und mein Verhalten den Tatbestand der Widerstand gegen die Staatsgewalt und der schweren Körperverletzung erfüllen würde. Nachdem sich nach so viel erfundenem Blödsinn die Schockstarre wieder einigermaßen verflüchtigte, wurde ich in einem Gefangenentransporter ins Erstaufnahmezentrum Josefstadt gebracht, wo ich in eine Einzelzelle gesteckt wurde. Ich durfte meinen Anwalt anrufen, dann kam ich in eine kleine Kabine. Dort wurden mir Fingerabdrücke und eine DNA-Probe abgenommen und ich musste fesche Knasti-Fotos machen, für die ich natürlich extra nett lächelte. Diese Fotos hätte ich übrigens bis heute gerne. Ich muss wohl von dem ganzen Stress und dem Verlangen, meine Nerven mit einer Zigarette zu beruhigen, wie Pete Doherty ausgesehen haben, bevor er in die Entzugsklinik gekommen ist. Nächste Station war die Amtsärztin und von der kam ich direkt—natürlich immer noch in Handschellen—zum Verhör. Dort wurden mir die Handschellen abgenommen, nachdem ich auf ihr Nachfragen hin versichert habe, dass ich zahm sei. Eineinhalb Stunden Verhör später war es dann Mitternacht und ich wollte nur noch raus aus diesem Raum. Die Polizistin rief den Staatsanwalt an und der sagte ihr, sie sollen mich laufen lassen, da ich noch unter 21 bin. Sonst hätte ich wahrscheinlich wie Hüseyin S. oder Josef S. in Untersuchungshaft gemusst.

Auszug aus dem Anklagebrief

So schnupperte ich nach 00:30 Uhr wieder die Luft der Freiheit und fuhr Heim. Nach ungefähr vier Monaten erhielt ich einen Brief, dass die Staatsanwaltschaft keine Anklage erheben würde, aber dass das Opfer (der Polizist mit der Zerrung) jederzeit Anklage erheben könne. Vor vier Wochen erhielt ich wieder einen Brief von der Staatsanwaltschaft, dass ich wegen schwerer Körperverletzung, Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt angeklagt werde und mich am 8. April vor Gericht verantworten muss. Diese Anklagepunkte machen in Summe, sollte ich schuldig gesprochen werden, ein paar Jahre Gefängnis aus.

9 Monate nach dem Ereignis soll ich jetzt also Zeug_innen finden und mir innerhalb von eineinhalb Monaten eine Verteidigung aufbauen. Ich habe keine Ahnung, wie gut meine Chancen stehen. Ich weiß nur, wie die anderen Verfahren zu Akademikerball-Demonstranten ausgegangen sind und hoffe, dass am Ende die Wahrheit gewinnt.

Wenn ihr schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht oder Polizeigewalt beobachtet habt, schreibt uns eine Mail.