FYI.

This story is over 5 years old.

Tierwelt

Was man bei einem Tier-Chakren-Reinigungsseminar über Menschen lernt

Eine Geschichte von Aura-Sprays, Seelenflecken und Telepathie mit Stuten.

Die alljährliche Wiener Haustiermesse ist ein wundervoller Ort voller Überraschungen und Abenteuer. Neben der Möglichkeit, die Asche des geliebten Haustieres in Schmuck verwandeln zu lassen und hunderte von Euros in Katzenspielzeug zu investieren, findet man dort auch einen Messestand, an dem es Tier-Chakren-Lese-Seminare und Tierkommunikations-Trainings zu gewinnen gab.

Das Losglück war mir an diesem Tag gewogen: Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich etwas gewonnen und dann gleich dieses Seminar, bei dem ich lernen durfte, Tier-Chakren zu lesen. In Zeiten, in denen die Wirtschaftskammer Österreichs auch Werbung für Energetik macht und Krankenhäuser zehntausende Euros für Energieringe ausgeben, ist das definitiv eine zukunftsträchtige Chance, die man sich auf keinen Fall entgehen lassen darf.

Anzeige

Auch auf VICE: Die großen Katzen des Persischen Golfs


Es gibt drei Dinge, die ich bei meinem Job in einem Laden für Tierbedarf bereits gelernt habe: Ochsenpenisse sind getrocknet länger als man denkt, Tierbesitzerinnen und Tierbesitzer sind die merkwürdigsten Personen, die man sich vorstellen kann, und: wenn man glaubt, komischer wird’s nicht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis alles davor an Merkwürdigkeit übertroffen wird. Aber der Reihe nach.

Gemeinsam mit einem Bekannten, der dasselbe Glück wie ich hatte (und den Verdacht nahelegt, dass eventuell nicht endlos viele Leute an diesem Gewinnspiel teilgenommen haben) machte ich mich auf den Weg an den Rand von Wiens, um Hunden und Katzen zu dem ausbalancierten Chakra zu verhelfen, das sie sich auch verdient haben. Ganz die coolen Kids, die wir sind, hatten wir uns vorgenommen, uns nach ganz hinten in einen klassenzimmerähnlichem Seminarraum zu verziehen und uns dort ungestört berieseln lassen. Außerdem hofften wir natürlich, viele süße Hunde zu sehen und ihr Chakra lesen zu lernen. In unserer Vorstellung hieß das, sie ausgiebig zu streicheln.

Diese Hoffnung verflüchtigte sich relativ schnell, als wir einen Raum betraten, der eher nach einem Wohn- als einem Klassenzimmer aussah in dem ein Sesselkreis aufgebaut war. Wir ahnten Schreckliches. Umzingelt und beobachtet von Deko-Eulen, Einhörnern und Seepferden ließen wir uns auf zwei freien Stühlen nieder. Um uns herum die restlichen Teilnehmerinnen sowie natürlich die Seminarleiterin. Ebenfalls zugegen waren lediglich zwei Hunde, die beide nicht in unsere Nähe durften. Schon mal ein schlechter Start. Wir begannen, an der Genialität unserer Idee zu zweifeln.

Anzeige

Der klassische Ikea-Lacktisch in unserer Mitte, auf dem neben einem wahrscheinlich energetisch extrem einflussreichen Heilstein auch pastelllilafarbige Tarot-Karten lagen, half auch nicht dabei, uns in die richtige Stimmung zu versetzen, sondern verstärkte lediglich unseren Fluchtreflex. Aber hey, vielleicht sollte der Stein genau das bewirken. Mir blieb die tiefere Wahrheit hinter dem Stein verborgen, aber vielleicht gewinne ich ja mal ein Steinenergie-Seminar, wer weiß das schon.

Meine größte Befürchtung einer klassischen Vorstellungsrunde wurde zum Glück nicht wahr. Die unglaublich berührende Geschichte, wie unsere Seminarleiterin zu Tierkommunikation und Chakren-Lesen kam, hat uns von Anfang an überzeugt. Nicht sie selbst sei auf die Idee gekommen; vielmehr wurde es ihr von ihrem Pferd auferlegt. Ja, das Pferd selbst hat gefordert, dass unsere Seminarleiterin seine Ausbildung übernimmt und es zum Besten seines Faches machen würde. Wie das Pferd zu ihr sprach, blieb vorerst unklar.

Als nächstes ging es um die neun Chakren von Hunden, Katzen und Menschen-Babys. Neben Haustierenergien liest sie nämlich auch die Energie von kleinen Kindern. Ihr Pferd, das natürlich einen sehr menschlichen Namen trägt, den ich hier aus Datenschutzgründen vorsichtshalber mal in Hilde ändere, hörte sich für mich nach einer ziemlich unangenehmen und sehr strengen Gefährtin an.

Hilde beantwortete nämlich keine Fragen, sondern stellte stattdessen welche. Die Antworten musste sich unsere Seminarleiterin in ihren Anfangstagen bei den anderen Pferden im Stall holen und abends bei Hilde Rechenschaft ablegen. Eine harte, aber anscheinend erfolgreiche Schule. Auch beim Thema medizinische Versorgung wollte Hilde mitreden.

Anzeige

Das Stadtleben habe nämlich leider den Nachteil, dass in und rund um urbane Ballungsräume schlechtes Chi in der Luft liege.

Die Seelenebene löste das Rätsel des kommunikativen Austauschs schließlich damit auf, dass uns das geübte Chakren-Lesen ein vernünftiges Gespräch auf Geistebene ermöglichen werde. Was wichtig wäre, weil Tiere um ein Vielfaches intelligenter seien als Menschen. Ein Beispiel aus ihrer Erfahrung: Als Hilde zu einem Tierarzt musste, entschied sie sich gegen den Rat vieler Menschen für die weniger prominente – und sollte schließlich Recht behalten. Schließlich ging es Hilde anschließend wieder besser. Ob vielleicht auch der Besuch in der anderen Klinik dasselbe Ergebnis gebracht hätte, blieb offen. So viele Mysterien, so viele Fragen.

Nach dieser rührenden Einführung kamen wir zur eigentlichen Tagesordnung. Die Nachteile des Lebens in der Stadt und was man als Chakra-Reinigungskraft dagegen tun kann. Das Stadtleben habe nämlich leider den Nachteil, dass in und rund um urbane Ballungsräume schlechtes Chi in der Luft liege. Deshalb sei es wichtig, des Öfteren in den Wald und ins Grüne zu fahren, um die Chakren-Speicher wieder aufzuladen. Das wäre folgerichtig auch der Grund, warum Hunde in der Stadt oft unausgeglichen seien. Nicht etwa wegen des Lärms und der Autos. Oder wenn, dann nur indirekt, weil diese auf ihre Chakren einwirken. Nicht auf ihre Ohren und Gehirne.

Anzeige

Noch so ein Mysterium dieses Seminars: Anscheinend muss man Tieren die Fröhlichkeit austreiben, um sie zu heilen.

Im Rahmen des Seminars wurde dann von einem Hund berichtet, der aus einer Tötungsstation im Ausland nach Österreich gekommen ist. Anscheinend war er immer ein lustiger, lieber und entspannter Hund. Das kann nicht sein nach dieser Vergangenheit, dachte sich seine Besitzerin und rief die Chakrenleserin. Diese fand einen schwarzen Fleck in der Seelenebene der Aura und alle Alarmglocken schrillten. Sofort wurden Rettungsmaßnahmen eingeleitet und der Hund gefragt, was denn los sei. Dieser meinte so "Nichts", aber in seinem Unterbewusstsein fand die Tierkommunikatorin den wahren Grund: In der Tötungsstation hatte unser Hund einen Freund, der eingeschläfert wurde. Das hat den Hund natürlich traumatisiert.

Nach dieser Reise ins Unterbewusste und der Aura-Reinigung war der Hund wie ausgewechselt. Aus dem lustigen, fröhlichen Hund wurde ein ruhiger, phlegmatischer Zeitgenosse. Oder wie es die Seminarleiterin ausgedrückt hatte, er sei nun wie ein alter, erhabener und weiser Mann. Ein Hoch auf das Aura-Lesen. Noch so ein Mysterium dieses Seminars: Anscheinend muss man Tieren die Fröhlichkeit austreiben, um sie zu heilen.

Komischerweise hatte ich nach dieser Geschichte selbst das Bedürfnis nach Resignation. Die anderen Teilnehmerinnen sahen das anscheinend anders. Ihnen standen die Tränen in den Augen und sie begannen, von ihren Nachbarskühen zu erzählen, die anscheinend in sehr lebensungünstigen Bedingungen dahinvegetierten.

Danach brauchten wir alle eine Pause. Bevor wir mehr über die richtige Verwendung von Aura-Sprays lernen konnten, beschlossen meine Begleitung und ich durch telepathische Verbindungsaufnahme, dass wir lieber gehen sollten. Ich glaube, unsere Chakren hätten das restliche Programm nicht verkraftet. Mit schwingenden Energien verließen wir also das Zimmer und hofften, dass es uns bald auch ganz ohne Spray wieder besser gehen würde. Andernfalls kann so eine Stimmungsaufbesserung nämlich ziemlich kostspielig werden: Eine Spraydose kostet zwischen 10 und 30 Euro.

Den Rest dieser lauen Nacht haben Bekannter und ich mein dann bei einem Spritzer am Brunnenmarkt ausklingen lassen – also unsere Chakren erst mal wieder aus dem Gleichgewicht gebracht. Ein bisschen was gebracht haben dürfte es trotzdem. Ich könnte schwören, dass die Hunde an diesem Abend besonders nett zu mir waren.

Folge VICE auf Facebook, Instagram, Twitter und Snapchat.