Eine Kaufhof-Filiale wird abgerissen. Galeria lässt über 50 Filialen schließen und das ist traurig
Wüst und leer. Foto: IMAGO / Arnulf Hettrich
Menschen

Warum es traurig ist, dass das deutsche Kaufhaus ausstirbt

Galeria will über 50 Filialen schließen und jede davon bedeutet eine tote Kindheit.

Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Wisst ihr. Gleich danach kam aber auch schon das Licht. Und mit dem Wechsel von dunkel zu hell nahm Gott bereits die Erfahrung vorweg, die der Mensch etwa 5000 Jahre später immer wieder machen sollte und damit auch immer wieder den Eintritt ins Paradies erleben durfte. Dann nämlich, als er die automatische Schiebetür eines Galeria-Karstadt-Kaufhof-Warenhauses durchschritt.

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"Das ist eine verdammt bittere Nachricht, auch für viele Innenstädte", sagte Arbeitsminister Hubertus Heil kürzlich dazu, dass Galeria über 50 Kaufhäuser schließen will. Innenstadt. Das ist der Ort, wo in Klein- und kleinen Großstädten die H&Ms, Starbucks und McDonald's Filialen stehen, und wenn man Glück hat noch eine L'Osteria. Bitter, sagt Heil, und hat Recht. Denn die Schließung bedeutet für viele, die hier sozialisiert wurden, einen Verlust.

Gern erinnere ich mich an die Nachmittage im Kaufhof. Meine Mutter, mein Vater, meine Großeltern, jedenfalls eine Person, die so viel Macht über mich hatte, dass sie mich zwingen konnte, mit ihr einkaufen zu gehen, wollte "nur schnell was im Kaufhof gucken". "Gucken" hieß natürlich Angebote vergleichen, schlendern, Inspiration finden. Für mich hätte es heißen können: Langeweile. Aber so war das natürlich nicht. 

Während die Respektsperson shoppen war, warf ich meine konsum-sehnsüchtige Fantasie an. In der Spielwarenabteilung inspizierte ich die Lego-Neuerscheinungen. Ich träumte davon, die aktuellsten Playmobil-Ritterburgen und Piratenschiffe zu besitzen. Ich konnte unendlich lang vor den Röhrenfernsehern stehen und Teenagern dabei zuschauen, wie sie Nintendo-Spiele ausprobierten, bis ein Mitarbeiter sie verjagte. Spielen durfte ich nie und ich weiß auch gar nicht, ob ich mich getraut hätte. Unter den neugierigen Augen der anderen Kinder mein Glück beim neuen Super Mario zu versuchen, hätte mein kleines Herz womöglich gesprengt.

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Das Kaufhaus war ein Ort der Sehnsucht genauso wie ein Ort der Enttäuschung. Denn natürlich durfte ich nie etwas von den vielen kostbaren Spielzeugen mit nach Hause nehmen, im besten Fall konnte ich meine Weihnachtswunschliste erweitern. Die Süßigkeiten in der Feinkostabteilung wirkten köstlich, doch sie waren natürlich viel teurer als bei Aldi, wo wir einkauften. Und am Ende stand ich doch Ewigkeiten neben den Erwachsenen und schaute ihnen zu, wie sie auf den Kleiderständern Klamotten hin und herschoben.

Nein, erfüllend war das Kaufhaus für mich nie. Im Gegenteil. Früh lehrte es mich Demut und die Akzeptanz dafür, dass manche Menschen sich den Luxus leisten konnten, hier selbstverständlich einkaufen zu gehen. Da, wo Menschen einen fragten, ob sie ihnen helfen könnten. Da wo das Licht nicht kalt in fahle Gesichter fiel, die sich markenlose Billigbiere in überdimensionierte Einkaufswagen legten, sondern warm und freundlich wirkte wie in einem Hollywood-Weihnachtsfilm.

Im Galeria Kaufhof meiner Heimatstadt war in der Weihnachtszeit tatsächlich immer eine Art Diorama aufgebaut. Kuscheltiere, die sich bewegten. Riesige liebenswerte Figuren, die man kaufen konnte und die doch so wirkten, als beobachtete man sie bei wirklichen Tätigkeiten, beim Laufen, Grüßen oder Essen. Galeria Kaufhof war heimelige Vertrautheit und kapitalistische Kackscheiße in ihrem schönsten Gewand. Omnipräsent mit ihrem glitzernden Äußeren mitten in der Stadt und gleichzeitig mit seinen Preisen so unerreichbar wie eine Kreuzfahrt auf dem Luxusdampfer.

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Wahrscheinlich ist das der Grund, warum das Warenhaus für mich irgendwann seinen Reiz verloren hat. Ich hatte einfach kein Geld für den Scheiß. Klar, wenn ich mal schnell ein Weihnachtsgeschenk brauchte, war ich auch bereit, die zehn Prozent Aufschlag zu zahlen, denn eine derart große Auswahl hat sonst kein Laden. Aber auch der Vorteil hatte sich irgendwann erledigt, als Amazon anbot, innerhalb weniger Tage oder praktisch sofort zu liefern. Der Vorteil war ja, dass das Geschenk bereits perfekt verpackt ankam.

Dass Galeria heute also noch mehr Läden schließt, dass noch mehr Städte noch weniger Kaufhäuser haben werden, ist nur konsequent. Am Ende war ja auch ich es, der sie getötet hat. Das Glitzern reichte mir von außen, zum Einkaufen ging ich aber nicht mehr in die Stadt, sondern online. Den Niedergang des Konzepts der Kaufhäuser erlebte ich nur nebenbei. 

Und dann sind sie bald weg. Die gigantischen Immobilien mitten in deutschen Innenstädten werden zweckentfremdet, Büros oder Luxuswohnungen oder Amazon-Warehouses werden. Vielleicht findet ja auch der ein oder andere H&M ein Plätzchen, ein Starbucks oder McDonald's. Sicher ist, dass die künftigen Generationen die wohlige Wärme der Unerreichbarkeit nicht mehr genießen werden. Und so schade das auch sein mag, so gut ist es doch auch. Denn am Ende geht alles den Weg, den es gehen muss. 

Oder, um es in den Worten eines Buches zu sagen, das zwar Quatsch ist, in dessen Kontinuität dieser Text aber dennoch steht: Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag.

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