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Wie sinnvoll ist ein Verbot der Prostitution in Deutschland wirklich?

Der Sexmarkt soll reguliert werden, so steht es im Koalitionsvertrag. Mit Strafen für Freier, Verbot von „Flatrate-Sex"und Kontrolle von Bordellen. Im Grunde soll so Migrationskontrolle betrieben werden und die kleinbürgerlichen Sexualmoral befriedigt...

Irgendwie sagt ja jeder, dass wir alle auf die eine oder andere Weise in prostitutiven Verhältnissen leben. Wir bieten feil, verkaufen, kaufen, nehmen und lassen nehmen, müssen uns gelegentlich über den Tisch ziehen lassen und in der Regel arbeiten wir uns den Arsch ab. In besinnlichen Momenten reden wir ein bisschen wehmütig darüber, dass wir in einer Welt leben, in der grundsätzlich alles käuflich ist, dass alles immer mehr dem Wirtschaftssystem unterworfen ist, dass Kunst, Kultur und sogar Medizin zu Huren der Ökonomie geworden sind. Aber so ist es eben.

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Mit anachronistischem Entsetzen wurde jetzt festgestellt, dass auch der Sexmarkt dem Gang der Weltwirtschaft unterworfen ist. Immer billigerer Sex unter immer schlechteren Arbeitsbedingungen—in der Prostitution findet sich das gesamte Spektrum der elenden Zwangsverhältnisse wirtschaftlicher Reproduktion wieder.

Ausgerechnet das Prostitutionsgesetz soll diese Misere weiter verschärft haben. 2002 wurde die Prostitution aus der Illegalität geholt und Prostituierte bekamen erstmals Arbeitnehmerrechte, wie in alle anderen Dienstleisterbranchen auch. Sie können seither ihren Lohn einklagen und in die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung eintreten. Von all dem waren sie bis dahin ausgeschlossen, weil ihre Arbeit als „sittenwidrig“ galt. Ob sie davon Gebrauch machen oder nicht, ist eine andere Frage, aber zumindest wird es ihnen jetzt angeboten.

Aber die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer erklärte, dass 90 Prozent der Prostituierten gegen ihren Willen in dem Gewerbe arbeiten, dass sie also Zwangsprostituierte sind, die zu 90 Prozent aus Osteuropa in den Westen gelockt, von Menschenhändlern verschleppt und hier im „Paradies der Frauenhändler“ zum Anschaffen gezwungen werden. (In der Realität gibt es lediglich Schätzungen darüber, wie viele Frauen zwangsweise als Huren arbeiten http://www.zeit.de/2013/50/prostitution-debatte-fakten-zahlen.) Frau Schwarzer ist sich sicher, dass mehr als 90 Prozent der Frauen missbraucht werden und ein „gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper“ haben—denn 90 Prozent der Prostituierten wollen ihren Körper gar nicht verkaufen, „sie spielen ihren Kunden etwas vor!“

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Schwarzer hat im Herbst einen „Appell gegen Prostitution“ an Bundeskanzlerin und Bundestag verschickt, nachdem sie die Unterschriften von 90 (!) Prominenten zusammengesammelt hatte. Darunter Kirchenfrau Margot Käßmann, Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, zahlreiche CDU-Politiker, ehrwürdige Professoren, ein ganzer Orden Franziskanerinnen und Maria Furtwängler (sie hat in zwei von mindestens fünf Tatortfolgen in Sachen Zwangsprostitution ermittelt. Da wurden Ausländerinnen eingesperrt, halb totgeprügelt, umgebracht und in den Müll geworfen. Aber verraten diese Episoden vielleicht mehr über Opferklischees als über die Wirklichkeit?).

Je geldgieriger und brutaler Prostitution rüberkommt, desto selbstloser und mitfühlender stehen alle anderen da—die große Koalition will genau hiervon profitieren. Stimmung macht hier vor allem die CDU, indem einfach das wiederholt wird, was Schwarzer sagt. Im Koalitionsvertrag finden sich nun genau die Eckpunkte, die sich auch in Schwarzers „Appell gegen Prostitution“ wiederfinden: „Wir wollen Frauen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution besser schützen und die Täter konsequenter bestrafen“, heißt es dort. Es soll schärfere Regeln für Bordelle, mehr Kontrollmöglichkeiten für Polizei- und Ordnungsbehörden—das heißt mehr Razzien—geben und einige CDU-Abgeordnete wollen auch billigen Sex, Flatrate-Sex, verbieten.

Maria Böhmer (Foto von KASonline)

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Deutschland ist „zum Paradies für Freier und zur Vorhölle für viele Prostituierte“ geworden und deswegen soll das Prostitutionsgesetz verschärft werden, erklärte Unionsfraktionsvize Günter Kriegs. Maria Böhmer ist Vorsitzende der Frauen Union der CDU, will keine „Frauenhandelsindustrie” und hat ebenfalls den „Appell gegen Prostitution“ unterzeichnet mit den Worten: „Wir dürfen den Menschenrechtsverletzungen nicht länger zusehen”.

Aus sicherheitspolitischen Erwägungen heraus ist das sinnvoll, denn Opfer von  Zwangsprostitution  sind wichtige Zeugen in Prozessen gegen ominöse Menschenhändler. Migrantinnen bekommen bisher ein Aufenthaltsrecht in Deutschland, wenn sie vor Gericht gegen die Täter aussagen. Zukünftig soll ausreichen, wenn sie einen Beitrag zur Aufklärung leisten und im Strafverfahren mitwirken. Ob sie bleiben dürfen oder nicht, wird also weiterhin von einer Gegenleistung abhängen.

Die Zahlen sprechen hier aber nicht für eine Änderung der aktuellen Gesetzeslage. Im „Lagebericht zum Menschenhandel“ zählt das Bundeskriminalamt für 2011 482 abgeschlossene Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels mit insgesamt 640 Opfern von Zwangsprostitution. 2001, bevor das Prostitutionsgesetz geändert wurde, listete das BKA knapp eintausend Zwangsprostituierte.

Menschenhändlerbanden sind scheinbar nicht aufzufinden, denn pro Ermittlungsverfahren wurde durchschnittlich weniger als ein Tatverdächtiger ermittelt. Und obwohl Prostitution neben Waffen- und Drogenhandel eines der erfolgreichsten Geschäfte weltweit sein soll, wurden in den genannten Menschenhandelsverfahren gerade mal 340.000 Euro beschlagnahmt. Etwa 18 Prozent wurden laut BKA-Bericht tatsächlich unter Gewaltanwendung zur Prostitution gezwungen und rund 27 Prozent der „Zwangsprostituierten“ waren damit einverstanden, anschaffen zu gehen, wurden aber dennoch als Zwangsprostituierte gelistet, weil sie über Arbeitsbedingungen oder Verdienstmöglichkeiten getäuscht wurden oder andere Vorstellungen hatten. Die Hälfte der Betroffenen geriet in die Prostitution, weil ihre „Zwangslage“ oder ihre „Hilflosigkeit“ ausgenutzt wurde oder sie irgendeiner „List” zum Opfer gefallen sind.

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Und um eins klar zu stellen, ich will nicht in Abrede stellen, dass es Frauen gibt, die unter Vortäuschung falscher Tatsachen nach Deutschland gelockt werden, denen vielleicht ein Job als Kellnerin in Deutschland versprochen wurde und die dann zur Prostitution gezwungen, sexuell missbraucht und vergewaltigt werden.

Foto von k_millo

Man muss sich ganz schön durch den Paragraphendschungel der deutschen Rechtssprechung zum Thema Menschenhandel wühlen, wenn man verstehen will, was hier gemeint ist. Man landet beispielsweise bei einer Definition von Zwang—wenn eine Prostituierte beispielsweise aus wirtschaftlicher Not heraus anschaffen geht, weil sie aus bedrückender Armut oder schlechten Verhältnissen im Ausland kommt, dann kann sie als Zwangsprostituierte gelten, und derjenige, der sie dazu gebracht hat, für bis zu zehn Jahre in den Knast gehen.

Gerade steht Adrian O. wegen Menschenhandel vor dem Berliner Landgericht. Eine rumänische Prostituierte sagt hier gegen ihn aus. Eine typische Konstellationen, denn der Großteil der im BKA-Lagebericht gelisteten Zwangsprostituierten kommt aus den ärmsten Ländern Europas—aus Rumänien und Bulgarien. Adrian O. jedenfalls soll sein Opfer mit zur Prostitution gezwungen haben, indem er sein Opfer verliebt gemacht habe und nur deshalb habe sie sich zur Prostitution bereit erklärt und sei mit ihm nach Deutschland gekommen. Hier gab es dann Streit. Die Rumänin wollte nicht mehr als vier Freier am Tag bedienen, also hat Adrian O. sie geschlagen und bedroht. Sie ist wieder nach Rumänien abgehauen, kam dann aber freiwillig wieder zur Prostitution nach Deutschland, weil sie das Geld brauchte. Zu Recht steht Adrian O. als mutmaßlicher mieser Schläger vor Gericht, aber als Menschenhändler?

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Hier werden die strukturellen Probleme von Migration und Wohlstandsgefälle einfach in ein Täter-Opfer-Schema gepresst. Aber wer Prostitution und Menschenhandel in einen Topf wirft, blendet bereits die Möglichkeit einer individuellen Entscheidung vollkommen aus und deshalb tauchen ausländische Prostituierte hauptsächlich als naive unmündige ausgenutzte Opfer auf.

In der Hoffnung auf bessere Verdienst- und Lebensbedingungen kommen Frauen wie Männer in das westliche Europa, weil in ihren Heimatländern nicht zuletzt durch die Transformationsprozesse aufgrund des EU-Beitritts die soziale Absicherung quasi verschwunden und der Lebensstandard brutal abgesunken ist. Die Aussichten, in diesen Ländern eine Arbeit zu finden, die sich lohnt, gerade für Sinti und Roma, sind extrem mies.

Dazu kommt noch eine Reihe individueller Motive dafür, sein Heimatland zu verlassen und sich für die Prostitution zu entscheiden. Sie werden in der Migrationsforschung untersucht, interessieren in der Öffentlichkeit aber offenbar kaum jemanden: innerfamiliäre Gewalt, der Wunsch nach Unabhängigkeit von familiären Strukturen und der Wunsch nach Anerkennung, Respekt und Unabhängigkeit.

Wie soll ihnen die „Ächtung“ der Prostitution, wie sie Schwarzer fordert, helfen? Was soll ein größeres Polizeiaufgebot im Rotlichtmilieu bringen? Was würde die jetzt geforderte „Befreiung von der Prostitution“ bringen? Frauen in diesem Beruf würden de facto ihre Rechte und ihre Einnahmequelle verlieren.

Wer wirklich etwas für Prostituierte tun will, fragt vielleicht mal, was die Menschen in der Sexarbeit wollen. Der Berufsverband sexueller und erotischer Dienstleistungen fordert in seinem Aufruf die Stärkung der Rechte und die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und mehr Aufklärung. http://sexwork-deutschland.de/?page_id=85 Die bestimmende Politik ignoriert das, denn sie verfolgt eigene Interessen, den Schutz ihrer kleinbürgerlichen Sexualmoral und migrationspolitische Ziele.