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GAMES

Das Beste und das Schlechteste an der Gamescom

Einerseits ist es die wichtigste Games-Konferenz der Welt. Andererseits herrschen Zustände wie am Hamburger Fischmarkt, nur dass es dank der vielen Teens noch eine Spur feuchter und stinkiger zugeht.

Alle Fotos von Raphael Schön für VICE Media

Wenn du die Gamescom in Köln magst, dann stehst du mit ziemlicher Sicherheit auf Gedränge, stundenlanges Warten und bis zum Anschlag gefüllte Messehallen, in denen du Singstar-Duelle von pubertierenden Teenagern mit 120 Dezibel um die Rübe geballert bekommst. Zumindest ist sie genau der richtige Ort, um diesen speziellen Fetisch auszuleben. Klingt zunächst mal ziemlich beschissen, aber für mich, der ich seit Super Mario Bros auf dem Nintendo NES jedes halbwegs vernünftige Videospiel in einer Mischung aus Neugierde und neurotischer Obsession zocken muss, ist die Gamescom aber etwas wie eine halbreligiöse Pilgerstätte.

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Und das sehe offensichtlich nicht nur ich so, denn in den letzten Jahren hat sich die Messe zu einem Mega-Event rund um Videospiele, Games-Culture und mehr entwickelt. 335.000 Besucher und Besucherinnen, ein eigenes Mini-Musik-Festival in der Kölner Innendstadt und die in die Gamescom integrierte Entwicklerkonferenz GDC Europe sprechen für sich. In der Branche gilt zwar immer noch die jährlich in Los Angeles stattfindende Electronic Entertainment Expo, kurz E3 (die in vergangenen Jahren eher mit Sexismus-Debatten aufgefallen ist) als eine Spur wichtiger, aber quantitativ ist die Gamescom trotzdem die größte Videospiele-Messe der Welt. Klingt also nach einem geilen Ort für Freunde virtueller Realitätsflucht. Zumindest theoretisch. In der Praxis ist die Gamescom die Hölle. Ein Besuch lohnt sich aber definitiv trotzdem. Wir sagen euch die wichtigsten Gründe für beides.

Gute Idee, beschissene Ausführung

Die Gamescom funktioniert so: Spielehersteller zeigen auf riesigen und aufwendig gestalteten Ständen kommende Games. Dabei gilt: Je Mainstream-tauglicher das Spiel und kapitalstärker der Publisher, desto größer und dekadenter der zugehörige Stand. Während die wenigen jugendfreien Vertreter, unter denen sich neben den über alle Zweifel erhabenen Geniestreichen von Nintendo auch WTF-Klassiker wie der „Landwirtschafts-Simulator" befinden, an offenen Spielstationen gespielt werden können, werden die Blockbuster unter den Videospielen, in denen es nun mal um die spannenden Dinge des Lebens wie etwa Gewalt, Sex oder Drogen geht, in abgeschlossenen Messeständen gezeigt.

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Leider stehen bei jedem größeren Stand hunderte Menschen in endlosen Schlangen. Sollte man es nach ewigem Warten dann doch zu einem Gamepad schaffen, muss nach spätestens 10 Minuten Platz für die Nachkommenden gemacht werden. Kein Wunder, dass die verlorenen Seelen, die es wagen, als reguläre Besucher die übervollen Messehallen zu betreten, am Abend aussehen als kämen sie gerade aus einem hochfrequentierten Darkroom. Der einzige Unterschied: Move-Controller statt Penisse.

Sturmfrei im Ferienlager

Die Gamescom versetzt Köln in eine Art Ausnahmezustand. Egal wo du hingehst, überall siehst du kleine Grüppchen von meist männlichen Teenagern, die das erste Mal ohne Mami und Papi so richtig einen drauf machen dürfen. Vielleicht ist der latente Teenager-Hass, den ich jedes Jahr in immer größerem Maße auf der Gamescom entwickle, auch auf eine Art Selbsthass zurückzuführen, da ich ja doch bald 30 werde und Yoshi immer noch total cool finde. Man mag bekanntlich immer das am wenigsten, was einen am meisten an sich selbst in früheren Jahren erinnert.

Überrascht hat mich außerdem die extrem hohe Zahl an 14- bis 15-Jährigen mit Fachbesucher- oder Pressetickets. Offiziell gilt der Mittwoch auf der Gamescom seit jeher als der Tag, an dem sich Journalisten wie ich alle Stände mehr oder minder in Ruhe ansehen können. Schon in den letzten Jahren zeigte sich aber, dass dieses Konzept nicht ganz funktioniert. Denn die Veranstalter haben offenbar nicht mit der Kreativität junger Nerds gerechnet, die sich in großer Zahl auf welche Wege auch immer Presse- und Fachbesucher-Tickets besorgt haben und somit schon am Mittwoch für lange Warteschlangen sorgen.

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Spannend anzusehen sind auch die unzähligen Filmteam-Grüppchen, die zwar allesamt noch keine Schambehaarung, aber dafür Video-Equipment im Wert von mehreren Tausend Euro dabei haben. Ich könnte an dieser Stelle einen kleinen Rant über den Zustand von Videospiele-Journalismus in Kombination mit Youtube starten, aber das würde den Rahmen dieses Artikels sprengen (und wurde zu einem gewissen Teil ja auch schon hier abgedeckt).

Wer hat den Größten? Und wer den Lautesten?

Die Giganten der Videospiele-Industrie wie Activision, EA, Microsoft, Sony oder Ubisoft fahren auf der Gamescom schwere Geschütze auf—das heißt, jeder versucht, den größten, aufwendigsten und lautesten Messestand zu haben. Dieser architektonisch-akustische Schwanzvergleich trägt teils schon komödiantische Züge, etwa wenn bei einem Stand eine kreischende Moderatorin Gratis-T-Shirts in die grölende Menge wirft, während 20 Meter weiter ein mit epischer Musik unterlegter Trailer läuft und daneben ein DJ generische Club-Musik auflegt. Diesen unverwechselbaren Klangteppich gibts wohl in dieser erhabenen Form nur auf der Gamescom, dem Epizentrum der digitalen Reizüberflutung.

Grundsätzlich gilt auf der Gamescom: Je lauter oder pompöser der Stand, desto uninspirierter das darin gezeigte Spiel. Für diese Faustregel muss wie so oft die Trash-Perle Call of Duty herhalten—in diesem Fall der jüngste Spross mit dem klingenden Beinamen „Advanced Warfare". Unweit davon steht der Stand von Assassin's Creed Unity, das zur Zeit der französischen Revolution angesiedelt ist und zu dem Ubisoft in einem Anfall purer Randomness einen eigenen DJ setzte, der mit schlechter Chart-Elektro-Mucke die wartenden Massen zu bespaßen versucht. Hat zwar mit dem Spiel selbst nix zu tun, aber immerhin wurden die Stände in näherer Umgebung übertönt.

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Vom Überleben und in die Hosen scheißen

Bei Sony konnten unter anderem die beiden vielversprechenden Exklusivtitel Bloodbourne und The Order 1886 angespielt werden. Außerdem wurde eine PS 4-Umsetzung des genialen PS Vita-Games Tearaway namens Tearaway Unfolded und eine Konsolen-Portierung des populären Survival-Games DayZ (!) angekündigt. Spannend auch die Enthüllung von Silent Hills (ja, mit s), bei dem sich Regisseur Guillermo del Toro und Metal Gear-Erfinder Hideo Kojima wünschen, dass du dir vor Angst nicht nur in die Hosen pisst, sondern auch ein bisschen in eben diese hinein scheißt.

In eine ähnliche Richtung geht das in Köln erstmals anspielbare The Evil Within von Shinji Mikami, dem kreativen Kopf hinter Resident Evil, der Mutter aller Horror-Survival-Games. Hier findest du übrigens ein lesenswertes Interview zum Spiel und zu Horror-Games generell.

Fans moderner Adventures wie Heavy Rain, Beyond: Two Souls, The Walking Dead oder The Wolf Among Us (also: alle ehrbaren Menschen da draußen) können sich auf Life is Strange des französischen Entwicklerstudios Dotnod Entertainment freuen, die bereits das gute, aber wenig beachtete Remember Me gemacht haben. PC-Zocker haben Might & Magic Heroes 7 vor sich, das sich auf seine guten alten Runden-Strategie-Wurzeln besinnt und sich nach einigen Geschmacksverirrungen der jüngeren Serienteile am Grundkonzept des legendären Heroes 3 orientiert.

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Ich hatte außerdem die Gelegenheit, die Indie-Perlen Hotline Miami 2, Broforce und The Talos Principle anzuspielen. Freut mich jedenfalls, dass auch kleinere Studios auf der Gamescom präsent waren, auch wenn es deren Mini-Stände meist nur in den für reguläre Besucher gesperrten Business-Bereich für Journalisten und Fachbesucher schaffen.

VR, die psychedelische Droge

Während Smartphones mittlerweile richtig langweilig geworden sind, gelten Virtual Reality-Brillen im Stile von Oculus Rift als ganz heißer Scheiß. Wer die neueste Variante, die DK2, schon einmal ausprobiert hat, spricht nicht umsonst von einer psychedelischen Droge. Und wer das vielversprechende Hightech-Gadget noch nicht kannte, konnte es hier auf einem der größeren Stände testen. Doch nicht nur das mittlerweile zu Facebook gehörende Startup Oculus VR präsentierte seine VR-Brille der interessierten Öffentlichkeit, auch Sony hatte die Playstation 4 VR-Brille Project Morpheus im Gepäck.

Die Japaner traten nicht ganz so selbstbewusst wie Oculus VR auf, und zeigten ihr Gadget nur einem kleineren Besucher-Kreis mit Voranmeldung. Hinter den Kulissen konnten Presse- und Fachbesucher Project Morpheus aber in Ruhe ausprobieren. Wen Oculus Rift oder Project Morpheus noch nicht genug flasht, konnte auf der Gamescom auch den Virtualizer von Cyberith ausprobieren und so am eigenen Leib erfahren, was in Sachen Virtual Reality aktuell schon machbar ist.

Wie in den Jahren zuvor hinterlässt die Gamescom bei mir auch diesmal wieder einen zwiespältigen Eindruck. Die Wartezeiten wurden zwar etwas optimiert, aber je nach Spiel immer noch unerträglich lang. Und während sich am Großraumdisco-Feeling in den Messehallen nichts geändert hat, gibt es doch einige positive Entwicklungen: In der öffentlich zugänglichen Halle 10 waren mehr kleinere Entwicklerstudios als je zuvor zu sehen und der Anteil peinlicher „Boothbabes", die leicht bekleidet für diverse Produkte werben, ist definitiv kleiner geworden.

Die Veranstalter müssen sich im kommenden Jahr definitiv Gedanken machen, wo die immer größer werdenden Menschenmassen untergebracht werden sollen. Dass sich die Messe vom derzeitigen Haudrauf-Entertainment-Charakter wegbewegt, bezweifle ich aber.

Insgesamt fühlt sich ein Besuch bei der Gamescon an wie auf dem Hamburger Fischmarkt, nur dass es dank Teenies sogar noch eine Spur feuchter und stinkiger zugeht. Aber hey, ich mag steh eben auf Fisch.