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Der bestverkaufte Schnaps der Welt riecht nicht gerade angenehm

In Shanghai habe ich baijiu probert, ein äußerst beliebter Schnaps, der ein Drittel aller weltweit konsumierten Alkoholika ausmacht.
Foto: Jamie Fullerton

„Als ich zum ersten Mal Baijiu getrunken habe, ging er runter wie Öl. Ich trinke ihn mittlerweile schon seit 30 Jahren", so Yan Zhidong, Berater für die Baijiu-Destillerie in Shanghais Außenbezirk Fengxian, als ich dort im letzten Jahr vorbeischaute. „Bauern trinken ihn hier, um ihre Erkältung loszuwerden. Und Soldaten haben sich damit Mut angetrunken, bevor sie in den Kampf zogen. Du kannst ihn genauso gut trinken, wenn deine Beziehung im Eimer ist oder aber ein Freund von dir bald heiraten wird. Du kannst ihn einfach immer und überall trinken."

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Wenn du in der westlichen Welt beheimatet bist, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass du noch nie etwas von Baijiu gehört hast. Laut dem Informationsportal International Wine & Spirit Research macht er ein Drittel aller weltweit konsumierten Spirituosen aus. Obwohl die Verkaufszahlen aufgrund eines scharfen Vorgehens von Regierungsseite gegen Sauforgien von Funktionären gesunken sind, hat die Baijiu-Industrie laut der China Alcoholic Drinks Association im letzten Jahr rund 60 Milliarden Euro verdient. Hört sich nach einer Menge Geld an, oder? Zumindest unterstützen die Zahlen Yans Begeisterung.

Photo by Jamie Fullerton

Foto: Derek Sandhaus

Leute aus dem Westen, die in China leben (wie ich selbst), trinken sich mit Baijiu gewöhnlich Mut an, um im Gespräch mit ihrem Chef über das kommunistische System mal so richtig vom Leder zu lassen. Die von uns, die ihn probiert haben, taten es meist auf Drängen von ihren Kollegen bei irgendwelchen Abendessen. Denn es handelt sich hierbei nicht um eine Spirituose, die du dir als Shot an der Bar reinkippst. Das stinkende Gesöff wird (fast ausschließlich) zum Essen getrunken.

Sein Geruch trifft dich zuerst. Sobald du die Flasche öffnest, strömt ein widerlich-süßes Aroma durch deine Nasenlöcher und erinnert dich an industrielle Reinigungsflüssigkeit. Fast so, als ob der Hausmeister dir mit einem Putzmitteldrink auflauern würde. Dann wirst du feststellen, wie Baijiu langsam seine sanfte Kotznote entfaltet, abgerundet durch einen Hauch Paraffin. Und er brennt. Mit einem Alkoholgehalt von circa 55 Prozent fühlt sich Baijiu in deinem Hals so an, als hättest du dir einen in Salzsäure eingelegten Chinaböller runtergewürgt.

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Der Autor Derek Sandhaus aus Washington liebt Baijiu und hat sich mit dieser Gefühlsbekundung einen echten Namen gemacht. Denn niemand sonst im Westen kann an dem Gesöff Gefallen finden. Sandhaus, Autor von Baijiu: The Essential Guide to Chinese Spirits hat das Getränk zu Beginn auch nicht ausstehen können, doch seit seinem Umzug nach Chengdu kam er in den Genuss von hochwertigen Versionen, sodass sich sein anfänglicher Horror in eine echte Besessenheit gewandelt hat.

„Wenn Leute Baijiu trinken, der meist nach Lackverdünner und Industrielösungsmittel riecht, sagen sie gewöhnlich: ,Oh mein Gott, das Zeug kann nicht gesund sein. Was zum Henker kippe ich mir hier eigentlich grad rein?'" Sandhaus weiter: „Aber die Antwort lautet, dass es sich um einen stinknormalen Kornbrand handelt. Die Ängste sind also komplett unbegründet."

Sandhaus ist der Auffassung, dass sich hinter dem Baijiu-Bashing von Leuten aus dem Westen etwas anderes verbirgt. Er glaubt, es geht mehr darum, wie Baijiu getrunken wird und weniger um den Geschmack an sich. „Leute aus der westlichen Welt trinken harten Alkohol nicht zum Essen", so Sandhaus. „In China aber ist das anders. Du trinkst Alkoholika nur während des Essens und gerne auch mindestens eine Flasche pro Tisch. Für Ausländer ist es unangenehm, so viel trinken zu müssen. Es fühlt sich mehr nach Arbeit als nach Spaß an."

Vance Yang, Chefbarkeeper in der exklusiven Shanghaier Cocktailbar Yuan, gehört zu den wenigen Barmännern, die auch Baijiu-Cocktails zubereiten. Er stimmt Sandhaus zu und glaubt ebenfalls, dass es an der unterschiedlichen Trinkkultur und weniger an dem Geschmack von Baijiu selbst liegt, dass viele westliche Ausländer regelmäßig gegen einen Brechreiz ankämpfen müssen.

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Photo by Jamie Fullerton

„Es ist eben ein Getränk, das du in Shotform zum Essen trinkst", meint er. „Chinesen würden Baijiu niemals im Club trinken. Er gehört einfach mit Essen zusammen—das ist ein kulturelles Ding. Und die Chinesen können einfach nicht aufhören. Solange du noch wach an einem Tisch in China sitzt, wirst du weitertrinken, bis du mit dem Kopf auf dem Tisch liegst oder die Flasche leer ist. Das ist typisch chinesisch. Am nächsten Tag hast du dann einen Kater und als negative Begleiterscheinung auch eine Art Phobie. Das Problem ist einfach der übermäßige Konsum."

Photo by Jamie Fullerton

Von Neugier gepackt wollte ich herausfinden, ob du als westlicher Ausländer Baijiu wirklich nur zum Essen trinken kannst. Außerdem reizte mich der Gedanke, eine Ausrede zu haben, um zu Hause—und für die Arbeit!—große Mengen Schnaps trinken zu dürfen. Also führte mich der Weg in den nächsten Supermarkt, wo ich ein paar Mittelklasse-Baijiuflaschen auftrieb. Derek hatte mir Laobai Fenjiu von der Xinghuacun-Destillerie sowie Touqu von Luzhou Laojiao empfohlen, die beide um die 20 Euro kosten.

Die Sorte Laobai Fenjiu sorgte mit ihrer Flasche in Urnenform für den ersten Stimmungskiller, noch bevor mein Trinkgelage beginnen sollte. Es handelt sich hierbei angeblich um den ältesten Baijiu auf dem Markt und wird nach Informationen der Destillerie schon seit 1.500 Jahren verkauft. Mit einem Alkoholgehalt von 53 Prozent wird dein Hals großflächig flambiert, aber dank der Tatsache, dass er für einen Baijiu ein mildes Aroma' besitzen soll, schmeckt er beinahe fruchtig mit einer dezenten Ananasnote. Ich genieße das intensive Brennen in meinem Hals—Schnaps pur wegzukippen macht einfach viel mehr her als ein Schluck Pfirsichlikör.

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Photo by Jamie Fullerton

Danach ging es mit dem Touqu weiter, der in die Kategorie ‚starkes Aroma' fällt (neben den Kategorien ‚mild' und ‚stark' wird auch noch zwischen Soja- und Reisaroma unterschieden). Das Aroma des Touqu hat eine deutliche Faustschlagnote. Wenn du ihn trinkst, werden dir ordentlich die Mandeln angesengt, aber auch hier überrascht dich ein unglaublich fruchtiger Geschmack. Doch dann passiert es: Plötzlich braut sich auf deinen Geschmacksknospen ein Gewitter zusammen, das in ein furchtbares, aber nicht gänzlich unbekanntes Aroma mündet: ein Gestank, bei dem ich sofort weiß, dass irgendjemand irgendwo in meine Wohnung gekotzt hat, aber die Frage, welche Wohnungsecke es getroffen hat, noch beantwortet werden muss.

Kotzaroma ist ein echter Rückschlag, wenn du dich auf ein Trinkgelage für einen guten Zweck (deine Arbeit!) gefreut hast. Umso mehr wenn du dann noch mit deinen Freunden in einer Bar sitzt. Ein paar Tage zuvor hatte Vance mir gegenüber zugegeben, dass er ein paar seiner Baijiu-Flaschen im bareigenen Tiefkühler aufbewahrt, um den Gestank beim Eingießen zu dämpfen.

Im Yuan habe ich dann noch einen Red-Star-Shot probiert. Red Star ist der gängigste Baijiu in China und schon ab rund 2 Euro für eine kleine Flasche erhältlich. Sein Aroma ist viel intensiver als das der Mittelklassevarianten, die ich zuvor probiert hatte. Und dann kam mir der Gedanke, ob die Tatsache, dass Leute aus dem Westen von Baijiu angeekelt sind, damit zu tun haben könnte, dass du es wirklich an jeder verdammten Ecke in China findest.

„Ich konnte nicht verstehen, wie mehrere Hundert Millionen Menschen dieses Getränk jeden Tag konsumieren, während du keinen einzigen westlichen Ausländer finden wirst, der von sich behaupten kann, Baijiu zu lieben", sagte Derek und hat damit den Nagel auf den Kopf getroffen. „Aber dann kam ich vor drei Jahren in den Genuss eines echt edlen Baijiu, von dem eine Flasche mehr also 150 Euro kostet. Er bestand aus denselben Geschmacksrichtungen, die ich zuvor bei anderen Sorten für ungenießbar befunden habe. Hier waren sie aber in dem richtigen Verhältnis. Er schmeckte weder zu süß noch zu scharf und das Aroma war ausgewogen. Und dann ging mir ein Licht auf. Die einzelnen Elemente eines Baijiu sind überhaupt nicht fehl am Platz, sie müssen nur besser miteinander gemischt werden.

„Sein Aroma war unfassbar mild, was wirklich wichtig ist. Und mit der Zeit, so nach etwa 65 bis 70 Shots, fand ich ihn echt großartig."

Und da haben wir schon die Antwort, nach der wir gesucht haben: Baijiu finden gar nicht alle Leute aus dem Westen ekelhaft. Wir müssen einfach nur 65 bis 70 Shots davon wegkippen, am besten noch von den Sorten, von denen eine Flasche 150 Euro kostet, und schon schmeckt uns das Zeug. Also, viel Glück, Leute.