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Ich habe beim größten Pokerturnier der Welt um Millionen gezockt

Schon die Startgebühr hat mich 10.000 Dollar gekostet.

Die World Series of Poker 2011 | Foto: Dutch Boyd | Flickr | CC BY-SA 2.0

Es ist noch gar nicht so lange her, da war Poker ein Spiel, das in rauchigen Hinterzimmern gespielt wurde. Von alten, reichen Männern mit Cowboyhut und Zigarre im Mundwinkel, die herausfinden wollten, wer am besten bluffen kann.

Seitdem das Spiel aber im Netz populär geworden ist, hat sich die Pokerkultur ziemlich verändert. Im Rio Casino in Las Vegas bleibt mein Blick immer noch an zwei Cowboyhüten hängen, findet aber auch Dutzende Kapuzenpullover und Basecaps. Poker ist mittlerweile das Spiel der Internet-Kids, die nicht nach Bauchgefühl zocken, sondern ihre Entscheidungen mit Hilfe von Mathe und Spieltheorien treffen.

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Im Amazon Room platzen jeden Juli Tausende Träume und einige wenige werden wahr, wenn hier das Main Event der WSOP, der World Series of Poker, stattfindet. In keinem anderen Pokerturnier wird so viel Geld ausgeschüttet. 2008 gewann der Erste noch 12 Millionen Dollar, dieses Jahr beträgt die Siegprämie immerhin 8 Millionen. 6.700 Spieler kämpfen darum und haben dafür eine Startgebühr von 10.000 Dollar bezahlt. Einer davon war ich.

Die hohen Geldbeträge sind auch der Grund, warum ich unter einem Pseudonym schreibe. Ich bin noch jung, in meinen 20ern, und viele verurteilen es, wenn Menschen in diesem Alter um so hohe Beträge pokern. Ungern will ich deswegen in Zukunft Probleme bekommen.

Wegen der WSOP habe ich überhaupt erst angefangen zu pokern. Mit 16 spielte ich mit Kumpels um zwei Euro, später dann im Netz um etwas mehr.

Und jetzt sitze ich also in Las Vegas, 10.000 Dollar ärmer, aber hunderttausend Chips reicher. Das sind doppelt so viele wie noch zu Beginn. Es läuft gut für mich am zweiten Turniertag.

Foto: Jonas Kühn

Überall das Klackern von Poker-Chips, die Stimmung ist angespannt. An den Wänden hängen Plakate mit den Gesichtern der bisherigen Weltmeister. Einige ältere Amerikaner sitzen an meinem Tisch, vermutlich Geschäftsmänner, bei denen das Geld eher locker sitzt. "Fische" nennt man die im Pokerjargon.

Gegen einen von ihnen spiele ich eine Hand und treffe mit der Ass-Zehn eine Straße. Er hat nur einen 7er-Drilling und ich gewinne nochmal 20.000 Chips dazu.

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"Ich wusste, dass du etwas Besseres hast, aber deine Hand wollte ich trotzdem sehen", sagt er. Für seine Neugier hat er ziemlich viele Dollar verbraten.

Alle zwei Stunden gibt es eine Pause. Vor den Toiletten bilden sich dann lange Schlangen und die jungen europäischen Spieler treffen sich hinter dem Gebäude, wo es ruhig und schattig ist. Ein Joint wird herumgereicht. "Ist gut für die Konzentration", sagt einer. "Dann schaue ich nicht so oft aufs Handy, sondern achte mehr auf meine Gegner."

Während der Joint langsam kleiner wird, unterhalten sich alle über die gespielten Hände. Das klingt dann so:

"Ich hab auf Queen-9-x mit Backdoor-Equity gegen Reg gecheck-raist, damit er seine Stabs und Midpairs foldet. Findst das gut?"

"Passt schon, wenn er pre nur flattetm ist seine Range da eh depolarisiert."

In Shorts stehen sie da, den Hoodie überm Arm, essen eine Banane oder nuckeln an der Wasserflasche. So würden sie auf jeden Unicampus passen. Ihr Geld verdienen sie am PC mit Online-Poker. Sobald der Joint aufgeraucht ist, laufen sie zurück an ihre Tische und spielen um fünf- oder sogar siebenstellige Summen.

Foto: Jonas Kühn

Der dritte Turniertag verläuft wie eine Achterbahnfahrt. Von 140.000 Chips falle ich auf 35.000, zurück auf 210.000 und schließlich auf 80.000. Dann riskiere ich alles: Ich gehe All-In.

Ich habe die Karo 6 und 7, in der Mitte liegen Karo-Ass, Kreuz-Dame und Karo-3. Nur ein weiteres Karo fehlt mir zum Flush.

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"Hast du Karos?", fragt mein Gegner, ein Kanadier um die 50 mit Schirmmütze. Kein typischer Geschäftsmann, aber auch kein Profi. Wenn er mitgeht und kein Karo kommt, verliere ich alle meine Chips. Er rauft die Haare, ist am Hadern, ich könnte schließlich auch ein Ass oder zwei 3er halten. Soll er die Chips riskieren?

"Du hast doch Karos, oder?", fragt er und starrt mich über den Tisch hinweg an.

Vielleicht sieht er, wie meine Halsschlagader pumpt, vielleicht sieht er mein Blinzeln. Ansonsten sitze ich wie zum Eisblock erstarrt auf dem Stuhl und schaue grimmig auf den grünen Filz. Ich muss aussehen, als wäre gerade meine Katze verreckt.

Nach rund fünf Minuten schmeißt mein Gegner seine Karten mit einem lauten "Fuck" in die Mitte. Ich lasse mir nichts anmerken, während der Dealer den Berg von Chips in meine Richtung schiebt.

Die Bubble platzt noch am selben Turniertag gegen Mitternacht. Bubble, wieder so ein Begriff aus dem Pokerjargon. Das kann man sich so vorstellen: Über den Spielern schwebt eine Blase mit Geld. Sobald ein bestimmter Spieler rausfliegt, zerplatzt die und das Geld wird ausgeschüttet.

Es sind noch 1.011 Spieler übrig und wir erhalten alle mindestens 15.000 Dollar, gewinnen also 5.000 Dollar. Die Kellner bringen Bier an die Tische, die Spieler feiern ein paar Minuten lang. Dann geht es auch schon weiter.

Kurz später erwischt es mich. Mit Ass-7 trete ich gegen Ass-Dame an, am Flop kommt eine weitere Dame und alle meine Chips wandern zum Gegner. Ich werde von einem Mitarbeiter des Events abgeholt, der mich zum Auszahlungskäfig bringt. Währenddessen geht es an den anderen Tischen ganz normal weiter. Die Chips klackern, die Karten fliegen, nur die Stimmung ist etwas lockerer als davor: Schließlich geht hier keiner mehr mit leeren Händen nach Hause.

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Als ich wenige Minuten darauf den Scheck in den Händen halte, sind meine Gefühle gemischt. Auf dem Papier steht, dass ich gerade 15.000 Dollar gewonnen habe. Das ist in etwa so viel Geld, wie ich in einem Jahr ausgebe. Mit dem Gewinn ist der Urlaub finanziert, und es bleibt sogar noch Geld übrig. Aber ich bin auch enttäuscht, dass ich es nicht weiter geschafft habe.

November Niner selfie! — Kenny Hallaert (@SpaceyFCB)19. Juli 2016

Die neun Finalisten

Vier Tage später sind nur noch neun Spieler übrig. Fast alle sind Vollprofis, die vom Pokern leben. Jeder von ihnen hat bereits eine Million Dollar sicher.

Im November werden sie nach Las Vegas zurückkehren und drei Tage lang um den Sieg spielen. Der Wettkampf wird live im Fernsehen übertragen. Am Ende wird einer von ihnen acht Millionen gewinnen und der neue Weltmeister sein. Wenn dann im Juli 2017 erneut Tausende Pokerspieler in den Amazon Room strömen, wird dort auch ein Plakat mit seinem Gesicht an der Wand hängen.