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DIE ÜBERLEBENS-KÜNSTLER-AUSGABE

„Bringt diese Hurensöhne um“

Die Bergbaukonflikte in Guatemala werden gewalttätig.

Das Anti-Bergbau-Transparent an der Straßenblockade besagt: „Verteidigt Mutter Erde gegen die Ratten“

Im Jahr 2000 entdeckten Ingenieure von Radius Gold, einem Bergbauunternehmen aus Vancouver, tief im Inneren der Tambor-Berge im Süden Guatemalas eine große Goldader. Das Unternehmen erhielt von der Regierung umgehend eine Lizenz für Erkundungsbohrungen. Mehr als zehn Jahre lang wurden Analysen durchgeführt, um herauszufinden, ob sich das Gebiet für den Abbau eignet. Die geplante Goldmine soll nur ein paar Kilometer außerhalb des Dorfes San José del Golfo und der Kleinstadt San Pedro Ayampuc liegen. Kaum ein Anwohner, von denen die meisten indigene Mayas sind, wurde informiert, bevor Radius mit seinen Untersuchungen begann.

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Erst Anfang 2012 wurde den Anwohnern allmählich der Umfang des Vorhabens bewusst. Sie konnten beobachten, wie ein Lastwagen nach dem anderen, beladen mit schwerem Gerät, die kurvige Dschungelstraße hinunterholperte. Im Februar 2012 erhielt Radius endgültig die Genehmigung der Regierung, das Vorkommen zu erschließen. Das Unternehmen erhoffte sich dabei einen jährlichen Ertrag von bis zu 52.000 Tonnen Gold. Aus Angst davor, was passieren könnte, wenn ein großes ausländisches Bergbauunternehmen ihre Erde aufgraben würde, beschlossen die Bürger einzuschreiten. Sie bildeten eine mensch­liche Straßenblockade. Plastikstühle wurden auf die Straße gestellt und in wechselnden Schichten von den Aktivisten besetzt. Bis heute hat die Mine nicht eine Unze Gold ab­geworfen, und am 2. März diesen Jahres feierte die Straßenblockade ihren zweiten Geburtstag. Ihr Name, La Puya, heißt so viel wie Speerspitze.

Eine Schusswunde von einem Angriff im April 2013 nahe der Escobal Silbermine

Die menschliche Straßenblockade war der Höhepunkt eines Jahrzehnts wachsender Frustration über die Bergbauindustrie in Guatemala. Seit sich das Land Mitte der 90er der ausländischen Mineralgewinnung öffnete, haben zwar die staatlichen Kassen profitiert, aber der Reichtum sickert nur selten bis zu jenen durch, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Minen leben. In San José del Golfo und San Pedro Ayampuc verdie­nen die meisten Einwohner ihr Geld als Maisbauern oder Hühnerfarmer. Sie befürchten, dass ein groß angelegter, industrieller Goldabbau die örtliche Wasserversorgung aufbrauchen und verseuchen könnte, dass die Quellen austrocknen, das Grundwasser versiegen und die verbleibenden Wasservorräte mit Arsen vergiftet werden könnten.

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Ich besuchte La Puya im Juli 2013, nachdem ich von den wiederholten Angriffen auf die Straßenblockierer gehört hatte. Fünf Monate nach der Gründung von La Puya verkaufte Radius Gold seine Schürfrechte an Kappes, Cassiday & Associates (KCA), ein Bergbauunternehmen aus Nevada. Da durch die menschliche Straßenblockade das Risiko dieser Investition drastisch erhöht wurde, sieht der Vertrag vor, dass Radius den vollen Kaufpreis erst erhält, wenn die Mine in Produktion geht. Im Dezember 2012 engagierten die Bergbauunternehmen daher Polizei und private Sicherheitskräfte, die geschlossen an der Straßenblockade aufmarschierten und den Demonstranten ein Ultimatum stellten: Räumt die Straße freiwillig, oder wir räumen sie gewaltsam. Aber die Demonstranten blieben standhaft und entschlossen. Sie gaben selbst dann nicht nach, als das Sicherheitskommando Tränengas verschoss, um die Menge zu zerstreuen.

Aktivisten von La Puya treffen den Präsidenten (Mitte) und den Innen­minister (rechts) von Guatemala

Die Vorgehensweise gegen die Straßenblockade war zwar chaotisch, aber nicht ungesetzlich. Sie war ganz einfach der Versuch des Staates, sich gegen eine illegale Straßenblockade durchzusetzen. Schon einige Monate zuvor hatte Yolanda Oquelí Veliz, genannt Yoli, eine der Anführerinnen von La Puya, einen noch ungleich brutaleren Besuch erhalten. In der Nacht des 13. Juni 2012 folgten ihr auf der Heimfahrt von der Straßenblockade zwei maskierte Schützen auf Motorrädern und schossen mehrere Male auf sie. „Die Kugel steckt immer noch in meinem Rücken“, erzählte mir Yoli, als ich sie an einem ruhigen, sonnigen Julitag im La-Puya-Protestcamp traf.

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Obwohl viele Angriffe nicht polizeilich erfasst werden, wissen wir, dass sie nur allzu oft vorkommen. Anti-Minen Protestcamps durchziehen das ländliche Guatemala, und aus dem ganzen Land gibt es Berichte von Angriffen durch private Sicherheitsfirmen. Ein solcher Angriff ereignete sich auch im April 2013 nahe der Escobal Silbermine im Südosten Guatemalas, die einem kanadischen Unternehmen namens Tahoe Resources gehört. Tahoes Sicherheitschef gab bei diesem Angriff die Erlaubnis, das Feuer auf die Demonstranten zu eröffnen, so das Ergebnis einer Untersuchung der guatemaltekischen Zeitschrift Siglo 21 einen Monat später. Sechs Menschen wurden schwer verletzt. Und es gibt Tonaufzeichnungen, auf denen der Sicherheitschef angeblich sagt: „Bringt diese Hurensöhne um.“

Guatemalas Präsident, Otto Pérez Molina (r.) und Innenminister Mauricio López Bonilla

Nach diesem Angriff fingen die Menschen aus den umliegenden Dörfern an, Fahrzeuge in Brand zu setzen. Es kam zu heftigen Ausschreitungen. Der Präsident von Guatemala, Otto Pérez Molina, verhängte für 30 Tage einen „Belagerungszustand“. Durch diesen rechtlichen Schritt erhielt das Militär die Befugnis, in den Gebieten rund um die Mine das Kriegsrecht auszurufen. Die Bürgerblockade wurde aufgelöst, und im September letzten Jahres begann Tahoe mit der Förderung. Seit Januar 2014 wird im großen Stil Silber gewonnen. Der Unternehmenspresse zufolge ist Escobal inzwischen kurz davor, die größte Silbermine der Welt zu werden.

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Guatemala ist reich an Bodenschätzen—Nickel, Gold, Silber und Titan liegen in der Erde des Landes verborgen. Das erste transnationale Unternehmen, die kanadische International Nickel Company (INCO), begann bereits 1960 in Guatemala zu arbeiten, in demselben Jahr, das den Beginn eines 36-jährigen Bürgerkriegs kennzeichnete, in dem die Regierung und eine Vielzahl von linken Guerillagruppierungen um die Landverteilung, die Rechte der Ureinwohner und ökonomische Chancengleichheit kämpften. Der Konflikt endete 1996, nachdem weitreichende neoliberale Wirtschaftsreformen durchgeführt und viele ehemals von Rebellen kontrollierte Regionen des Landes für die mineralgewinnende Industrie geöffnet wurden.

Seitdem hat die Regierung mehr als 400 Lizenzen an multinationale Unternehmen vergeben—zu überaus günstigen Konditionen. Sie selbst ist nur selten zu mehr als fünf Prozent am Unternehmensgewinn beteiligt. Und unter der Führung von Präsident Pérez Molina bezahlen die Unternehmen der Regierung nur ein Prozent von dem, was die abgebauten Mineralien wert sind. Außerdem dürfen sie das örtliche Wasser umsonst benutzen. Die Gemeinden, wie die bei La Puya, werden im buchstäblichen Sinne ausgebeutet—ihres Goldes, Wassers und Reichtums wegen. In der Folge bleibt ihnen häufig nichts als eine geplünderte, verwüstete und verseuchte Landschaft.

Eine Farm mit Blick auf die Escobal Silbermine

Am 12. Juni 2013 wurden zehn Vertreter von La Puya in den Nationalpalast von Guatemala-Stadt eingeladen, um vor dem Präsidenten und dem Innenminister zu sprechen. Ziel war es, eine Einigung zwischen den Aktivisten und der Regierung zu erzielen. Ich war bei diesem Treffen dabei. Die Demonstranten von La Puya sind bisher die einzigen Basisaktivisten, die für ein solches Treffen in den Nationalpalast eingeladen wurden. Was sie nicht wussten, war, dass der Präsident auch KCA eingeladen hatte. Er wollte versuchen, einen Dialog zwischen den Konfliktparteien zu eröffnen. Yoli war aufgebracht und weigerte sich, mit der Führung von KCA zu sprechen. Was mir einleuchtete, schließlich bestand ihr ausdrückliches Ziel darin, die Rücknahme aller Bergbaulizenzen in der Region zu erwirken. „Diese Entscheidung kann nur die Regierung von Guatemala treffen. Sie kann daher nicht mit KCA diskutiert werden“, erklärte sie Pérez Molina. Nach kurzem Nachdenken bat er die Vertreter von KCA, den Raum zu verlassen. Danach sprachen der Präsident, der Innenminister und die Vertreter von La Puya miteinander. Ein Großteil der Diskussion drehte sich dabei um eine Umweltverträglichkeitsstudie, die von KCA in Auftrag gegeben worden war. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Risiken für die Umwelt und die Natur in der Region um die Mine relativ gering seien—eine Schlussfolgerung, die inzwi­schen von mehreren angesehenen Geologen angezweifelt wurde. La Puya konnte ihr Anliegen erfolgreich vorbringen, und am Ende des Treffens versprach Pérez Molina, dass die Regierung eine neue, unabhängige Studie zu den Auswirkungen des Bergbaus in der Region in Auftrag geben werde. KCA wurde aufgefordert, seine Arbeiten bis dahin auszusetzen. In diesem Augenblick fühlte es sich an wie ein kleiner Sieg. Allerdings war die Umweltverträglichkeitsstudie bei Redaktionsschluss immer noch nicht in Auftrag gegeben, und die Zahl der Angriffe auf die Dorfbewohner ist inzwischen noch gestiegen.

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Die Tagschicht der La-Puya-Straßenblockade

Im Dezember 2013 besuchte ich San José de Nacahuil—ein winziges Dorf, ungefähr 25 Kilometer von La Puya entfernt. Hier wurden am 7. September 2013 elf Menschen umgebracht und 28 verletzt, als maskierte Schützen die Hauptstraße des Ortes stürmten und das Feuer auf die Geschäfte eröffneten. Behörden und Lokalzeitungen berichteten, dass Rivalitäten zwischen Gangs für die Schießerei verantwortlich seien, aber die Gemeinde streitet diese Vorwürfe ab.

Nach San José de Nacahuil kommt man nur über eine einspurige Straße. Ich sprach mit mehreren Einwohnern, und sie zeigten mir das Café, in dem bei dem Angriff zehn der Opfer gestorben waren. Später zeigte mir eine ältere Frau die Stelle, an der die Schützen offenbar einen Mann gejagt und erschossen hatten, um ihn dann zurück zum Café zu schleppen und zu den anderen Toten zu werfen. Viele Anwohner erzählten mir, dass einige Stunden vor dem Massaker Polizisten in den Ort eingefallen waren und die Einwohner eingeschüchtert und beschimpft hätten.

Die Aktivisten von La Puya bei ihrem friedlichen Widerstand

Für die Dorfbewohner war damit eine neue Eskalationsstufe in der Einschüchterungstaktik der Bergbauunternehmen erreicht: Polizeiabsprachen und milizartiges Vorgehen gegen Einheimische, die gegen die Verwüstung ihrer Umwelt kämpften. Die neue Strategie hieß Präventivschlag: Polizei und Schläger konzentrierten sich nicht länger auf die schon existierenden Straßenblockaden. Stattdessen begannen sie, nahe gelegene Gemeinden einzuschüchtern, damit diese sich der Sache erst gar nicht anschlossen.

Es hat nicht den Anschein, als würde sich der Widerstand in dieser ländlichen Gegend und die damit verbundene Gewalt in absehbarer Zeit legen. La Puya feierte zwar inzwischen seinen zweiten Geburtstag, doch sind einige der Aktivisten mittlerweile wegen krimineller Vergehen angeklagt.

Yoli, die nahe La Puya angeschossen wurde, musste im Februar 2014 zusammen mit sechs ihrer Mitstreiter vor Gericht erscheinen. Sie wurden wegen Kidnapping, Nötigung und Einschüchterung angeklagt—Anschuldigungen, die ihre Unterstützer für fingiert halten. Zu Redaktionsschluss lag noch kein Urteil vor, aber für die Bergbauunternehmen ist es schon jetzt ein kleiner Triumph: Yoli muss ihre Tage im Gericht verbringen, fern von der Straßenblockade.