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Eine wilde Partynacht mit Goths (oder auch nicht)

Wir sind in die Welt der Goths eingetaucht, und es war gar nicht so unheimlich. Eigentlich waren sie außerordentlich nett.

Der Nachtclub Batcave in Londons Soho-Gegend gilt allgemein als Ground Zero der Gothicszene. Anfang der 80er Jahre haben die mit Mülltüten und kitschigen Spinnenweben behangenen Wände eine ganze Subkultur hervorgebracht. In Berlin punktet das K17 in Friedrichshain mit seiner Größe, aber dafür hat das Slaughterhouse in Moabit eine lange Geschichte vorzuweisen. An jedem letzten Samstag des Monats, und das schon seit 1991, wird dort ein Event namens Factory veranstaltet: eine Grufti-Extravaganza. Dachte ich zumindest.

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Seine ansehnliche 22-jährige Geschichte war in der Tat nicht ohne, aber bevor es losging, bekam ich so meine Zweifel, was den aktuellen Zustand und die Größe dieser Partys angeht. Das lag vor allem daran, dass mich der Veranstalter nur wenige Stunden nach meiner E-Mail-Anfrage anrief und geführte Touren und Gästelistenplätze anbot. Wenn jemand nicht von Grund auf Misstrauen gegenüber den Medien hegt, dann stimmt doch irgendwas nicht.

Mir wurde empfohlen, zur Peak Time um 1 Uhr morgens aufzutauchen. Angeblich sind die nächsten zwei Stunden die beste Zeit, um hier abzuhängen. Aber wenn das Batcave der Alphaclub des Gothic ist, dann scheint Factory sein Omega zu sein. Es kam mir weniger wie eine wilde, laute Huldigung an den Untergrund vor, sondern eher das Gewimmer einer Todesfee oder das finale Gurgeln einer zu Tode geweihten Szene. Komische Typen, die nicht wirklich angemessen gekleidet waren, standen mit einem Bier in der Hand auf der einen Seite, während sich diejenigen, die extra für den Anlass ihre Lederhose aus dem Schrank gekramt hatten, gleichermaßen unbeeindruckt zeigten. Alle blickten auf die Tanzfläche und warteten darauf, dass etwas passierte—irgendetwas.

Eine Sache, mit der ich bei der Party der Berliner Herzens der Dunkelheit wirklich nicht gerechnet hatte, waren Cupcakes mit babyblauem Frosting; nur eine von vielen Überraschungen an diesem Abend.

Ich hatte gedacht, der Empfang für mich als waschechter Außenseiter würde eher verhalten ausfallen. Doch alle waren von Anfang an unheimlich nett—solange die Kamera außer Sichtweite blieb. Vielleicht sagt das aber mehr über mich und die Orte, die ich normalerweise frequentiere, aus, denn es ist eine Weile her, dass mich Fremde einfach so auf Bier oder Tequila-Shots eingeladen haben. Die Leute waren so nett, dass ich mich fragte—vielleicht weil ich ein Außenseiter war—, ob man in mir ein potenzielles neues Mitglied sah. Goths greifen zu allen Mitteln, um Neuankömmlinge zu rekrutieren … Ich glaube einfach, dass es harte Zeiten für die Szene sind …

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Zu den Glanzzeiten von Goth waren solche Rekrutierungsmaßnahmen wahrscheinlich unnötig. Ich schätze (und hoffe), dass eine gesunde Anzahl von Mitgliedern ebenfalls für eine gesunde Rivalität innerhalb des Clans gesorgt hat; also, dass Rivetheads nicht mit Steampunks abgehangen sind, und sich viktorianische Goths ganz bestimmt nicht mit Mittelalter-Gruftis abgegeben haben. Zur Erklärung: Diese Illustration erklärt die verschiedenen Subgenres sehr viel besser, als ich es jemals könnte. Nach allem, was man so hört, handelt es sich um eine ungenau definierte Subkultur, die mit unterschiedlicher Fachliteratur, Musik und Mode verflochten ist, und die zu verschwinden droht …

Dieses Toilettenzeichen zeigt einen irokesentragenden Punk mit einem Tripper-Schlauch, der ihm sein Urin abführt. Also, ich versteh das so, dass Iros hier offensichtlich nicht so beliebt sind.  Aber gut, das kann man auch sicher anders interpretieren.

Insgesamt war die Ikonografie recht durcheinander. Metallkäfige, Rauch und rote Beleuchtung passten zu der allgemeinen Schlachthaus-/Horrofilmatmosphäre. Aber hinterfragen die zahlreichen Styroporkörper mit zugeklebten Nippeln nicht das Konzept von Nacktheit an sich? Ich rechnete mit diesem postmodernen Kram in feuchten Neuköllner Kellerbars, aber jetzt ist auch noch Moabit zum Opfer gefallen.

Trotz der herzlichen Begrüßung waren alle sehr scheu und wollten sich nicht fotografieren lassen. Vielleicht ist das so eine Abneigung gegen grelles Licht, die sie sich von Drakula abgeschaut haben. Ich habe dann recherchiert und auf Wikipedia gelesen, dass Goths im Grunde eine misstrauische Truppe sind, die in der Schule oft gemobbt wurden und die von den Medien verfolgt werden. In der Vergangenheit wurden sie wegen einigen Schießereien in den USA verantwortlich gemacht, zum Beispiel für den Amoklauf an der Columbine High School 1999. Deswegen sind sie also gegen Kameras und Fotografen. Anscheinend sind die Organisatoren von diesen Events allerdings nicht so Pressescheu.

Ich habe hier auch von dem weltweit größten Gothicfestival im Mai in Leipzig erfahren, wo jährlich Zehntausende Goths auftauchen sollen. Aber dem Ende meines Goth-Abends schätze ich, dass da eher knapp 300 Spartaner aufkreuzen, um eine nicht mehr zu gewinnende Schlacht zu kämpfen; wie ein jährlicher Schlachtruf, der mit jedem Jahr leiser wird.

Dennoch umgibt jede scheintote Szene eine einzigartige Schönheit. Wenn subkultureller Darwinismus an der Tür klopft, bleiben nur die Entschlossensten von allen übrig. Also gehe ich mitten in der „Peak Time“ von der Party und überlasse den letzten Kämpfern die Tanzfläche.