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Reisen

Wilde Krokodile in Belize

Hast du schon einmal deinen Finger in die Vagina eines Krokodils geschoben? Sagen wir es mal so: Es ist gefährlich.

„Das ist mindestens dreieinhalb Meter lang“, flüsterte Vince. Wir hielten alle den Atem an und warteten. Ein weiteres Augenpaar tauchte plötzlich hinter dem ersten auf.
 
„Scheiße“, sagte Vince.
 
Ich war draußen in Belize und markierte wilde Krokodile mit Cherie Rose, einer Meeresbiologin, die zusammen mit ihrem Mann Vince das American Crocodile Education Sanctuary (ACES) gegründet hat. Nach zwei Monaten als Reiseschriftsteller, in denen Schnorcheln mein größtes Abenteuer war, dachte ich, dass ich bereit für einen wirklichen Nervenkitzel wäre.
 
Vince, Cherie und ihr Praktikant Chris sammelten mich vor einem Rumgeschäft auf der Hauptstrasse San Pedros auf, einer sehr von Tourismus geprägten Insel vor der Küste von Belize. Das Paar sah aus wie ein Geschwisterpaar aus Skandinavien, die für die Rollen in einem Crocodile Dundee-Remake vorsprechen wollten. Sie trugen genau das gleiche Outfit aus Kampfstiefeln, Muskelshirt und Rambo -Messer am Gürtel. Wir zwängten uns in ein elektrisches Golfcart und machten uns mit 25 km/h auf zu dem Schutzgebiet am Wasser, wo die Tiere behandelt werden—einer Lagune aus dreckigem Brackwasser, in der es von kranken Krokodilen nur so wimmelte.
 
Krokodile sind in Belize durch den Wildlife Protection Act geschützt, aber viele Leute in Belize glauben, dass sie das Recht hätten, Krokodile zu schießen, um ihre Kinder und Hunde davor zu schützen selbst zu Krokodilfutter zu werden. Das erste Ziel von ACES ist es, die Gemeinden darüber aufzuklären, wie sie mit diesen riesigen Reptilien friedlich zusammenleben können. Die Gruppe sammelt außerdem Daten über wilde Krokodile, markiert sie und entlässt sie wieder in dünner besiedelte Gebiete.
 
Während Vince durch die Schlaglöcher und Schlammpfützen manövrierte, redete Cherie. Sie erzählte mir von Kindern aus Belize, die ihre Finger verloren hatten, als sie ganze Hühner vor den Augen der Touristen an die Krokodile verfütterten. Sie erzählte von dem einen Mal, als sie einen Busfahrer bestechen musste, damit er sie mit einem gefesselten Krokodil auf dem Schoss mitnahm, nachdem ihr Truck den Geist aufgegeben hatte. Sie sprach mit einer Hingabe über die Krokodile mit Namen wie Wiggles oder Satan oder solchen mit fehlenden Augen oder abgeschlagenen Schwänzen, als ob es bedürftige Hunde eines Tierheims wären. Als das Gespräch auf ihr neues Krokodilreservat in Ladyville kam, wurde ihr Stimme jedoch kalt. „Natürlich mussten wir wieder ganz von vorne anfangen nach dem Feuer.“

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Vor Ladyville gab es Punta Gorda. Cherie und Vince zogen 2004 von Colorado aus dorthin und bauten ein neun Hektar großes Krokodilreservat auf. Innerhalb von sieben Jahren bauten sie mit Hilfe von einer halben Millionen Dollar ein Haus, ein Labor und zwei Hütten (die mit Solarzellen ausgestattet sind) für Forscher, die zu Besuch waren. Es wurde ein 0,5 Hektar großes, künstliches Auffangbecken für gerettete Krokodile aus dem ganzen Land geschaffen. Das Paar spendete der lokalen Schule Geld für Bücher und der Polizei für Schutzausrüstungen.
 
Dann mussten sie dabei zusehen, wie alles abbrannte.
 
Vince parkte den Golfwagen in absoluter Dunkelheit auf einer kleinen Halbinsel nahe dem Wasser. Ich konnte mehrere gelbe Augenpaare daraus hervorlugen sehen. „Sie werden hier draußen richtig groß“, sagte er. „Der Durchschnitt liegt bei über vier Metern.“
 
Wir luden die Ausrüstung zum Fangen der Krokodile ab: ein langes Seil, ein tiefgefrorenes Huhn, Taschenlampen und Insektenschutzmittel. Im Morgengrauen und in der Dämmerung sind die Hauptfresszeiten der Krokodile und wirklich wilde Tiere hauen sofort ab, wenn sie Menschen spüren. Allerdings nicht, wenn sie gefüttert werden.
 
„Angefütterte Krokodile kommen aus dem Wasser, sobald sie den Golfwagen hören“, erklärte mir Cherie. „Darum sind diese Exemplare so gefährlich, weil sie Menschen mit Futter assoziieren. Auf Youtube kannst du dir Videos von belizianischen Jugendlichen ansehen, die Krokodile mit Hühnern füttern und amerikanische Mädchen, die dumm genug sind, dabei auf ihren Schultern zu sitzen.“
 
Cherie zeigte, wie man die Aufmerksamkeit der Krokodile auf sich zieht, indem man mit dem gefrorenen Huhn auf das Wasser einschlug. „Wenn dieses Krokodil gefüttert wurde, dann wird es das Geräusch hören und angeschwommen kommen. Gefrorene Hähnchen sind für diese Kerle wie Snickers.“
 
Während Cherie mit dem Huhn auf das Wasser schlug, fragte ich sie nach dem Feuer.
 
„Letzten September wurden zwei Kinder aus der Maya-Siedlung in San Marcos vermisst“, sagte sie. „Die Eltern gingen zu einer Hellseherin der Maya. Die Seherin sagte, sie konnte die Kinder zusammen mit Krokodilen sehen. Die Schlussfolgerung für die Dorfbewohner war, dass ich die Kinder an die Krokodile verfüttert haben musste.“
 
Cherie legte das Huhn weg, das schnell anfing aufzutauen, und beschrieb den verärgerten Mob wie eine Szene aus einem Frankenstein-Film. „Wären wir zu Hause gewesen, hätten sie uns getötet. Es waren über 100 wütende Dorfbewohner und sie hatten Macheten und Fackeln“, sagte sie.

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„Zuerst plünderten sie unser Haus. Sie erschossen und erschlugen jedes Krokodil, das sie fangen konnten, mindestens sieben Stück, vielleicht mehr. Dann legten sie Feuer.“ Die Polizei kam erst nach Stunden.
 
Ein Video von der Zerstörungen, das mir Cherie später zeigte, bot ein erschreckendes Bild der Ereignisse. Die Aufnahmen zeigen bis auf die Grundmauern niedergebrannte Gebäude, die verkohlten Überreste eines Babykrokodils mit herausgerissenen Eingeweiden (das Tier war für den Zoo von Chicago vorgesehen), Cheries ausgeschlachteten Geländewagen, den man nur noch anhand der übrig gebliebenen Stoßstange identifizieren konnte. Alles war verbrannt, inklusive ihrer Pässe, Geld und einer Gitarre, die Vince von John Denver geschenkt bekommen hatte. Ihr Haus bestand nur noch aus ein paar verkohlten Treppenstufen auf einer Lichtung im Urwald.

Das Video war der Beweis für ein Verbrechen, für das nie jemand—abgesehen von der Hellseherin, Delfina Alvarez Selgado—angeklagt wurde. Laut der Versicherungsunterlagen, die mir ACES zur Verfügung stellte, wurde der Fall gegen Selgado—„Vortäuschung der Fähigkeit zum Wahrsagen“—aus dem Grund abgewiesen, dass es hier „keinen Fall zu verhandeln“ gäbe.

Zurück zur Lagune, wo Vince mit Vorbereitungen beschäftigt war. „Lass uns loslegen, Cherie“, sagte er und leuchtete mit seiner Taschenlampe auf ein paar glänzende Augen, die sich direkt auf die Beute schnell durch das Wasser zubewegten. Instinktiv richtete ich meine Taschenlampe hinter mich, weil ich einen Krokodilangriff aus dem Hinterhalt befürchtete. Während das Biest lautlos auf die Falle zu schwamm, ging ich ein paar Schritte rückwärts Richtung Golfwagen und dachte darüber nach, auf dessen Dach zu klettern.
 
„Manchmal lässt der männliche Bulle das weibliche Krokodil die Beute fangen und klaut ihr später die Nahrung“, erklärte uns Cherie. Das Weibchen schnappte nach dem Hähnchen und Vince rief „Schnapp zu!“. Chris zögerte, zog dann an dem Seil und legte eine Schlinge um das Maul des Krokodils. Das Tier schlug wie wild um sich, grunzte und ächzte lautstark. Vince rannte rüber zu Chris um dabei zu helfen, das Biest aus dem Wasser zu ziehen. „Warum hast du nicht gezogen, als ich es dir gesagt habe?!“ schrie er.
 
„Du hast schnappen gesagt, nicht ziehen!“ schrie Chris zurück, während sie beide in ein tödliches Tauziehen mit einem sehr wütenden Krokodilweibchen verwickelt waren.
 
„Er ist angepisst, ihr habt da seine Braut!“, rief Cherie und leuchtete mit ihrer Taschenlampe auf ein gigantisches Krokodil, das gerade hinter seiner gefangenen Freundin aus dem Wasser auftauchte.
 
Chris und Vince kämpften noch immer mit dem Weibchen. Weil Chris zuvor gezögert hatte, war irgendetwas nicht richtig mit der Schlinge. Da merkte ich zum ersten Mal, dass ich grade einmal drei Meter davon entfernt stand. Unbewaffnet. In Zentralamerika. Niemand wusste, dass ich hier war. Ich hatte nicht mal eine Freigabe unterschrieben, wie ich es damals beim Schnorcheln hatte tun müssen.

„Ich mache den scheiß Rodeo hier nicht zum ersten Mal!“, rief Vince. „Ihr hört mir jetzt alle zu!“ Alles, was ich tun konnte, war meine Taschenlampe in die Richtung des Krokodils zu richten. Wenn ich überhaupt zu irgendetwas nützlich war, dann sorgte ich wenigstens dafür, dass wir im Hellen starben.
 
„Halt uns den Bullen vom Leib, Cherie!“, forderte Vince. Cherie nahm einen langen Stock und schlug dem Bullen auf den Kopf. „Hau ab, wir tun ihr schon nicht weh!“, rief sie. Das schien zu helfen, der Bulle sank zurück ins Wasser, wenn auch nur ein kleines Stück.
 
Chris und Vince gelang es endlich, das Weibchen zu bändigen und zu fesseln. Seine grüne Haut war voller Schleim und Beulen und ihm fehlte ein Auge.
 
Cherie sprach in Babysprache, während sie das Krokodil vermaß. „Sorry Baby, wir tun dir nichts. Wir brauchen nur deine Maße.“ Cherie spuckte auf ihre Zeige- und Mittelfinger und steckte sie in die Vagina des Krokodils. Ich weiß nicht genau warum, aber ich weiß auch nichts über das Sexleben der Krokodile.
 
Der Bulle gab ab und zu merkwürdige Geräusche von sich, aber er hatte uns wohl schon vergessen. „Komm her und berühr sie mal“, sagte Cherie zu mir. Ich zögerte und dachte, dass ich das Krokodil irgendwie misshandeln würde. „Sie ist voll mit Parasiten“, erklärte sie mir. „Wasch deine Hände danach mit Alkohol.“
 
Ich gab nach, weil ich Cherie mochte und ein bisschen Angst vor Vince hatte. Cherie machte Fotos und ritze den Krokodilschwanz mit einem Messer ein, so dass sie sie erkennen würden, wenn sie sie noch ein Mal fangen sollten. Zufrieden und erledigt entließ Vince das Krokodil. Es tauchte sofort wieder zurück ins Wasser.