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Interviews

„Für mich ist das Politik, manche würden das Erpressung schimpfen“—Wikinger-Abnerden mit Amon Amarth

Wir haben mit Hegg von Amon Amarth über sein liebstes Thema geredet: Wikinger und warum sie einfach bessere Menschen waren, als man sie heute irgendwo finden kann.

Gleich mal Tacheles: Amon Amarth machen KEINEN Viking Metal! So etwas gibt es im Prinzip nicht, auch wenn Bands wie Bathory, Enslaved und Turisas dazu gezählt werden. Wegen ihrer folkigen Melodien und den vertonten Wikinger-Sagen, schon klar. Nur meint der Begriff meist Pagan Metal-Bands. Jedenfalls sind Amon Amarth aus einem ganz anderen Holz geschnitzt.

Bei den Schweden gibt es keine frohlockende Fiedeln und kein blechern schepperndes Akkordeon. Amon Amarth sind aus Todesstahl gegossen, ihre Fertigkeit: Melodic Death Metal der alten Schule. Warum sie trotzdem immer zu den Nordmännern gezählt werden? Wegen der dicken Bäuche, der langen Bärte und weil Growl-Experte Johan Hegg unentwegt Wikinger-Sagen rezitiert. Tja, wer sich einmal den Ruf als wandelndes Geschichtsbuch eingebrockt hat, der muss da durch und ständig den Erzähl-Opi mimen.

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Nutzen wir doch die Gunst der Großmeisters und lassen uns eine Lehrstunde in Sachen Wikinger-Geschichte von Johan Hegg geben. Mit zermürbend tiefer Stimmgewalt schwadroniert der Schwede an der Seite von Gitarrist Johan Söderberg gelassen über die Geheimnisse der Nordmänner, für dessen Entweihung er vor tausenden von Jahren sicher das Langschwert im Nacken gespürt hätte.

Noisey: Wie kamst du überhaupt dazu, dich so dermaßen für Wikinger zu interessieren?
Hegg: Das fing bei mir im Alter von zehn Jahren an. In der schwedischen Literaturstunde lasen wir über die Wikinger-Sagen. Nicht viel in der Schule, aber ich fand es so interessant, dass mir meine ältere Schwester, die auch interessiert war, noch ein Ruck in diese Richtung gab. Ich stieß auf diese wunderbare dänische Comic-Serie Valhalla, die ich bis heute liebe. Für mich wurden die alten nordischen Sagen weit interessanter als Herr der Ringe und all das Zeug, was meine Freunde lasen. Wikinger-Sagen sind wie Fantasy-Bücher, nur irgendwie wahr.

Sind sie wirklich wahr?
Es sind Legenden. Ein Funken Wahrheit steckt also drin, dann auch wieder nicht, haha. Natürlich ist die Mythologie nur Mythologie, aber die Sagen und Legenden wie Njála, Heimskringla oder über die Jomswikinger gründen auf historischen Begebenheiten, die verifiziert wurden, wenn auch mit ein wenig extra Action und spannenden Nebengeschichten ausgeschmückt.

Sicherlich wurden die stark von der damaligen Ethik und Ideologie geprägt.
Ja. Besonders die Mythologie. In der Poetischen Edda war das praktisch angelegt. Sie steckt voll guter, gewöhnlicher Regeln fürs Leben, zeigt, wie man glücklich und erfolgreich wird und wie man nicht wie ein verdammtes Arschloch wirkt.
Söderberg: Basierend auf gesundem Menschenverstand.
Hegg: Einfache Regeln, da gibt es ein paar Phrasen: „Der unkluge Mann liegt die ganze Nacht wach und grübelt über alles. Wenn der Morgen kommt, ist der Mann müde und die Probleme sind noch dieselben.“ Wenn man also Probleme hat, sollte man zu Bett gehen, gut schlafen, ist wieder frisch, kann damit umgehen und sorgt sich nicht so viel.

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So schön wie Balance und Meditation im Buddhismus. Aber was fasziniert euch am meisten an den Wikingern?
Der Fakt, dass sie die Welt bereisten. In offenen Schiffen überquerten sie die Ozeane, sind nach Nordamerika vorgestoßen. Ich bin mehr und mehr begeistert davon, dass sie so intelligent in allem waren. Sie waren politisch, sind zum Beispiel zu den britischen Inseln geschifft, zum lokalen König gegangen und haben gesagt, was sie wollen und warum sie da sind. „Gib uns das oder wir marschieren in dein Land ein.“ Für mich ist das Politik, manche würden das Erpressung schimpfen.

Russland wurde durch schwedische Wikinger gegründet, die nach Konstantinopel—heute Istanbul—reisen wollten. Sie wurden so müde davon, von Nomaden angegriffen zu werden, dass sie ein Bündnis eingingen. Niemand hätte gewinnen können, also bauten sie eine Stadt und dann ein Land auf, um Leute, die vorbeiwollten, zu besteuern. So gründeten sie Kiew, die Geburtsstätte Russlands. Die Idee: Niemand wird gewinnen, also lasst uns zusammenarbeiten, dann gewinnen alle. Das ist eine gute Beschreibung ihrer diplomatischen Fähigkeiten. Wikinger waren erfahrene Händler, Kaufleute, Bauern und Krieger. Jeder Aspekt ihres Lebens war viel komplexer als Leute heute denken.

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Stimmt es, dass die Wikinger Nordamerika besiedelten, bevor Columbus ankam?
Yeah. Teile der Geschichte fälschen das. Die Wikinger siedelten im 11. Jahrhundert nach Nordamerika über. Sie kamen in Neufundland an, was heute an der Küste Kanadas liegt. Dort lebten sie vierzig Jahre, bevor sie zurück nach Grönland und Island kehrten. Es ist erwiesen, dass die Wikinger bis runter nach Manhattan, heute New York, kamen. Es gibt aber auch Inschriften in mexikanischen Minen, die von blauäugigen Götter erzählen, die auf Drachen über den Ozean kommen. Es ist Interpretation, macht aber auch Sinn. Wenn die Wikinger 40 Jahre in Nordamerika waren, wären sie nicht an einem Ort geblieben. Sie sind Reisende, immer am Entdecken.

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Also ging es Ihnen gar nicht ums gewalttätige Einmarschieren, sondern ums Entdecken?
Wikinger haben nie wirklich Kulturen überfallen. Zum Beispiel die Pikten, die Minderheit in Schottland, eine kleine Gruppe im Norden. Lange Jahre wurde übermittelt, dass die Wikinger alle Pikten in Schottland getötet haben. Als sie dann aber in der Lage waren, DNS von Grabfunden zu untersuchen, haben sie skandinavische DNS mit schottischer verglichen und herausgefunden, dass die Pikten nicht ausradiert wurden. Um Konflikte zu vermeiden, haben sich die Wikinger damals mit den Pikten verheiratet, sich also integriert.

Waren die Wikinger eine der stärksten Mächte damals?
Nein, weil sie so gar nicht organisiert waren. Hätten sie eine Nation gehabt und sie anders aufgebaut, dann wären sie vielleicht ungemein mächtig gewesen. Im Wikinger-Zeitalter gab es aber einige Könige, große und kleine. So viele Rivalitäten gab es zwischen den verschiedenen Wikinger-Klans. Trotzdem waren sie noch eine Kraft, mit der besonders in Europa gerechnet werden musste. Wegen ihren Fertigkeiten auf dem Schlachtfeld und ihrer politischen Fähigkeiten.

Apropos Schlachtfeld: Was ist so besonders an den Jomswikingern, nachdem du das neue Album Jomsviking benannt hast?
Jomswikinger waren eine führende Kraft der Wikinger, eine Bruderschaft mit sehr strengen Normen. In Paris könnte man sie vergleichen mit der französischen Fremdenlegion. Jeder kann beitreten, solange er zwischen den Altersgrenzen ist und den strengen Regeln gehorcht. Für die Schlacht gab es folgende: „Keiner macht einen Rückzieher, solange der Nebenmann keinen macht.“ Also im Prinzip machte niemand einen Rückzieher. Sie waren erbitterte, brutale Krieger, aber auch pragmatisch im Sinne von geldgierig. Obwohl sie heidnisch waren, vermieteten sie ihre Dienste an Christen wie an Heiden gleichermaßen, es war ihnen egal.

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Also lobst du die Jomswikinger auf dem Album oder verteufelst sie?
Weder noch. Ich beschreibe nur, wie sie waren und ein wenig darüber, was sie getan haben und wie ihre Mentalität war.

Welche starken Features von Wikingern vermisst ihr in der heutigen Gesellschaft?
Ehrlichkeit, Loyalität und das eigene Wort einhalten. Vor allem in der Politik fehlt das heute. Aber es gibt noch mehr, was die Wikinger verstanden haben und was verloren ging. Vielleicht war die Welt damals aber auch viel einfacher.

Würdet ihr immer noch behaupten, dass ihr moderne Wikinger seid?
In gewissem Sinne, ja.
Söderberg: Wenn du uns als Weltentdecker siehst, die neue Gebiete erforschen wollen, dann ja. Wikinger suchten ständig nach neuen Ländern und hatten keine Angst vorm Meer, wie es Leute später hatten. Im Mittelalter wurde die Menschheit christianisiert, sodass sie ängstlicher wurde, rauszugehen. Wikinger wollten sehen, was es alles gibt.
Hegg: Es ist schwer, mich als Wikinger zu sehen, ich bin ja nur, was ich bin. Aber natürlich ist das ein Teil von mir. Als Band erkunden wir die Welt, und das nur, indem wir Metal spielen.

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