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Cadel Evans war einer der bedeutendsten Radfahrer aller Zeiten

Der australische Radprofi Cadel Evans hat vor wenigen Monaten seinen Rücktritt erklärt. Wir blicken auf die Karriere eines großen Kämpfers zurück und erklären, was ihn so besonders gemacht hat.
Foto: USA TODAY

Andy Schleck war an diesem Tag einfach nicht zu stoppen. Rund 60 Kilometer vor dem Ziel war er ausgerissen und hatte mit seinem Soloritt hinauf zum gefürchteten Col du Galibier den Vorsprung im Gesamtklassement vom gefeierten Lokalmatador Thomas Voeckler auf gerade einmal 15 Sekunden eingeschmolzen. Eine echt eindrucksvolle Vorstellung, weswegen sich die Experten einig waren: Der Toursieg würde 2011 nur über den jüngeren der beiden Schleck-Brüder gehen.

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Und bestimmt hätten sie auch Recht behalten, wenn weiter unten am Berg nicht ein gewisser Cadel Evans unaufgeregt und kraftvoll die Serpentinen hochgefahren wäre. Während Schleck im Zielbereich schon seinen Triumph auf der 18. Etappe ausgiebig feierte, hatte ihm sein Verfolger Evans—auch wenn er an dem Tag nur Dritter wurde—auf dem Schlussanstieg mehr als zwei Minuten abgenommen und somit den Grundstein für den ersten Gesamtsieg eines Australiers bei der Tour de France gelegt. Denn nur wenige Tage später, auf der 20. und vorletzten Etappe, zeigte Evans eine bärenstarke Leistung und kam am Ende des Einzelzeitfahrens mehr als zweieinhalb Minuten vor Andy Schleck ins Ziel.

Es ist bezeichnend, dass sich Evans den Toursieg nicht durch eine spektakuläre Attacke bei einer Bergetappe sicherte, sondern durch einen leisen Triumph beim Kampf gegen die Uhr. Anfang Februar hat Evans nun seine Karriere beendet. Eine Karriere, die gerade am Anfang von Schwierigkeiten, bitteren Niederlagen und vielen zweiten Plätzen gezeichnet war. Natürlich hat er auch große Siege einfahren können, doch was ihn wirklich auszeichnete—und ihn von den anderen im Fahrerfeld abhob—war die Tatsache, dass er auch nach den bittersten Niederlagen nie aufgab, sondern mit einem fast schon trotzigen Jetzt-erst-recht-Gefühl ins nächste Rennen ging. Es ist eine Sache, den Sprung in den Profiradsport zu schaffen und dort sogar gewisse Erfolge zu feiern, doch viel schwieriger ist es, sich von einem Sport—bei dem Misserfolge die Regel und nicht die Ausnahme darstellen—nicht unterkriegen zu lassen.

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Un die knappen Niederlagen, die Evans im Laufe seiner Karriere einstecken musste, hätten schmerzvoller kaum sein können. Bei der Tour de France 2007 trennten ihn am Ende gerade einmal 23 Sekunden vom Gesamtsieger Alberto Contador, der zweitkleinste Rückstand der Tourgeschichte. Im nächsten Jahr, als Evans als Favorit auf den Gesamtsieg gehandelt wurde, lagen nach der Schlussetappe wieder nur 58 Sekunden zwischen ihm und dem Sieger Carlos Sastre aus Spanien. Evans war da 31 und hatte es geschafft, in den letzten vier Jahren durchweg Top-Ten-Platzierungen einzufahren. Doch gegen die jüngeren Fahrer im Feld wie Contador und Schleck sollte es eben (noch) nicht zum ganz großen Triumph reichen. Und das, obwohl er gerade erst die Terrorherrschaft von Lance Armstrong überstanden hatte. Das Timing schien es also nicht gut mit dem Australier zu meinen.

Je näher er einem Sieg auf einer der drei großen Rundfahrten—die Rede ist vom Giro d'Italia, der Vuelta a España und natürlich der Tour de France—kam, desto dramatischer und grausamer wurden seine Niederlagen. 2009 wurde er bei der Vuelta hinter Alejandro Valverde und Samuel Sánchez Dritter. Sein Rückstand auf den Sieger betrug im Gesamtklassement 1:32 Minuten, genau die Zeit, die er aufgrund eines Platten—und der Inkompetenz eines Servicefahrzeugs—während einer wichtigen Bergetappe verlor.

Aber so ist nun mal der Profiradsport: Fast jeder verliert in fast jedem Rennen. Wenn 180 Fahrer an den Start gehen, werden im Zielbereich fast alle enttäuscht vom Sattel steigen müssen. Selbst als dem großen Eddy Merckx 1971 die beste Saison in der Geschichte des Radsports gelang, hatte er am Ende mehr Rennen verloren als gewonnen. Willst du als Radprofi großen Erfolg haben, musst du lernen, mit Misserfolgen umzugehen—was natürlich für mittelmäßige Fahrer, für die schon jede Top-Ten-Platzierung ein Riesenerfolg ist, deutlich einfacher ist. Nicht aber so für Cadel Evans, der schon 2005 zum Messias des australischen Radsports gesalbt wurde und von dem sich ein ganzes Land endlich einen Toursieg erhoffte. Da waren zweite Plätze natürlich nicht genug.

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Foto via Presse Sports—USA TODAY Sports

Knappe Niederlagen, wie sie Evans wieder und wieder erleben musste, haben schon ganze Karrieren zerstört. Der Deutsch-Australier Heinrich Haussler, zum Beispiel, hat sich von seinen dramatisch knappen Niederlagen beim Klassiker Mailand-Sanremo und bei der Flandern-Rundfahrt—beide im Jahr 2009—nie wirklich erholen können. Er ist seitdem für drei verschiedene Teams an den Start gegangen, hat aber nie wieder an seine alten Leistungen anknüpfen können und bei wichtigen Rennen keine Podiumsplatzierungen mehr geschafft. Andy Schleck wurde dreimal in Folge „„nur" Zweiter bei der Tour de France und hat im letzten Jahr—im Alter von gerade einmal 29 Jahren—seinen Rücktritt verkündet. In den letzten Jahren seiner Karriere war Schleck vor allem durch Eskapaden—samt Alkoholexzessen—neben der Rennstrecke aufgefallen. Sein Triumph am Col de Galibier war das letzte Mal, dass er ein Radrennen gewinnen sollte. Da war er 26 Jahre alt.

Was uns zurück zu Cadel Evans bringt. Nur eine Woche, nachdem er auf schmerzliche Weise die Spanienrundfahrt verloren hatte, krönte sich ein immer noch frustrierter Evans in der Schweiz dank eines beherzten Solos zum Weltmeister im Straßenrennen. Dieser Sieg—der ihm endgültig zum Durchbruch verhalf—schmeckte umso süßer, weil er zuvor noch nie ein Einzelrennen für sich entscheiden konnte. Das sogenannte Regenbogentrikot des aktuellen Weltmeisters verhalf ihm in Folge zu einer Reihe von tollen Resultaten, darunter auch ein denkwürdiger Sieg bei einer von Regen, Schlamm und vielen Unfällen begleiteten Etappe beim Giro d'Italia 2010. Und nur ein Jahr später holte er sich endlich den langersehnten Gesamtsieg bei der Tour, wo er zum ältesten Sieger seit dem 2. Weltkrieg wurde. Und beim letztjährigen Giro trug Evans—im stattlichen Radprofialter von 37 Jahren—fast eine Woche lang das Rosa Trikot des Gesamtführenden, um am Ende auf einem beachtlichen 8. Platz zu landen. Man kann davon ausgehen, dass er noch einiges im Tank hätte, dennoch entschied er sich jetzt, mit dem Radsport aufzuhören. Ganz nach dem Motto: Ich mache dann Schluss, wenn ich nicht mehr will, anstatt so lange zu warten, bis mein Körper und mein Team mich nicht mehr wollen.

Seine letzte Rundfahrt auf der World Tour, die Tour Down Under im Januar, war ein angemessener Schlusspunkt für Evans' einzigartige Karriere. Als sein Teamkollege Rohan Dennis die dritte Etappe für sich entscheiden konnte, beschloss Evans, seine eigenen Ambitionen auf einen letzten Sieg aufzugeben und stattdessen für Dennis zu fahren, um ihm so zum Gesamtsieg zu verhelfen. Evans wurde Gesamtdritter und musste sich am Ende nur Dennis sowie Richie Porte—den kommenden Stars in der australischen Radsportszene—geschlagen geben.

Evans hat viel für den australischen Radsport getan—was in seiner Heimat, neben dem Toursieg natürlich, als sein größtes Vermächtnis gilt. Vor zehn Jahren gab es zwar auch schon halbwegs erfolgreiche Australier auf der World Tour, doch da sie bei vielen unterschiedlichen Teams unter Vertrag standen, herrschte unter den australischen Radprofis kein Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit. Mittlerweile hat das Land ein eigenes und äußerst erfolgreiches Radsportteam (Orica-GreenEDGE), während der Australier Rohan Dennis den Stundenweltrekord hält. Natürlich ist das nicht alles der Verdienst von Cadel Evans. Doch er war zweifelsohne die zentrale Figur hinter Australiens Aufstieg zu einer Radsportnation. Er war einer der stärksten und beständigsten Fahrer des letzten Jahrhunderts. Ein Mann, der sich von der unbarmherzigen Natur des Sports—mit all seinen unvermeidlichen Niederlagen und Rückschlägen—nie unterkriegen ließ. Ein großer Kämpfer, der aufgrund seiner Karriere zu einem australischen Radsportidol wurde.