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The Profiles Issue

Wie das dänische Rechtssystem die Identität von Thomas Altheimer verriet

Im September 2008 erhielt der dänische Künstler einen Anruf seiner achtjährigen Tochter. Sie wollte wissen, warum ganz Kopenhagen mit seinem Konterfei plakatiert war. Altheimer lebte damals in einem Wiener Vorort und war völlig ahnungslos.

Fotos von Michael Marcelle

Im September 2008 erhielt der dänische Künstler Thomas Altheimer einen Anruf seiner achtjährigen Tochter. Sie wollte wissen, warum ganz Kopenhagen mit seinem Konterfei plakatiert war. Altheimer lebte damals in einem Wiener Vorort und war völlig ahnungslos. Erst als er einen Freund in Dänemark anrief, erfuhr er, dass es sich bei den Plakaten um Werbung für ein neues Buch von Gyldendal, dem größten dänischen Verlag, handelte. Der Roman mit dem Titel Suverænen oder The Sovereign stammte von Altheimers ehemaligem künstlerischen Partner, Claus Beck-Nielsen, der jetzt unter dem Namen Das Beckwerk arbeitete.

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Fünf Tage darauf hielt Altheimer selbst ein Exemplar des Buches in der Hand, mit seinem Gesicht auf der hochglänzenden Buchhülle. Zwar wird Altheimer in The Sovereign—einem Schlüsselroman zu einem Performance-Kunstprojekt, bei dem das Duo 2004 zusammenarbeitete—als fiktionale Figur geschildert, doch unter Angabe seines vollen bürgerlichen Namens. Der Text enthält seine tatsächliche Privatadresse, die Namen seiner Kinder sowie Abschnitte aus seinem Blog und privaten Briefen. Im Epilog geht es um das winzige Dorf Horne, wo Beck-Nielsen von Tür zu Tür gegangen war, um Altheimers Kindheits-Nachbarn zu dessen Jugend zu befragen.

Altheimer las den Roman in einem Rutsch durch und beschloss, juristisch dagegen vorzugehen.

„Das Ganze war höchst surreal“, erzählte er mir später. „Wir alle tragen unsere Geschichte mit uns herum und plötzlich ist da jemand, der weiß, wie er die Geschichte in meinem Kopf erzählen soll.“

Thomas Altheimer ist 1,93 Meter groß und seine Haltung hat etwas von der europäischen Noblesse vergangener Zeiten. Aus bestimmten Blickwinkeln erinnert er an Julian Sands in der Mitte seiner Schauspielkarriere. Er besitzt einen Bachelor und einen Master of Arts in vergleichender Literaturwissenschaft, einen weite­ren Bachelor in Politikwissenschaft, einen Master of Reasearch in Cultural Studies und einen Doktor in Art Practice. Wenn er gut gelaunt ist, wirkt er wie die Art Mann, die diplomatische Immunität genießt.

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Altheimer lernte seinen späteren künstlerischen Partner erstmals 1999 kennen, als Stimme in einem dänischen Radiosender. Claus Beck-Nielsen wurde zu seinem ersten Buch Horne Land interviewt. Als Kind hatte Beck-Nielsen den Sommer in Altheimers Heimatdorf verbracht und beschlossen, unter dem Blickwinkel liebevoller Erinnerungen über den Ort zu schreiben. Die Geschichte rief in Altheimer eine verwirrende Eifersucht hervor, so, als habe jemand beschlossen, sich das Urheberrecht für seine Kindheit anzueignen.

Drei Jahre später nahm Altheimers Leben eine radikale Wendung. Er war mit seinem Bürojob in der dänischen Einwanderungsbehörde immer unzufriedener und schuf deshalb Ticket to Denmark, eine Website, die Ausländer dabei unterstützen sollte, Dänen kennenzulernen und diese zu heiraten, um die dänische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Bereits kurz nach dem Start wurde Ticket to Denmark den Behörden gemeldet und Altheimer wurde gefeuert. Das Ereignis sollte sich für ihn jedoch als Weckruf erweisen und Altheimer wurde klar, dass er in seinem Leben gerade einen radikalen Neustart hingelegt hatte, weg von einer normalen Bildungs- und Berufslaufbahn hin zu etwas Dramatischem und Unbekanntem.

Etwa zur gleichen Zeit erfuhr Altheimer, dass Beck-Nielsen, der in der dänischen Kunstszene ein gewisses Ansehen genoss, die Nutzungsrechte an einem Kopenhagener Theater zugesprochen worden waren, und schrieb dem Künstler einen Brief, in dem er auf sein eigenes Bravourstück verwies und um ein Praktikum bat.

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Altheimers Brief stach hervor, zum einen wegen seines ungewöhnlichen akademischen Hintergrunds, zum anderen, weil er auf Beck-Nielsen „verrückt“ wirkte. Die beiden telefonierten und bald war Altheimer Beck-Nielsens Assistent.

Beide Männer probierten gerne neue Namen und Persönlichkeiten aus. Der als Thomas Skade-Rasmussen Strøbech geborene Altheimer (sein „Künstlername“) hat schon eine ganze Reihe von Nachnamen verwendet, darunter Cohen, Rasmussen, van Brunt und van Woestenburg. Claus Beck-Nielsen hat sich selbst Helge Bille Nielsen (nach dem verstorbenen Vormieter seiner Wohnung) und Das Beckwerk (nach seinem Theater in Kopenhagen, das er wiederum nach sich selbst benannt hatte) genannt. Zu Anfang hießen sie einfach Rasmussen und Beck-Nielsen. Zumindest für Altheimer waren sie ein „Duo“. Beck-Nielsen betrachtete ihre Beziehung anders. Als ich ihn in einer E-Mail fragte, ob er ihre Zusammenarbeit als Freundschaft bezeichnen würde, antwortete er mit einem unmissverständlichen „Nein. Vom ersten Tag unseres Kennenlernens an war unser Verhältnis stets formeller Natur.“

Er fügte hinzu: „Natürlich hege ich keine Abneigung gegen Thomas Skade-Rasmussen Strøbech, Thomas Altheimer, Rasmussen oder wie er sich sonst nennt. Im Gegenteil: Ich liebe ihn, auf platonische Weise, wirklich und mit einem sehr, sehr komplizierten—das sicherlich—aber ganz eigenen und vielleicht lebenslangen Mitgefühl [sic].“ In einer anderen E-Mail bezeichnete er Altheimer als seinen besten „Dämon“.

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Nachdem Altheimer sich zur Klage entschlossen hatte, brauchte er mehrere Monate, um genügend Geld für einen Anwalt aufzubringen. Anfang 2009 reichte er schließlich Klage gegen Beck-Nielsen ein wegen Verleumdung, Verletzung der Persönlichkeitsrechte und der kommerziellen Nutzung geistigen Eigentums. Im Laufe der nächsten beiden Jahre verschliss er vier Anwälte. Der erste „erwies sich als Gauner“, der zweite bekam kalte Füße und der dritte lehnte es ab, gefilmt zu werden.

Dieser letzte Punkt war entscheidend, denn Altheimer filmte schier unersättlich einfach alles—Gespräche, Schriftverkehr, Meetings, Konfrontationsversuche—was mögliche Rückschlüsse über die verworrenen Zusammenhänge der ehemaligen Beziehung zwischen ihm und Beck-Nielsen erlauben würde. Aus diesem Material schuf der dänische Regisseur Max Kestner 2012 den Dokumentarfilm I Am Fiction. Das Betrachten des Resultats ist an vielen Stellen schmerzhaft—das intime Porträt eines Mannes, den der Verrat eines engen Freundes nicht loslässt. An einigen Stellen bezeichnet er Beck-Nielsen als „Körperdieb“ und „Vampir“, an anderen sehnt er sich nach Kontakt mit seinem alten Weggefährten. Die freimütige Darstellung des emotionalen Konflikts in Verbindung mit der gemeinsamen Geschichte der Männer brachte einige dazu, sich zu fragen, ob es sich bei der ganzen Sache nicht um ein sorgfältig konstruiertes Stück Performancekunst handelte.

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Altheimer reagierte ungehalten, weil er bei der Endfassung nicht das letzte Wort hatte. Regisseur und Filmsubjekt hatten Mühe, einen Verleih für den Film zu finden. Er wurde einmal auf einem Filmfestival im schwedischen Malmö gezeigt. Ein Jahr später wurde die Dokumentation im dänischen Fernsehen laut Altheimer von nur 26.000 Zuschauern gesehen.

Altheimer hatte im Vorfeld des Krieges gegen den Irak mit seiner Arbeit als Beck-Nielsens Assistent begonnen. Für die winzige Kunstszene Kopenhagens stellte der Krieg eine fast schon existenzielle Krise dar. Das Theater reagierte auf die Weltereignisse mit der Umgestaltung eines Zwölf-Meter-Frachtcontainers im Stadtzentrum zum Meeting- und Performanceraum. Man gab dem Container den Namen „Democracy“ und versuchte kurz nach der Invasion, ihn in den Irak zu verschiffen. Aber leere Container kann man nicht verschiffen, also blieb er da, wo er war. Gespräche über die Möglichkeiten eines dramatischeren Statements zum Krieg führ­ten zu Auseinandersetzungen innerhalb der Theatergruppe. Als sie feststellten, dass der Rest der Gruppe ihre künstlerische Vision nicht teilte, beschlossen Altheimer und Beck-Nielsen, es auf eigene Faust zu versuchen.

Die beiden Männer trafen Ende 2003 in Kuwait ein. Ihr neuer Plan bestand darin, dem Irak eigenhändig eine kleinere Democracy-Box in Gepäckstückgröße zu übergeben. Zur Einreise war damals eine Genehmigung erforderlich, also beschlossen sie, sich im Anzug als „offizielle Botschafter der westlichen Kultur“ vorzustellen.

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Als sie in ihren Anzügen im Hauptquartier des Multi-National Command in Kuwait City eintrafen, wussten die britischen Befehlshaber nicht recht, was sie mit ihnen anfangen sollten. Schließlich hörte ein Colonel—ein ehemaliger Theaterstudent aus Oxford, wie sich herausstellte—von ihrer misslichen Lage und verkündete: „Ihr seid Rosenkranz und Güldenstern.“ Er ließ sie beide ein Exemplar von Hamlet signieren und befahl dann einem kuwaitischen General, ihnen Einreisegenehmigungen auszustellen. Der General brüllte: „Werft sie den Löwen vor!“

An Neujahr erwischten sie ein Taxi, das sie zur irakischen Grenze brachte, und marschierten Jetlag-geplagt zu Fuß über die Grenze. Die Trostlosigkeit dieses Niemandslandes erinnerte Altheimer an Flucht aus New York. Die beiden hatten sich völlig übernommen. Ein vereinbarter Kontaktmann holte sie ab und brachte sie in ein Hotel nach Basra.

Bei ihrem Eintreffen diskutierten die beiden, ob die Demokratiebotschafter bewaffnet sein sollten. In Basra und Baghdad unternahmen sie mehrere Versuche, von Konsulaten der Übergangsverwaltung Waffen zu erhalten. Bei einem dieser Versuche reichte Altheimer einen Zettel mit der Aufschrift „Wir hätten gerne Waffen“ durch das Haupttor. Die Männer schliefen in billigen Hotels, Privathäusern und Flüchtlingsunterkünften, während draußen eine Kakofonie aus Eseln, Explosionen, Geschützfeuer, Hubschraubern und Muezzins tobte.

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Sie ließen die Box an einer von der französischen Botschaft finanzierten Kunstakademie in Bagdad zurück und entschieden sich zur Rückkehr. Mehrere Monate darauf gewährte das dänische Außenministerium Altheimer eine großzügige Fördersumme für die Rückkehr in den Irak, doch hatten die Aufständischen mittlerweile damit begonnen, Ausländer zu enthaupten, und das Angebot wurde bis Oktober ausgesetzt, als beide Männer kurz in den Irak zurückreisen konnten, um die Democracy einzupacken und sich schleunigst wieder davonzumachen. Die Box reiste „zu Reparaturzwecken“ weiter nach Washington, D.C. und 2006 in den Iran, wo die beiden Männer sie nach einer weitaus ereignisloseren Reise in den Hügeln über Teheran zurückließen.

In seinem Roman The Suicide Mission aus dem Jahr 2005 verwertete Beck-Nielsen ihre Irakreise als Quellenmaterial. In dem Buch taucht Altheimer als „Rasmussen“ auf. Zum damaligen Zeitpunkt betrachtete Altheimer dies als akzeptable Distanzierung von seiner wahren Identität. Als ich Beck-Nielsen auf das Buch ansprach, meinte er:
The Suicide Mission ist—oder wurde—die autorisierte Version der Geschichte (bzw. dieses Teils der Geschichte), was meinen Rasmussen natürlich verärgert hat, weil er sofort zu der Ansicht kam, dass ich unser gemeinsames Abenteuer gestohlen und allein davon profitiert hätte. Mit The Sovereign wurde ihm schließlich alles genommen: sein Name, sein Bild, seine Geschichte, sein Leben, seine Identität [sic].“

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In vielen Staaten würde man die Aneigung seiner Identität, wie sie Altheimer erleben musste, sicher als schweren zivil- oder strafrechtlichen Verstoß behandeln, aber in Skandinavien betrachtete man Beck-Nielsens Vorgehensweise bei The Suicide Mission weitgehend als sein Vorrecht als Autor. Was diese Themen anbetrifft, so herrscht in Skandinavien eine weitaus größere Grauzone. Trotz eines geltenden Gesetzes gegen Hassreden rangiert Dänemark in der weltweiten Rangliste für Pressefreiheit auf Platz sieben. Altheimer führte die kulturelle Mentalität als Hauptgrund für die gleichgültigen Reaktionen auf seinen Fall an. Seiner Ansicht nach besteht zwischen den Rechtssystemen in Skandinavien und dem Rest der westlichen Welt eine große Kluft, eine Lücke, in die Personen aus Skandinavien leicht abrutschen können. In den Augen der Öffentlichkeit und des dänischen Literaturestablishments war Altheimer in der Geschichte der Böse und ein wehleidiger Denunziant. „Es gab nur mich allein gegen den größten Verlag. Dieser Verlag hat in Dänemark alles unter seiner Kontrolle. Und alle schlugen sich auf seine Seite! Ich weiß nicht, warum ich derjenige bin, dem niemand vertraut. Das ist es, was mir zu schaffen macht.“

2007 schrieb und inszenierte Beck-Nielsen das Theaterstück The Return of the Democracy, das auf ihrer Irakreise 2003 beruhte. Altheimer konnte eine Aufführung am Copenhagen Contemporary Art Center sehen und stellte fest, dass der Schauspieler, der Rasmussen spielte, eine überzeugende Darstellung seines tatsächlichen damaligen Gemütszustandes im Irak lieferte. In dem verzweifelten Bemühen, jeder Spur nachzugehen, die es ihm ermöglichen würde, die immer stärker durcheinandergeratenden Puzzleteile seines Lebens wieder zu ordnen, spürte Altheimer den Schauspieler auf, der Beck-Nielsen gespielt hatte, und sprach ihn vor einer Kopenhagener Bar an. Während ihres kurzen Wortwechsels, der in I am Fiction wiedergegeben—oder möglicherweise dafür inszeniert—wurde, erzählt Altheimer ihm, dass er Probleme habe, die Figur und den Schauspieler auseinanderzuhalten und dass es für ihn schon eine Provokation sei, jemanden Beck-Nielsen auf der Bühne spielen zu sehen. Der Schauspieler, Thomas Mork, nickt, sagt ihm, dass es wichtig sei, zwischen den beiden zu unterscheiden, und verzieht sich dann schnell wieder in die Bar.

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Zu Altheimers großem Leidwesen entsprach das Geschehen im Vorfeld des Verfahrens dem Aufstieg seines Rivalen in der dänischen Kunstszene. Im November 2010, vier Monate vor der Urteilsverkündung, richtete die königliche dänische Akademie der schönen Künste einen Empfang zu Ehren der Schreib- und Performancekunst von Beck-Nielsen aus. Altheimer beschloss, uneingeladen hereinzuplatzen. Er hatte eine Menge Wodka getrunken und, zum Zeitpunkt seines Eintreffens, bereits vergessen, was er ursprünglich hatte sagen wollen. Stehend verkündete er dem Publikum: „The Sovereign ist ein beschissenes Buch“, und fing an, unzusammenhängende Tiraden gegen die Heimatstadt von Beck-Nielsen loszulassen, bevor er schließlich den Faden verlor.

Im Januar flog Altheimer nach Oslo, um sich mit dem norwegischen Verleger von The Democracy—Destination: Iraq zu treffen, eine Sammlung von Schriften von „Rasmussen und Nielsen“, die er, wie er überrascht feststellen musste, ohne sein Wissen mit verfasst hatte. Der Verleger empfing ihn höflich, ohne sich jedoch dafür zu entschuldigen, dass er seine Arbeit ohne Zustimmung oder Entschädigung vermarktet hatte. Mehrere norwegische Anwälte teilten ihm mit, dass dies nicht reichen würde, um vor Gericht zu gehen.

Im darauffolgenden Monat versuchte Altheimer, in die Offensive zu gehen. Mit einem manipulierten Exemplar des Buchumschlags bewaffnet, flog er nach New York, in der Absicht, The Sovereign dort als eigenen Roman vorzustellen, sich auf diese Weise zu rächen und Beck-Nielsen gleichzeitig auf eine fiktive Figur zu reduzieren. Er sprach mit drei Verlegern, die ihn allesamt abwiesen, zum Teil mit unverhohlener Verachtung. Schließlich hatte er gerade noch genügend Bargeld in der Tasche, um wieder zum Flughafen zu gelangen.

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An die Rolle des frustrierten Künstlers hatte sich Altheimer schon gewöhnt. 2005 hatte er mit einem gewagten Stück Performancekunst in der Karibik versucht, Beck-Nielsens Schatten zu entkommen. Während der amerikanischen Besatzung von Panama City 1989 beschallte das US-Militär die Nuntiatur des heiligen Stuhls, in der Manuel Noriega Zuflucht gesucht hatte, über gewaltige Lautsprecher mit Guns N‘ Roses, um ihn zur Aufgabe zu zwingen. Altheimer beschloss, mit den gleichen Mitteln gegen Amerika vorzugehen und vor dem US-Marinestützpunkt in Guantánamo Bay klassische Musik in hoher Lautstärke zu spielen. Ihm schwebte ein aus Miami eintreffendes Kreuzfahrtschiff vor. Er würde umgeben sein von Intellektuellen, die ihrem aufrechten Zorn durch eleganten Sarkasmus und laute Musik Ausdruck verliehen. Das Ganze wäre wie bei Billionaires for Bush, aber auf dem Meer, und wesentlich lustiger. Letztendlich mietete er ein kleines Boot in Jamaika, nach einem Wirbelsturm. Bereits zu Beginn der Reise verlor das Boot durch schlechtes Wetter einen Motor. Die Tagesreise dauerte drei Tage lang und als nichts mehr zu essen da war, trank er weißen Rum. Bei der Ankunft in Guantánamo hielt Altheimer betrunken einen Ghettoblaster hoch, den er in Jamaika gekauft hatte. Die Wellen übertönten das Dröhnen der dritten Sinfonie von Beethoven.

2008 leitete er eine politische Scheinkampagne mit dem Titel Europe for President, die die Anhänger Obamas gegen sich aufbringen sollte (eine Obama-feindliche Tirade führte zu seinem Rauswurf bei der National Convention der Demokraten). Zwar hatte er aus vergangenen Aktionen gelernt, alles, was er tat, sorgfältig zu dokumentieren, doch etwas hatte Europe for President mit dem Guantánamo-Debakel gemeinsam: die fehlende Berichterstattung in der Presse.

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Altheimer war gerade in Wien dabei, eine anstrengende Session für den Schnitt der Dokumentation von Europe for President abzuschließen, als ihn der Anruf seiner Tochter wegen The Sovereign erreichte. Das Verfahren begann Anfang 2011 am Obersten Gerichtshof Dänemarks. Das Filmmaterial von I am Fiction aus dem Gerichtssaal zeigt ein seltsam intellektuelles Verfahren. Beck-Nielsen verteidigt sich auf künstlerische Weise und setzt seine Aneignungen in den Kontext einer umfassenderen Betrachtung zum Wesen der Realität. Auf die Frage, warum er Altheimer nicht „Rasmussen“ genannt habe, wie in The Suicide Mission, entgegnete Beck-Nielsen: „Mir ging es darum, dass die Möglichkeit besteht, dass es sich um eine echte Person handelt.“

Als der Staat Dänemark zwei Monate später zugunsten von Beck-Nielsen urteilte, fiel Altheimer aus allen Wolken. Die Möglichkeit einer Niederlage war ihm nie in den Sinn gekommen. Der Staat gab bekannt, dass er Gyldendal Publishing eine Entschädigung von 11.000 US-Dollar und Beck-Nielsen etwa 14.000 US-Dollar zahlen würde. Vor dem Gerichtssaal schüttelten sich die beiden Männer die Hand und Altheimer gratulierte dem Angeklagten verbittert zu seinem klaren Sieg. Das Urteil wurde von zwei führenden dänischen Zeitungen, Dagbladet Information und Jyllands-Posten, als Sieg der Meinungsfreiheit gefeiert.

Die Danske Bank klagte gegen Altheimer. Das Verfahren und die Schnittsessions für das Guantánamo-Material, während derer ein großer Teil des gemieteten Equipments aus einer nicht versicherten Londoner Galerie gestohlen worden war, hatten ihm Schulden in Höhe von mehreren Zehntausend Euro eingebracht. Bei der eidlichen Aussage im März 2012 brachte er stapelweise Abschriften, Artikel und Beck-Nielsens Roman bei. Vor Gericht sagte er: „Das Urheberrecht an Thomas Skade-Rasmussen Strøbech gehört Gyldendal und Helge Bille Nielsen. Das ist keine absurde Behauptung meinerseits, sondern eine Realität, die letztes Jahr vom Obersten Gerichtshof geschaffen wurde. Ich kann deshalb nicht für die Handlungen von Thomas Skade-Rasmussen Strøbech sprechen.“ Er schloss mit einem Zitat aus Herman Melvilles „Bartleby der Schreiber“, das niemanden beeindruckte.

Einen Monat später wurde ihm das Urteil telefonisch mitgeteilt. Er saß gerade auf dem Grabstein eines Friedhofs hinter dem Gefängnis, in dem sein Großvater während des Zweiten Weltkrieges dahingesiecht war. Er war bereits mit den Unterhaltszahlungen für die Kinder, Steuernachzahlungen und Studiendarlehen im Rückstand, als der freundliche Beamte ihm mitteilte, er habe zwei Wochen Zeit, um etwa 25.000 Euro zu zahlen, darunter fast 4.500 Euro für zusätzliche Gerichtskosten.

An einem regnerischen Nachmittag eine Woche nach der Urteilsverkündung steht Beck-Nielsen tropfnass in Altheimers Tür. Die beiden Männer trinken einen Tee zusammen, sitzen nebeneinander auf Altheimers Sofa, unterhalten sich und lachen. Ich fragte Altheimer, ob dieses Ende es seinen Kritikern nicht einfacher machen würde, seine eigene Authentizität anzuzweifeln. Er sagte mir: „Es gibt nur eine Person auf diesem Planeten, die weiß, was ich getan habe, was wir getan haben.“ Wir diskutierten den Begriff Opfer.

„Ich war ein Opfer, aber ich habe in dem Film auch ein Opfer gespielt und konnte zwischen diesen beiden manchmal nur schwer unterscheiden. Das ist wohl die einzige Rolle, die ich gut spiele.“

Er hatte das Gerichtsverfahren zweispurig verfolgt, als Rechtsstreit und als Kunstspektakel, und sich beide Male die Finger verbrannt. Er hatte juristisch und an öffentlichem Ansehen verloren und sogar die, die auf seiner Seite standen, waren nicht vollkommen überzeugt, dass das Ganze kein Trick war. Warum sollte man nach der vollkommenen Niederlage nicht freundlich sein zu seinem besten „Dämon“?

Beck-Nielsens Haltung zu dieser Versöhnung war blumiger und widersprüchlicher. „Ich war an der Entstehung dieses Films nicht beteiligt und habe ihn erst bei der Kinopremiere gesehen“, erzählte er mir. „Und an dem Abend nach der Premiere habe ich das Kino ziemlich berührt und mitgenommen verlassen, so, als hätte ich eine Liebesgeschichte gesehen. Ich werde in dem Film offensichtlich als Gegenspieler dargestellt, als der Böse, der Feind … Ich verließ das Kino und lief stundenlang in der kalten, klaren Kopenhagener Spätherbstnacht herum, traurig.“

In I Am Fiction zitiert der anonyme Erzähler Teile eines Briefs, den Beck-Nielsen nach dem Austausch an Altheimer schrieb:
„Du warst das Opfer, der Mensch, der seiner Geschichte beraubt wurde. Der kämpfen muss, um diese wiederzuerlangen.“

Es wäre interessant zu wissen, wie diese Versöhnung ein Jahr später, 2012, abgelaufen wäre, nach der Veröffentlichung von Beck-Nielsens Store Satans Fald (Fall of the Great Satan). Gegenstand dieser letzten (?) Fortsetzung von Beck-Nielsens Neuerfindung des Thomas Altheimer ist die Reise der beiden Männer 2006 nach Teheran. Ab einem bestimmten Punkt verschwimmt die Erzählung zu einer anderen Geschichte. Die Männer werden gefangen genommen, überführt und zum Tod durch Verhungern in den einsamen Bergen verurteilt. In der Verbannung stirbt „Rasmussen“ an Unterkühlung und Beck-Nielsen zerteilt den Leichnam, um ihn zu essen.

Als ich mit Altheimer über die Kannibalismusszene sprach, fragte ich ihn, ob er je daran gedacht habe, den Spieß umzudrehen und seine Version niederzuschreiben. „Ich kann nicht sehr gut schreiben“, antwortete er. „Es wäre nicht besonders lustig.“

„Ich bin, in gewisser Weise, absolut frei“, meinte Altheimer. Das Beste aus den unvermeidlichen Folgen des Verlustes seiner primären Identität machend, gab er seine neueste Inkarnation bekannt: Tom Dane, ein gescheiterter Schauspieler und Entertainer. Diese Identität bot den Vorteil, dass sie bereits getestet war. Der beliebte dänische Entertainer Thomas Eje hatte zehn Jahre zuvor versucht, seine Tom Dane-Show nach Vegas zu exportieren, war aber scheinbar nach Dänemark zurückgekehrt, nachdem es ihm nicht gelungen war, eine erfolgreiche Show auf die Beine zu stellen. Thomas betrachtete die Bühnenfigur als „lebendig, aber ohne Moderator“.

„Von jetzt an will ich nur noch Sachen machen, die Spaß machen. Ich kann dieses Selbstherrliche, Aufgeblasene nicht mehr machen, auch wenn ich es wahrscheinlich bin. Aber genau deshalb muss ich dagegen angehen. Also versuche ich es als gescheiterter Entertainer … vielleicht bin ich zumindest dazu in der Lage.“