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Putins Berater und der Traum vom russischen Großreich

Dugin wird als „Hirn“ hinter der russischen Intervention auf der Krim bezeichnet. „Wir werden wieder einen Kalten Krieg haben“, sagte er mir. „Aber vielleicht nicht ganz so kalt—vielleicht diesmal heiß.“

Obwohl westliche Beobachter Moskaus Einmischung in der Ukraine verurteilen, besteht kein Zweifel, dass es in dem ehemaligen Sowjetstaat Unterstützung für Putin gibt. Zwar zeigen die letzten Umfragen, dass ein Großteil der Ukrainer einen russischen Militäreinsatz landesweit ablehnt. Aber in der Ostukraine—wo pro-russische Kräfte Regierungsgebäude eingenommen und Journalisten und Militärbeobachter als Geiseln genommen haben—gibt es deutlich weniger Widerstand gegen eine russische Präsenz auf ukrainischem Boden.

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Der wachsende russische Nationalismus ist im Kreml wahrscheinlich gut angekommen. Und er wird auch dem Mann gut gefallen haben, der kürzlich als das „Hirn“ hinter der Annexion der Krim bezeichnet wurde: Alexander Dugin. Dugin ist der Leiter der Fakultät für Soziologie Internationaler Beziehungen an der Staatsuniversität Moskau und ein Berater von Sergei Naryshkin, einem Schlüsselmitglied von Putins Partei Vereintes Russland. Er hat die letzten paar Jahrzehnte außerdem damit verbracht, die Wiederherstellung des Russischen Reiches durch Aufteilung ehemaliger Sowjetrepubliken zu befürworten—expansionistische Ambitionen, die von manchen Beobachtern auch Putin selbst zugeschrieben werden.

„Wir werden wieder einen Kalten Krieg haben“, sagte Dugin mir am Telefon. „Aber vielleicht nicht ganz so kalt—vielleicht diesmal heiß.“

Vor dem Ausbruch des Krieges zwischen Russland und Georgien 2008 verkündete Dugin: „Unsere Truppen werden die georgische Hauptstadt Tiflis besetzen, das ganze Land, und vielleicht sogar die Ukraine und die Krim-Halbinsel, die historisch sowieso ein Teil Russlands ist.“ Mittlerweile ist Dugins Vision schon teilweise Realität geworden. Aber wenn es nach ihm ginge, würde die Expansion nicht mit Russlands Übernahme der Krim aufhören.

Als Gründer von Russlands Eurasischer Partei und einer der Hauptverfechter von Eurasismus setzt sich Dugin Politikverständnis aus Anti-Liberalismus, Anti-Amerikanismus und der Rückkehr zum russischen Imperialismus zusammen. Eurasismus entstand in den 1920ern unter Exilrussen und postuliert, dass Russland engere Verbindungen zu Asien als zu Europa oder zum Rest des Westens hat. Dugin träumt von der Schaffung eines neuen eurasischen Reiches, zu dem alle Staaten der ehemaligen Sowjetunion gehören sollen, das aber auch andere asiatische Länder einschließen soll.

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Durch die Schaffung dieser neuen Machtsphäre, sagt Dugin, würde Russland schlussendlich am Ruder einer neuen Supermacht anführen. „Es ist sehr wichtig, die Ukraine in diesem Kontext zu sehen“, erklärte er mir. „Es geht nicht um Russen gegen Ukrainer—es geht um den Verteidiger der Multipolarität, nämlich Putin und Moskau, gegen die Ideen der Uni-Polarität, die von Amerika und dem Westen repräsentiert werden.“

Obwohl Dugin behauptet, Eurasismus sei als Ideologie völlig anders als der Kommunismus der Sowjetunion oder der Nationalsozialismus Nazi-Deutschlands, fiel mir das im Laufe unserer Unterhaltung immer schwerer zu glauben. Der Ideologe, der für seine Nähe zum Faschismus bekannt ist, glaubt, dass Russland gerade eine „konservative Revolution“ durchmacht, die alle liberalen Strömungen beseitigen und ein neues, ideologie-getriebenes Land unter Putin hervorbringen wird. Diese Veränderung wird zu einem zentralisierten Staat führen, in dem die russische Bevölkerung unter der ultimativen Kontrolle der Regierung stehen und viele ihrer Bürgerrechte verlieren wird—dem Leben in der Sowjetunion sehr ähnlich.

Was die Zukunft der Menschen selbst angeht, fügt Dugin hinzu: „Ich glaube, dass eine neue russische Identität und Ideologie auf der Basis von Menschen als die zentrale politische Realität entstehen wird—nicht aufgrund von Ethnien oder Rassen, sondern dem Volk als Gemeinschaft.“ Damit meint er eine Gesellschaft, in der die Freiheiten Einzelner ignoriert werden und alles zum Ruhm des Staates organisiert ist—eine Rückkehr zum Totalitarismus. Wie er selber zugibt, gründet diese Idee auf den Aufbau des Staates in Nazideutschland.

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Dugin glaubt außerdem, dass diese konservative Revolution mit einer kulturellen Revolution zusammenfallen wird, bei der alle liberalen Elemente der russischen Kultur eliminiert werden. Er fügte hinzu, dass Putin diese Umwandlung bereits implementiere. In der ersten Hälfte seiner Regierungszeit habe er sich auf Machtausbau konzentriert, bis er die Opposition auf das kleinstmögliche Maß reduziert hatte.

Jetzt wird der Antrieb des Präsidenten ideologischer, behauptet Dugin—die Anti-Homo-Gesetze, die er letzten Sommer verabschiedete, passen perfekt zu der Idee einer konservativen Revolution. Die Inhaftierung dreier Mitglieder von Pussy Riot, die Intervention auf der Krim, und die Verhaftung der Greenpeace-Aktivisten auf der Prirazlomnaya-Ölbohrinsel sind weitere Beispiele für Putins autoritäre Dehnübungen.

„Ich glaube, dass die Veränderungen hier sehr schnell und zügig passieren werden, und in ein paar Jahren wird Russland ein ganz anderes sein, als es jetzt ist“, sagte mir Dugin.

Wladimir Putin und der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan (Foto via)

Putin war in letzter Zeit zwar tatsächlich alles andere als schüchtern. Aber homophobe Gesetze und Aktivistenquälereien machen noch keinen russischen Expansionismus oder die Rückkehr zum Totalitarismus, auf die Dugin hofft. Sein Wunsch, dass der Iran, die Türkei und sogar China sich Russland in seiner eurasischen Expansion anschließen würden, scheint ein bisschen weit hergeholt. Und der Traum einer konservativen Ideologie, die schließlich andere europäische Länder einnehmen und ein „Ende der amerikanischen Hegemonie und der westlichen Dominanz“ herbeiführen wird, ist einfach unrealistisch. Aber das hindert seinen Optimismus nicht: „Die Entstehung einer neuen, multi-polaren Welt ist etwas, das schon jetzt vor unseren Augen geschieht“, sagte er.

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Für Dugin würde die Verwirklichung dieser Ambitionen eine sofortige Erweckung des russischen Geistes auslösen, den er seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 für verloren hält. „Der russische Frühling ist das sehr wichtige [Erwachen] des russischen Selbstbewusstseins“, erklärte er. „Er wurde von Putins [TV-Rede] ideologisch und konzeptuell bestätigt, und würde die Rückkehr zu unserer kulturellen Identität bedeuten.“

Ist Dugin also nur ein radikaler Idealist, oder besteht eine echte Chance, dass seine Ideen jemals Früchte tragen? Hanna Thoburn, eine Eurasien-Analystin bei Foreign Policy, hat neulich bemerkt, dass „Dugins Ideen seit den frühen 2000ern nur an Beliebtheit gewinnen. Sie spiegeln Putins eigenen Übergang vom vermeintlichen Demokraten zum Autoritären.“

Der Faschismusforscher Anton Shekhostov hat ebenfalls festgestellt, dass Dugins Ideologie Zulauf bekommt. „Seine Ideen werden von Leuten in Putins enger Umgebung ernstgenommen“, behauptet er.

Ukrainische Jugendliche trainieren den Kampf gegen die russische Armee. (Foto von Henry Langston)

Wenn man sich außerdem ein paar von Putins eigenen Statements der letzten Jahre ansieht, konnte einen seine Weltsicht hin und wieder an die Dugins erinnern. In seiner Rede zur Lage der Nation 2005 zum Beispiel nannte er den Zusammenbruch der Sowjetunion „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts.“ Außerdem gibt es da noch die Eurasische Wirtschaftsunion (EAU)—eine Allianz aus ex-Sowjetstaaten, von der Putin glaubt, sie könne „eine der Pole der modernen Welt werden“ und mit der EU, China und den US konkurrieren.

Zusammen mit Putin haben die Präsidenten von Kazakhstan und Weißrussland bereits ein Abkommen mit dem Ziel unterzeichnet, die Eurasische Union bis 2015 ins Leben gerufen zu haben. Auch Armenien, Kirgisien und Tadschikistan haben schon Interesse bekundet.

Es scheint wahrscheinlicher, dass Putin seine eurasische Vision durch engere wirtschaftliche und politische Verbindungen zu EAU-Mitgliedern vorantreiben wird, als dass er die Aggression in der Ukraine in allen ehemaligen Sowjetstaaten wiederholen wird. Trotzdem ist deutlich, dass die jüngsten Ereignisse in Russland und er Ukraine in Dugins radikale Ideologie passen. Bis jetzt ist Putin aber immer noch der einzige, der weiß, wie die nächsten Schritte der russischen Revolution aussehen werden.