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Berlin ist arm, aber bestimmt nicht sexy

Arabische Großfamilien, Kindermörder und Straßenschlachten: In seinen 27 Jahren als Polizeireporter in Berlin hat Michael Behrendt einiges erlebt.
Bild von Michael Behrendt
Michael Behrendt. Foto: Grey Hutton

​Michael Behrendt weiß, wie Berlin von unten aussieht. Nach 27 Jahren als Polizeireporter in der Hauptstadt hat er so ziemlich alles gesehen, was Menschen sich gegenseitig antun können. Er hat Kindermörder interviewt, sich mit Zivilpolizisten Nächte um die Ohren geschlagen und die größte Straßenschlacht der Nachkriegsgeschichte hautnah miterlebt.

Außerdem hat Behrendt, der die meiste Zeit für die Berliner Morgenpost gearbeitet hat, mittlerweile schon das zweite Buch geschrieben (das erste war eine Art Anekdotensammlung aus seinem Berufsleben), diesmal einen Kriminalroman, den er mit typisch Berliner Poetik ​Ste​inefres​ser genannt hat. Ich habe mich mit Behrendt getroffen, um herauszufinden, warum er jetzt Krimis schreibt—und vor allem, um ihn über seine Erlebnisse aus 27 Jahren auszuquetschen.

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VICE: Michael, warum heißt das Buch Steinefresser?
Michael Behrendt: Der Held ist ein SEK-Mann, der bei der Mordkommission eine Hospitanz macht. Aber früher war er Bereitschaftspolizist, und Bereitschaftspolizisten, ​die am 1. Mai in d​er ersten Reihe stehen und die ganze Zeit eingedeckt werden, die sagen dann am Abend: „Wieder ordentlich Steine gefressen!"

Und es basiert auf deinen Erfahrungen?
Das ist eine Fiktion, wo ich ein paar Sachen aufgeschrieben habe, die man sonst nach dem Pressegesetz nicht formulieren kann. Ich habe mal an Pädophilie-Fällen gearbeitet, in denen Stasi-Leute versucht haben, einflussreiche Wirtschaftsleute durch sogenannte „Komprimate" zu erpressen. Wenn man vom Industriellen X wusste, dass der auf kleine Jungs oder Mädchen stand, hat man ihm erleichtert, an solche heranzukommen—und im entscheidenden Moment ein Foto gemacht. Und dann gab es einen Zettel im Postkasten, wo drauf stand: „Ab heute arbeitest du für uns."

Ein Kollege und ich haben uns seit 17 Jahren mit gewissen Fällen beschäftigt und darüber berichtet, aber wir haben uns aus juristischen Gründen oft eine blutige Nase geholt. Das gärte alles in mir, und da habe ich mir gesagt, dann schreibe ich eben einen Roman drüber. In dem Buch ist aber auch viel über Berlin drin—wie Berlin tatsächlich ist, wie die Polizeiarbeit wirklich ist. Es ist ein Sammelsurium von Erfahrungen und Anekdoten, die ich in 27 Jahren so erlebt habe.

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Wie bist du eigentlich Polizeireporter geworden?
Mein Vater war auch Polizeireporter, er war dabei, als Dutschke niedergeschossen worden ist, davon war ich natürlich beeindruckt. Ich war zeitweise auch Kriegsreporter, aber ich bin irgendwie immer bei diesen Krimi-Sachen hängengeblieben.

Was hat dich an dem Job fasziniert?
Dass man mitkriegt, was draußen los ist. Wenn man nachts mit Polizisten unterwegs ist, kriegt man ein reales Bild von dem, was in Berlin wirklich so läuft. Wenn ich so mitbekomme, dass Berlin die Stadt mit den meisten armen Kindern ist, kann ich bei dem Satz „Berlin ist arm, aber sexy" wirklich nur zynisch lachen. Die Herrschaften, die so was sagen, die sollen einfach mal nachts um 23 Uhr am Kottbusser Tor mit der U-Bahn fahren, dann können wir uns gerne noch mal unterhalten.

Was muss ein guter Polizeireporter können?
Also, ein helles Köpfchen muss man schon sein. Und man muss quatschen können, sich den Leuten anpassen: Mit Herrn Wowereit sollte man seriös reden können, aber wenn man nachts mit 20 Mitgliedern von einer Hundertschaft beim 14. Weizenbier steht, muss man auch deren Slang irgendwie können.

Was noch?
Man muss einfach einen Instinkt dafür haben. Das kommt aber auch im Laufe der Jahre. Man merkt, wenn die Geschichte nicht stimmt. Ich habe jetzt x-mal erlebt, dass ich wusste, wer der Mörder ist.

Das passiert wirklich?
Ja. Einmal ist ein Kind in Brandenburg angeblich nachts aus seinem Zimmer entführt worden. Da habe ich gleich gesagt: „Wetten, dass es der Stiefvater ist?" Der war viel zu aufgewühlt. Normalerweise sitzt du da in der Ecke und bist fertig, und der war halt zu besorgt. Zwei Tage später hat er gestanden: Weil das Kind nachts so laut gebrüllt hat, hat er es erwürgt und einfach in den Fluss geworfen.

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Oh Gott. Welche Erlebnisse habe dich besonders schockiert?
Der schlimmste Fall, den ich hatte, ist der von Christian Schaldach. Das war ein 7-jähriger Junge, der in Zehlendorf von einem jungen Intensivtäter aus Mordlust umgebracht wurde—auf eine Art und Weise, die ich hier keinem erzählen möchte, weil sie entsetzlich ist. Der hat ihm Sachen angetan, die alle Polizeireporter in Berlin versuchen zu vergessen.

Mit welcher Art Kriminalität hat Berlin die größten Probleme?
Die organisierte Kriminalität ist schlimm. Alles, was mit Rockern zu tun hat. Das vermengt sich jetzt auch so langsam mit den Machenschaften von den arabischen Großfamilien. Alleine der Kampf um die Türen an den großen Clubs ist ja unheimlich brutal. Der Drogenhandel ist brutal. Oder Menschenhandel: Wenn man diese Kreise stört, hat man schon ein mächtiges Problem.

Sind die arabischen Großfamilien wirklich so gefährlich, wie sie manchmal dargestellt werden?
Ja, das ist richtig Mafia. Perfekt strukturiert. Nur weil sie sich nach der dritten Koksline mal mit ihrem Mercedes dumm aufführen, sind das ja alles keine dummen Menschen. Wer führt für die die Gewalttaten aus? Das machen 14-, 15-Jährige, weil die nach Jugendstrafrecht verbaut werden.

Das sind schon richtige Strukturen, und das ist ein Problem. Weil der Verfolgungsdruck der Polizei nicht mehr so hoch sein kann, weil sie nicht mehr genug Leute haben. Und man kann mit denen auch als normaler Bürger ganz schnell Probleme kriegen. Man sitzt mit seiner Frau irgendwo, dann kommen drei von denen rein und sind auf Koks und wollen dann einfach deine Frau haben. Und hauen dir vor allen Leuten eins in die Fresse.

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Was ist mit der Russenmafia?
Die sind smarter. Die haben ihr Geld vernünftig gewaschen, haben Immobilien, das läuft darüber. Die sind natürlich auch ungeheuer brutal, da darf man sich nichts vormachen, aber erst ab einer gewissen Zeit. Wenn man Geld eintreiben möchte und schickt da zwei Russen hin, die tun einem nicht gleich was. Erst beim dritten Mal brechen die dann den Arm. Wenn man aber die von diesen Migrantenclans losschickt, die zum Teil auf Koks sind, da kann das schon mal viel schneller eskalieren.

Die Russen spielen natürlich eine große Rolle, aber die fallen halt nicht so auf, weil sie intelligenter sind. Die versuchen, in die Wirtschaft einzudringen. Natürlich haben die auch mit Prostitution und so weiter zu tun, aber in den seltensten Fällen schreiben wir über Russenmafia. Die sind sicher genau so schlimme Verbrecher, aber die machen es halt in einer anderen Art und Weise.

Mal was anderes: Als Polizeireporter brauchst du ja vor allem gute Kontakte zur Polizei. Beeinflusst das deine Sicht auf die ​Polizeig​ewalt-Debatte?
Ich sehe das vielleicht hier und da ein bisschen anders, weil ich mit Polizisten befreundet bin. Aber generell: Wenn jemand vom Staat in den Einsatz geschickt wird und eine Waffe und Ausrüstung bekommt, dann muss er sich gefälligst an das Gesetz halten. Wenn sie es nicht machen, können sie nicht verlangen, dass andere das tun.

Man darf in dem Zusammenhang aber auch nicht vergessen, dass die Polizisten oft genug selber die Opfer sind. Ich war selber dabei, als drei Zivilpolizisten einen festgenommen haben, und da plötzlich 50 aufgebrachte Angehörige versucht haben, den wieder zu befreien. Da geht es dann auch nicht gerade nett zu. Oder wenn man zum 25. Mal den 1. Mai mitmacht, da bei 30 Grad Hitze in Vollmontur steht, mit Steinen und Flaschen beworfen wird und alle sagen, dass man ein Scheißnazimörder ist—dass man da irgendwann vielleicht einmal zu doll zuhaut. Das ist trotzdem falsch, das darf nicht passieren und muss auch geahndet werden.

Am Ende nimmt für mich jeder, der einen Stein in die Hand nimmt und damit auf den Kopf von einem Menschen zielt, in Kauf, dass derjenige stirbt. Genauso nimmt ein Polizist, der einem Autonomen mit dem Schlagstock auf den Kopf haut, das auch in Kauf.

Michaels Buch, Steinefresser, könnt ihr beim ​Deutschen Levante-Verlag bestellen.