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Jeden Tag 4/20

Ein Coffeeshop ist keine Lösung—Berlin braucht mindestens hundert

Die Legalisierung von Cannabis ist schon lange überfällig. Warum das „Modellprojekt" der Kreuzberger Grünen aber der falsche Weg ist—und wieso wir unsere Hoffnung auf Hessen setzen müssen.

Foto Goerlitzer Park (bearbeitet): Georg Slickers | Wikimedia | CC BY-SA 3.0

Als ich neulich mal wieder mit meinen Kindern auf dem Weg ins Schwimmbad im Berliner Stadtteil Kreuzberg war, führte unser Weg mitten durch den Görlitzer Park. Dort hatte sich auch an diesem Sonntag wieder eine Mischung aus Touristen, Zivilpolizisten, Anwohnern und Dealern eingefunden, um Gras zu kaufen, zu verkaufen, den Verkauf zu verhindern, einen Joint zu rauchen oder einfach in der Sonne zu chillen.

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Da ich bei meinen seltenen Ausflügen in den Görlitzer Park den Blickkontakt meide, passiert es nicht besonders oft, dass ich von den Dealern angesprochen werde—erst recht nicht, wenn ich mit Kindern unterwegs bin. Denen fällt die dezente Geschäftstätigkeit der zahlreichen Rumsteher sowieso nicht auf, trotzdem finden sie den „Görli“ uncool, weil die braun-güne Schlammgrube zwischen Reichenberger- und Wiener Straße immer viel zu voll ist und es einfach keinen Kinderspielplatz gibt.

Foto: Boris Niehaus

Unabhängig von seiner relativ neuen Rolle als Freiluft-Coffeeshop war der Görlitzer Park für Familien mit Kindern nie besonders attraktiv—und lädt gerade deshalb auch Partygänger zum Chillen und Grillen ein. Zugegeben, die Party ist in den vergangenen Jahren ein wenig ausgeufert, viele Anwohner sind ob der Menschenmengen und dem massiven Polizeiaufgebot, die den Park und die umliegenden Straßenzüge besonders an Wochenenden belagern, genervt.

Foto: Boris Niehaus

Die Polizei wird der Lage schon lange nicht mehr Herr, die verstärkte Präsenz seit April 2014 hat am Staus Quo nichts geändert. Im Gegenteil: genervte Polizisten verprügeln—entweder nach Feierabend und sturzbetrunken oder im Dienst und stocknüchtern—auch schon mal Passanten mit Zivilcourage. Trotz dieser heldenhaften Einsätze ist das „Abziehen“ von Gras, Smartphone und Bargeld rund um den Görli mittlerweile Alltag, schließlich geht kaum jemand zur Polizei, dem vor oder nach dem Graskauf das Handy gestohlen wurde. Und wer es tut, ist oft selbst Schuld. Kurzum, so richtig gemütlich ist es nicht mehr. Die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann hat sich deshalb eine ungewöhnliche Lösung ausgedacht—einen vom Bezirk betriebenen Coffeshop im Görlitzer Park.

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Cannabis-Hauptstadt Berlin

Berlin hat mehr Kiffer als jede andere Stadt in Deutschland, wobei Kreuzberg hier noch einmal heraussticht. Auch bei vielen älteren Semestern gehört der Feierabend-Joint zwischen Halleschem- und Schlesischen Tor zum guten Ton, von den Jungen ganz zu schweigen. Gras ist Mainstream und auch abseits vom Görlitzer Park recht einfach zu bekommen. Viele Cafés oder Kneipen tolerieren die Tüte zum Kaffee oder Bier, ohne mit der Wimper zu zucken.

Verkauft wird das Weed aber trotz seiner allgemeinen Beliebtheit weiterhin im Untergrund, was unter anderem zu den skurrilen Blüten und Exzessen rund um den Park führt. Um das zu ändern, hat Monika Herrmann vergangenes Jahr erklärt, ein Coffeeshop-Modellversuch sei der erste Schritt, das Problem auf lange Sicht zu lösen.

Klingt prima, aber der Zusatz „Modellversuch“ macht die ganze Sache sehr kompliziert, langwierig und letztendlich zum Politikum. Denn weil es gegen das bundesweit gültige BtmG verstößt, darf Frau Hermann nicht einfach eine Coffeeshop-Lizenz vergeben. Allerdings sieht das Betäubungsmittelgesetz für Modellprojekte, die im öffentlichen Interesse liegen, Ausnahmen vor.

Piraten und Linke unterstützen den Antrag, der so in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) über eine satte Mehrheit verfügt. Zur Zeit arbeiten Politik und Verwaltung des Bezirks mit Hochdruck an den Details des Antrags, der in wenigen Monaten fertig sein soll.

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Vorausgesetzt, die BVV erledigt ihre Hausaufgaben und stellt einen gut formulierten Antrag auf einen Coffeeshop, steht dem ganzen immer noch ein ziemlich gewichtiges Problem gegenüber: Gesundheitsminister Herrmann Gröhe (CDU). Beim Gesundheitsministerium muss das Modellprojekt nämlich genehmigt werden—und Gröhe und seine Mitarbeiter werden sich hüten, im Stadtteil neben seiner Wirkungsstätte einen Weed-Shop zuzulassen.

Der Antrag wird, genau wie der von Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) 1996, aufgrund mangelndem öffentlichen Interesse abgelehnt werden. In diesem Falle könnte der Bezirk das Ministerium vor dem Bundesverfassungsgericht verklagen und vielleicht in ein paar Jahren gewinnen. Bis dahin bleibt uns der Görlitzer Park wohl als Gradmesser sowohl der unangemessenen Drogen—als auch Flüchtlingspolitik erhalten.

Die Alternative: Der Frankfurter Weg

Doch selbst wenn das Coffeeshop-Modellprojekt Realität würde, bleibt offen, wie ein einziger Laden den zu erwartenden Ansturm bewältigen könnte. Die Mengen, die im Görlitzer Park zur Zeit vertickt werden, kann kein Coffeeshop bewältigen. Eine Kiffer-Schlange bis zum Hermannplatz wäre vorprogrammiert. Eigentlich bräuchte Kreuzberg nicht einen, sondern 20 Coffeeshops, ganz Berlin bräuchte vermutlich Hunderte.

Aber in anderen Bezirken wie Neukölln, Charlottenburg-Wilmersdorf oder auch Steglitz-Zehlendorf hatten ähnliche Anträge bislang keinen Erfolg. Wer Hoffnung sucht, muss (wie so oft) nach Hessen schauen: in Frankfurt am Main hat die Gesundheitsdezernentin Rosemarie Heilig im November zu einer Fachtagung eingeladen. Auch hier geht es um ein Modellprojekt zur Regulierung des Cannabis-Markts, allerdings der ganzen Stadt, nicht eines Bezirks.

Erinnern wir uns: Frankfurt war die Stadt, die 1996 mit dem ersten Modellversuch für Heroin-Schwerstabhängige schlussendlich dafür gesorgt hat, dass diese erfolgreiche Therapieform 2009 ins Betäubungsmittelgesetz aufgenommen wurde. Auch in Sachen Gras könnte die Römerstadt jetzt die Vorreiterrolle einnehmen, die eine Kehrtwende einläutet.