„Die Show fällt aus, wir sind gegangen“
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„Die Show fällt aus, wir sind gegangen“

Die Binz ist geräumt. Was die Behörden vorfanden, als sie ankamen, war unerwartet.

Fotos: Evan Ruetsch Die Polizisten, die am Freitagmorgen den Auftrag hatten, dem kreativen Chaos der Familie Schoch (kollektives Pseudonym der Binz-Besetzer) ein jähes Ende zu setzen, staunten nicht schlecht als sie an der Üetlibergstrasse 111 eintrafen. Denn statt einer Horde Molotov-Cocktails schmeissender Anarchos (so ein Bild suggerieren zumindest die bürgerlichen Tageszeitungen) stiessen die Einsatzkräfte auf ein verbarrikadiertes, aber menschenleeres Gebäude. Auf dem Areal herrschte Stille, einzig aus einem Fenster klang noch Radio Lora.

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Zur Überraschung all jener, die nach den Ausschreitungen an der „Too Binz too fail"- Demonstration im März, die Familie Schoch als gewalttätige Unruhestifter abstempelten, sind die Besetzer in der Nacht auf Freitag vollkommen friedfertig abgezogen. Doch allzu einfach wollten es die Besetzer den Behörden dann auch wieder nicht machen; Bevor die Familie Schoch das Gelände verliess, verrammelte sie sämtliche Zugänge mit den Binzmobilen der Demo und herumliegendem Altmetall-Schrott, weswegen die kantonale Baubehörde noch am selben Tag eine Strafanzeige gegen die Besetzer einreichte, da das Gelände nicht zugänglich überlassen wurde.

Einfallsreich wie die lokalen Tageszeitungen nun mal sind, wurde der Fokus der Folgeberichterstattung dann auch hauptsächlich auf den zurückgelassenen Schrott und weniger auf das friedliche Ende eines für Zürich einzigartigen kulturellen Freiraums gelegt. Es hätte ja auch anders kommen können. Doch da sich die Besetzer für einen leisen Abzug entschieden, wurde dieser von der Öffentlichkeit kaum registriert – wahrscheinlich weil die Polizei nicht mit ihren imposanten Wasserwerfern vorfahren musste.

So verlief die Räumung der Binz ziemlich glimpflich, nur unser Fotograph verursachte einen kleinen Tumult. Weil er einen Zivilpolizisten fotografierte, wurde er zu unrecht eine Stunde lang festgehalten, bevor Polizeisprecher Cortesi die Sache klärte und sich der Polizist mit einem Gipfeli bei Evan entschuldigte.

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Die Räumung der Binz war eine der letzten Amtshandlungen des scheidenden Polizeidepartement Vorstehers Daniel Leupi. Der Zeitpunkt der Räumung wurde wohl kaum zufällig gewählt, trat doch ein Tag nach der Räumung der Alternative Richard Wolff Leupi's Nachfolge an, welcher selber offenkundige Sympathien für die Besetzerszene hegt (da er selbst ja mal Teil davon war) und seine Amtszeit wohl eher ungern mit der Räumung eines besetzten Hauses begonnen hätte.

Wie auch immer, in der Binz ist jetzt auf jeden Fall Schluss mit lustig. „Die Show fällt aus, wir sind gegangen.", lässt die Familie Schoch auf ihrer Homepage nüchtern verlautbaren.

Sieben Jahre lang haben die Besetzer an der Üetlibergstrasse 111 einen kulturellen Freiraum erst geschaffen und dann verteidigt, der in einer überregulierten Gesellschaft eine rare Alternative für Entfaltungsmöglichkeiten ausserhalb eines rechtlichen Rahmens bot. Zudem stellte dieser Freiraum seinen Bewohnern in einer Stadt, deren Mietpreise in den letzten 20 Jahren über 25% gestiegen sind, günstigen Wohn- und Gewerberaum zur Verfügung.

Den Besetzern ging es dabei nicht darum, den Besitzenden etwas wegzunehmen, sondern darum aufzuzeigen, wie absurd die ganze Wohn- und Baupolitik in der Stadt Zürich betrieben wird: „Wir finden es asozialer Wohnräume zu besitzen und leer stehen zu lassen, als leere Wohnräume zu besetzen und dadurch Leuten zugänglich zu machen, die sich abseits von finanziellen Anreizen und juristischen Auflagen entfalten wollen.", so die Meinung eines anonymen Besetzers.

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Zürich verlor am Freitagmorgen mehr als ein Refugium für Kreative und Andersdenkende; die Stadt verlor durch ihren krankhaften Aufwertungsfetisch ein unersetzbares Stück Zürcher Kulturgeschichte.

Die Besetzer selbst nahmen es relativ gelassen. So hielt sich die Konsternation dann auch in Grenzen, als die Familie Schoch am Abend vor dem Auszug für ein letztes Abendmahl zusammen kam, um mit einer Party im kleinen Rahmen von ihrem geschätzten Heim Abschied zu nehmen. Um 2.00 Uhr war dann Schicht im Schacht, und die Besetzer verabschiedeten sich mit einem finalen Feuerwerk von ihren Nachbarn.

Das Ende der Binz war allerdings nicht das letzte Kapitel im Buch der Zürcher Besetzer Szene. Bereits vor zwei Wochen begann ein Grossteil der Familie Schoch ihre Habe unter der aufmerksamen Beobachtung von Polizei-Drohnen auf das seit Anfang des Jahres von den Familien Wucher und Zauber besetzte Koch-Areal in Altstetten zu transportieren. Auf dem Koch-Areal ist man zur Zeit optimistisch, die unterschiedlichen Energien, die dort neu aufeinander treffen, konstruktiv aggregieren zu können und den Kampf gegen die Aufwertungs- und Verdrängungspolitik der Stadt Zürich fortzuführen.

Die UBS ist die Besitzerin der leerstehenden Gebäude auf dem Koch Areal und hätte diese am liebsten schon gestern auf Vorrat abgerissen, um während der Brachlage einen Architekturwettbewerb durchzuführen und frühestens 2016 mit dem Bau eines noch unbekannten Projektes zu beginnen. Um sich Besetzer vermeintlich vom Leibe zu halten, liess die UBS schon bei ihrem Auszug alle sanitären Anlagen auf dem Areal zerstören.

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Die Zukunft wird zeigen ob sich die Besetzer auf dem Koch Areal längerfristig einrichten können oder wieder den Interessen der Machthabenden weichen müssen. Die Zürcher Besetzerszene scheint nach der Räumung der Binz jedenfalls motivierter und hartnäckiger denn je. Oder in den Worten der Familie Schoch: „Wir sind weg und trotzdem bleiben wir! BINZ BLEIBT BINZ."

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