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Reisen

In der Waffenfabrik eines pakistanischen Warlords

In Pakistan geht es anscheinend den Arbeitern in illegalen Waffenfabriken besser als denen, die für deutsche Textildiscounter schuften.

Letztes Jahr bin ich in den Norden Pakistans gereist, um einen Film zu machen. Vor der Abreise kontaktierte mich mein Freund Sami, der mir erzählte, dass er auch in Pakistan gewesen ist und er mir unbedingt von seinem Besuch in der Waffenfabrik eines Warlords erzählen müsste. Seine Reise fand im Jahr 2005 statt. Damals war es in Pakistan ein bisschen sicherer als jetzt. Das Land hatte noch nicht ganz so stark unter amerikanischen Drohnenangriffen und islamischem Radikalismus zu leiden.

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Sami reiste zunächst nach Peschawar, der Hauptstadt der Paschtunen, die in der nordwestlichen Provinz Khyber Pakhtunkhwa liegt. Von dort machte er sich auf in die Stammesgebiete unter Bundesverwaltung, einer Region Pakistans, die sich frei von der Regierung in Islamabad selbst regiert. Es ist auch die Gegend, in der sich Talibankämpfer gern verstecken und von wo aus sie zwischen Afghanistan und Pakistan hin und her schlüpfen.

Ich sprach mit Sami über die Waffenfabrik des Warlords und über die kleine Kokain-und Heroinhöhle, die er nebenbei betrieb.

VICE: Zunächst mal: Das war keine legale Waffenfabrik, oder? 
Sami: Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht legal ist. Die ganze Region folgt selbstgeschriebenen Gesetzen. Wir haben es nur in diese Gegend geschafft, weil wir uns bei einem Polizeicheckpoint unter einer Decke versteckt haben. Es ist also nicht unbedingt der offenste Ort.
Aber irgendwie schienen die Leute dort sehr fröhlich zu sein. Ein kleiner Kerl namens Prince Al Haseem überrumpelte uns förmlich, als wir in unserem Hotel in Peschawar ankamen. Er ließ uns wissen, dass er sich um alle unsere Wünsche kümmern würde. An zweiter Stelle seiner To-Do-Liste stand ein Ausflug zur Waffenfabrik, die sich an der Grenze zu Afghanistan, ungefähr eine halbstündige Autofahrt von Peschawar entfernt, befand.

Es war offenbar schon damals ein sehr gefährlicher Ort, aber glaubst du, du könntest heutzutage noch mal da hinreisen? 
Nein, ich denke, dass das jetzt im Moment absolut unmöglich wäre. Die Taliban sind dort mittlerweile viel stärker vertreten und die Gegend scheint vollkommen vom Rest des Landes abgeschnitten zu sein.
Ich kenne keinen einzigen Ausländer, der sich in letzter Zeit in die Nähe des Gebiets gewagt hätte. Und nach Peschawar zu reisen, ist momentan auch nicht unbedingt empfehlenswert.

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Das Willkommensschild beim Checkpoint.

Selbst damals, denke ich, standen die Leute nicht unbedingt Schlange, um euch eine Waffenfabrik zu zeigen?
Ich denke, es war eine Mischung aus Naivität und der Tatsache, dass dieser Prince-Typ uns einredete, es wäre perfekt für einen kleinen Tagesausflug, ein bisschen so, als ob man nach Disneyland fahren würde. Er sagte: „Lasst uns eine Waffenfabrik besichtigen!“ Und wir sagten einfach: „JA!“ Erst als Prince im Taxi auf halber Strecke plötzlich rief: „Duckt euch, duckt euch. Ich werde eine Decke über euch ausbreiten“, begriffen wir, dass der Trip nicht ganz so einfach werden würde, wie er ihn uns zuvor beschrieben hatte.

Wie sah das Gebiet hinter der Polizeikontrolle aus? 
Die meisten pakistanischen Kleinstädte sehen sich sehr ähnlich, aber als wir in diese Stadt kamen, bemerkten wir, dass die Geschäfte irgendwie anders aussahen. Da waren Schrotflinten, die an den Mauern der Häuser lehnten und ein paar Geschäfte verkauften Schusswaffen. Auf der Hauptstraße gab es dann nur noch Geschäfte, die Waffen verkauften. Da lagen AKs, Berettas und gefälschte M16 in jedem einzelnen Schaufenster. Es gab fast keine Lebensmittelgeschäfte, nur Waffen.

Dieser Mann erzählte Sami, er sei angeschossen worden.

Wow. Wie gut versteckt war die Stadt?
Nicht besonders. Da gab es keinen hohen Bergpass, den man durchqueren musste, nur eine normale Straße. Wir haben einfach geparkt, gingen durch eine schmale Gasse und das war’s. Wir gingen also durch diese Gasse, tranken Tee—jeder bietet dir Tee an, die sind alle sehr gastfreundlich—und zahlten unsere Eintrittskarte.

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Wie teuer war das? 
30 Euro. Und um etwas Spaß mit den Maschinengewehren zu haben, mussten wir dann noch 20 Euro drauflegen.

Wer kontrollierte die Stadt? 
Soweit ich weiß, liegt die Kontrolle über die Stammesgebiete in den Händen mehrerer Warlords.
Als wir in die Stadt kamen, mussten wir dem hiesigen Warlord etwas, das er als Ticket bezeichnete, abkaufen, um uns umsehen zu dürfen. Kurz gesagt: Wir mussten Schmiergeld zahlen.
Aber es war Schmiergeld mit Zusatzleistungen. Nachdem wir bezahlt hatten, entpuppte er sich als großartiger Gastgeber und zeigte uns sofort seine komplette kleine Stadt.

Wie war er so? Leitete er die Fabrik?
Es hatte zumindest den Anschein. Er lief da rum, ohne wirklich Ahnung zu haben, aber er begrüßte jeden, der unseren Weg kreuzte, und stellte uns sogar ein paar Leuten vor. Unser Urdu war ziemlich mies, weshalb sich unsere Antworten auf Lächeln, Nicken und „Oh,wow!“ beschränkten.

Welche Art von Waffen wurden dort hergestellt?
Wir sahen viele AK-47, großkalibrige Pumpguns, M16 und vereinzelt ein paar einfache Pistolen. Hauptsächlich aber Pumpguns und AK-47. 
Ich habe niemanden Munition herstellen sehen. Damals wusste ich nicht, was alles zur Herstellung von Waffen dazugehört, und war eher verblüfft darüber, dass sie dort Gewehrteile aus Holz schnitzten. Die Prozedur ist ziemlich einfach, deshalb glaube ich, dass sie das vermutlich nebenbei gemacht haben.

Es gibt ein Foto von einer Art Produktionskette. Gab es da so etwas wie Arbeitsteilung?
Natürlich. Wenn du an diesen verschiedenen Alkoven vorbeigingst, sahst du eine Person dasitzen und einen Lauf aushöhlen, der nächste fertigte den Griff und der nächste besprühte einen bestimmten Teil des Munitionsbügels mit Farbe. Jeder hatte seine eigene kleine Aufgabe, ähnlich wie bei beim Fließband in einem Autowerk, nur eben mit Pakistanern, die in Alkoven sitzen, und nicht mit Robotern in einer deutschen Fabrik.

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Herrschte ein gutes Arbeitsklima? 
Ja, die Leute sahen ziemlich zufrieden aus. Die meisten schienen total vertieft in ihre Arbeit zu sein, aber sobald wir uns zu ihnen setzten, waren sie ganz erpicht darauf, uns ihre Werke zu zeigen. Sie waren alle ziemlich Stolz auf das, was sie taten.

Es gibt dieses großartige Foto von einem Typen, der ein ungewöhnlich gefärbtes Teil einer Shotgun hochhält. Ich meine das mit dem Muster.
Ja, ich habe selber schon viel mit Holz gearbeitet und dieser Gewehrschaft wurde aus wunderschönem Holz gefertigt. Vermutlich Ahorn oder Hasel. Dieses Holz ist ziemlich teuer und der Mann war sehr stolz auf seine Arbeit. 
Der Warlord erzählte uns, dass er die Waffe als Geschenk für einen anderen Warlord fertigen ließ—es war ziemlich beeindruckend.

Schön wenn sich die Warlords gegenseitig umeinander kümmern. Wohin wurden die Waffen geliefert? Wer, glaubst du, benutzt sie? 
Als wir in Pakistan waren, hörten wir diese verrückte Statistik, die besagte, dass für jeden Dritten eine AK-47 bereitliegen würde. Es dauerte nicht besonderes lange, um an eine ranzukommen. Die Mehrheit der Reiseführer und Aufpasser, die uns begleiteten, trug Waffen, deshalb kam uns das alles ziemlich normal vor.  
Aufgrund der billigen Herstellungskosten konnten die Leute die Waffen auf ehrlichem Weg erwerben. Wir haben allerdings nicht danach gefragt, ob sie Waffen auch über die Grenze nach Afghanistan schickten—das wäre ein bisschen zu politisch gewesen. Wir waren nicht wirklich scharf darauf, unseren Gastgeber zu verärgern.

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Hattest du währenddessen irgendwann das Gefühl, die Stimmung würde umschlagen? Gab es irgendwelche haarigen Momente? 
Nachdem wir die eigentliche Fabrik verlassen hatten, gingen wir zurück in die Räume des Warlords und es fing an, leicht seltsam zu werden. Was vor allem daran lag, dass er eine ganze Wagenladung Koks und Heroin auf den Tisch knallte und sich beides vor unseren Augen reinzog. Offenbar stellte er das Zeug selbst her.

Hat er euch was angeboten? 
Ja, er war sehr gastfreundlich. Von dem harten Zeug haben wir allerdings die Finger gelassen. Er hat uns auch Schwarzen Marokkaner angeboten. Er hat uns jetzt nicht komplett verrückt gemacht, aber es war definitiv intensiv. Es war schon irgendwie beunruhigend, wie tief wir tatsächlich in diese Drachenhöhle vorgedrungen sind.

Über was habt ihr euch unterhalten? 
Über das Dorfleben, denke ich, aber meine Erinnerungen an diese Unterhaltung sind dank der Drogen nicht die besten. Er erklärte uns, wie man eine AK-47 sauber macht, was ziemlich unterhaltsam war.

Also hat er diese Waffenfabrik und gleich daneben stellt er Kokain und Heroin her, oder lagert es zumindest? 
Ja, nebenan wurde der Mohn verpackt. Er sagte, das Lager gehöre ihm, aber wie gesagt, kann auch sein, dass er totalen Mist erzählt hat. Wobei ich das stark bezweifle.

Hat er auch vom Heroinhandel gesprochen? 
Nein, es war eher ein „Schaut euch an, was wir produzieren, wollt ihr etwas davon?“ Es war vor allem Prahlerei, die sich auch stark um seinen komplett gestörten Piratenpapagei drehte, der die ganze Zeit von einer Schulter zur anderen hüpfte. Es war ein winziger Wellensittich, der schon die Hälfte seiner Federn verloren hatte und etwas von einem Zombiepapagei hatte. Er sah ziemlich angriffslustig aus und ich denke, er hat uns ein paar Mal beschimpft. Ein ziemlich lustiges Tier.

Die Aussicht vom Khyberpass an der pakistanischen Grenze zu Afghanistan 

Die Heimat der Gastfreundlichkeit
Auf jeden Fall. Sie lassen dich in ihr Haus, sie machen dir Tee und sie lassen dich ihre AK-47 abfeuern—wie jeder normale gute Gastgeber.