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Warum uns das größte Desaster in Samsung Galaxy-Affäre erst noch bevorsteht

Die Rückrufaktion der brandgefährlichen Galaxy Note 7 Geräte droht nicht nur den Ruf von Samsung dauerhaft zu schädigen, sondern offenbart das sehr viel grundlegendere Recycling-Problem der Smartphone-Industrie.
Bild: Shawn Minter/Associated Press

Samsung befindet sich gerade inmitten der wohl größten Krise der Unternehmensgeschichte. Nachdem auch ausgetauschte Galaxy Note 7 in Flammen aufgingen, sah sich der Hersteller nicht nur gezwungen die Geräte zurückzurufen, sondern auch die Produktion neuer Note 7-Geräte komplett einzustellen. In der allgemeinen Aufregung wird ein wichtiger Punkt leicht übersehen: Das Aus für das Galaxy Note 7 stellt ein riesiges Umweltproblem dar, ganz egal, was Samsung am Ende mit den 2,5 Millionen Geräten anstellt.

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Am Dienstagmorgen gab Samsung bekannt, dass es die Produktion und den Vertrieb der in Flammen aufgehenden Galaxy Note 7-Geräte dauerhaft eingestellt hat und eine globale Rückrufaktion startet. Ein Samsung-Sprecher erklärte gegenüber Motherboard, dass die Smartphones nicht mehr repariert oder weiterverkauft werden, das Unternehmen habe „ein Verfahren zur sicheren Entsorgung der Geräte" eingerichtet.

So paradox das klingen mag: Das Recycling von Smartphones sieht zwar auf dem Papier nach einer vernünftigen Idee aus, aber tatsächlich ist es so ungefähr das Schlimmste, was man mit einem Smartphone anstellen kann—außer vielleicht, es gar nicht zu recyclen und es im Meer zu versenken.

Das Recycling von Smartphones ist vor allem aus zwei Gründen problematisch: Obwohl ein Smartphone weniger als ein Pfund wiegt, fließen laut einer Schätzung des Institute of Electrical and Electronics Engineers im Durchschnitt 81 Kilo Rohstoffe in die Produktion eines Handys. Für das Galaxy Note 7 dürfte diese Zahl sogar höher liegen, da es sich um eines der größten und modernsten Smartphones der Geschichte handelt. Umso problematischer ist es, dass die meisten dieser wertvollen Rohstoffe durch das Recyceln für immer verloren gehen werden.

Das liegt schlicht und ergreifend daran, dass wir im Recyceln von Smartphones echte Nieten sind. Von den ungefähr 50 enthaltenen Rohstoffen im Note 7 können nur circa ein Dutzend durchs Recyceln weiterverwendet werden. Vor allem der Großteil der seltenen Erden geht verloren—und das sind ausgerechnet die Stoffe, die generell am umweltschädlichsten sind und unter den problematischsten Bedingungen abgebaut werden.

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Benjamin Sprecher, der als Postdoktorand an der niederländischen Leiden Universität die Gewinnung seltener Erdmetalle im Recyclingprozess studiert, bestätigte Motherboard in einer E-Mail, dass „Smartphones nicht wirklich recycelt werden, zumindest nicht die seltenen Erden." Somit würden beinahe alle aus ökologischer Sicht wirklich interessanten Materialien der Geräte verloren gehen.

Auch der Leiter des Department of Energy's Critical Materials Institute am Ames Laboratory, Alex King, betonte gegenüber Motherboard, dass sich das Recyceln von Smartphones noch in den Kinderschuhen befände. Kyle Wiens, der CEO von iFixit, bestätigt, dass im Recycling-Prozess vor allem wertvolle Rohstoffe verloren gingen. Darunter seien Indium, das für die Touchscreens verwendet wird, seltene Erdelemente wie Neodym für die Magneten in Lautsprecher und Mikrofon und Kobalt aus dem Kongo für die Akkus. Samsung hatte kürzlich der Washington Post gegenüber bestätigt, dass es das umstrittene kongolesische Kobalt zwar verwendet, aber sicherstelle, dass es nicht aus Kinder- oder Zwangsarbeit stammt.

„Diese Elemente sind nicht nur im Hinblick auf ihre Umweltbelastung kostbar, sondern auch im Hinblick auf die Menschen, die sie abbauen", erklärte Wiens weiter. Daher sei es eine tragische Verschwendung, dass so viele der Stoffe ungenutzt zum Recyclinghof wandern werden.

Ausschnitt aus Samsungs Nachhaltigkeitsbericht 2016. Darin ist das Note 7 noch nicht enthalten, aber es ist anzunehmen, dass sein Einfluss auf die globale Erderwärmung ähnlich groß ist. Bild: Samsung

Dieser Materialverlust ist der Grund, warum auch mehrere Jahre alte Smartphones normalerweise nicht recycelt werden. Stattdessen werden sie aufgearbeitet und an Handy-Versicherungen oder Käufer in Schwellenländern weiterverkauft. Da die wiederverwertbaren Stoffe in einem Smartphone nur wenige Euro wert sind, ist es wesentlich nachhaltiger und rentabler, die Lebensdauer eines Geräts zu verlängern, als es zu zerlegen und zu etwas Neuem zu verarbeiten.

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Doch Samsungs Rückruf-Aktion bietet möglicherweise auch einen Hoffnungsschimmer: Genauso wie Ölkatastrophen es den Wissenschaftlern ermöglichen, neue Reinigungstechniken zu testen, könnte ein Smartphone-Rückruf dieser Größenordnung die Chance bieten, mehr über das Recyceln von Smartphones zu lernen.

Laut King gelangen alte Smartphones, die recycelt werden sollen, oft nur vereinzelt an ihren Bestimmungsort und auch dann nur über lange Umwege. Dadurch sei es sehr schwer, die Sammelkosten niedrig zu halten oder einen Gewinn durch Massenverarbeitung zu erzielen, sagt King. „Paradoxerweise könnte uns das Recyceln einer ganzen Smartphone-Generation dabei helfen, diese Hürden zu überwinden."

Auch wenn Samsung die natürlichen Materialien in seinen Geräten hervorhebt, sind der Großteil der Bestandteile nicht recycelbar. Bild: Samsung

Nachdem er ein Galaxy Note 7 auseinandergenommen und seine Bestandteile analysiert hatte, berichtete Wiens Motherboard, dass seiner Schätzung nach um die 250 Kilo an mineralischen Rohstoffen für die Herstellung des Geräts notwendig waren, von denen viele verloren gehen werden. Da die Vorräte vieler der seltenen Mineralstoffe, die in elektronischen Geräten enthalten sind, immer weiter schrumpfen, ist es umso bitterer, dass 2,5 Millionen nagelneue Geräte recycelt werden sollen.

Seit der Veröffentlichung des Galaxy Note 7 hat Samsung keinen Nachhaltigskeit- oder Umweltbericht herausgegeben, gilt aber in der Smartphone-Industrie generell als ein Unternehmen mit gutem Umweltmanagement. Ihr Nachhaltigkeitsbericht von 2016 hält fest, dass das Unternehmen „Umweltzerstörung und den Verstoß gegen Menschenrechte in Krisengebieten als ernste ethische Probleme" betrachtet. Samsung brüstet sich außerdem damit, für die Außenhüllen einiger älterer Modelle Biomaterialien entwickelt zu haben und seit dem Galaxy S6 nur noch 100 Prozent recycelbares Aluminium zu verwenden.

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Diese ehrenwerten nachhaltigen Verfahren ändern jedoch nichts an dem jetzigen Dilemma: Samsung musste für die Herstellung des Note 7 unzählige wertvolle Rohstoffe abbauen, diese Rohstoffe um die ganze Welt verschiffen, die Geräte produzieren und dann wiederum um die ganze Welt verschicken—nur um dieses sehr wertvolle Produkt im Endeffekt direkt einzustampfen.

Bevor sie recycelt werden können, muss Samsung die bereits verkauften Geräte zudem auch irgendwie wieder einsammeln. Samsung hat für die Rücklaufaktion eine detaillierte Anleitung herausgegeben, die feuerfeste Kisten, Handschuhe und strikten Bodentransport vorsieht:

Bild: Samsung via XDA Developers

Die Nachteile von Elektrogeräten, die sich schlecht reparieren lassen

Selbstverständlich möchte sich kein Unternehmen in der Position befinden, in der Samsung gerade steckt—Beobachter schätzen, dass Samsung die gesamte Affäre bis zu 10 Milliarden Dollar kosten könnte. Auch das Kundenvertrauen wird erheblich darunter leiden. Da Samsung nicht absichtlich ein defektes Smartphone auf den Markt gebracht hat, kann man beinahe Mitleid mit dem Unternehmen haben.

Wie sehr sollten wir Samsung also für seinen Fehler kritisieren? Schaut man sich einmal das große Gesamtbild an, ist er auch nur ein weiterer kleiner Punkt auf der sehr langen Liste an menschlichen Umweltsünden.

„Natürlich ist es eine riesige Ressourcenverschwendung. Aber man muss das auch immer im Verhältnis sehen. Genaugenommen ist alles, was wir in der westlichen Gesellschaft tun, eine riesige Ressourcenverschwendung—ist es also gerechtfertigt, sich über diese Verschwendung besonders aufzuregen?", sagte Sprecher. „Die 2,5 Millionen Galaxy Note 7-Geräte machen nur einen kleinen Teil des gesamten Smartphone-Marktes aus, der wiederum nur einen kleinen Prozentsatz des gesamten Edelmetallmarktes ausmacht." Demnach seien die Auswirkungen auf die Umwelt und den Rohstoffverbrauch gar nicht besonders signifikant.

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Vielleicht sollten wir den Samsung-Skandal also nicht als irreparable Umweltkatastrophe einstufen, sondern vielmehr als vermeidbares Umweltmissgeschick bezeichnen, von dem alle Smartphone-Hersteller etwas lernen sollten.

Vermeidbar ist das Missgeschick deshalb, weil das Note 7-Fiasko nicht einfach auf einem unglücklichen Herstellungsfehler beruht, sondern weil ihm auch ein Designfehler zugrunde liegt. Jedes Vorgängermodell des Galaxy Note war mit einem herausnehmbaren Akku ausgestattet. Um das Note 7 minimal dünner zu gestalten, klebte Samsung den Akku direkt im Gerät fest und machte es somit sehr schwer, den Akku zu Reparatur- oder Recyclingzwecken zu entfernen. Samsung hat gegenüber CNET und anderen Medien eingestanden, dass der Akku selbst das Problem darstellt. Könnten die Akkus also von den Nutzern selbst herausgenommen werden, so würde das Samsung eine Menge Kummer ersparen—eine Rückrufaktion für die Akkus wäre um ein vielfaches leichter umsetzbar und hätte zudem weniger negative Auswirkungen auf die Umwelt.

„Wenn Samsung die Möglichkeit gehabt hätte, einfach allen Nutzern einen neuen Akku mit 95 Prozent der alten Laufzeit zu schicken, der kein so großes Sicherheitsrisiko darstellt, wäre das alles kein Problem gewesen", sagte Wiens.

Auch King bezeichnete das Design des Smartphones als Hauptproblem: „Stellt euch vor, wie einfach es gewesen wäre, dass Note 7 Problem zu handhaben, wenn man die Akkus einfach austauschen könnte. Wenn die Sicherheitsbedenken dazu führen, dass zukünftige Modelle mit austauschbaren Akkus ausgestattet werden, so ist das ein positiver Nebeneffekt, der die Geräte auch besser recycelbar machen wird."

Smartphone-Hersteller argumentieren, dass Verbraucher nur sehr selten ihre Akkus selbst austauschen und dass sie zudem ständig Akkus mit längerer Laufzeit fordern. Das Galaxy Note 7-Debakel ist jedoch ein Beweis dafür, dass es viele Gründe dafür gibt, den Akku-Austausch zu vereinfachen.

„Das wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir es mit einem Gerät mit überhitzenden oder explodierenden Akku zu tun haben. Jedes unserer elektronischen Geräte ist mit einer kleinen Bombe ausgestattet, mit einer kritischen chemischen Mischung", sagte Wiens. „Die Akkus dieser Geräte schöpfen bereits 90 Prozent ihres theoretischen Leistungsmaximums aus, die man mit diesen Chemikalien erreichen kann. Versucht man, die Leistungsfähigkeit auf 91 Prozent zu bringen, so erhält man die gewünschte Akkulaufzeit auf Kosten der Sicherheit. Mit jeder Smartphone-Generation reizen wir diese sichere Grenze weiter aus."