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Clubkultur

Wir sollten Promi-DJs nicht dafür hassen, was sie tun

Ist es ungerecht, dass Jan Leyk mehr mit dem Auflegen verdient als Lena Willikens?

Da bist du wieder, sitzt einen weiteren Tag deines Lebens ab, springst gelangweilt zwischen 15 Tabs hin und her, während du das Verlangen nach einer weiteren Zigarette unterdrückst und dafür betest, dass endlich irgendwas passiert, das deine Aufmerksamkeit für länger als eine Sekunde fesseln kann. Dann fällt dir auf, dass irgendein Promi, einer aus der Untotenarmee des Reality TV, am Wochenende im Club um die Ecke auflegt. Freude macht sich breit. Einatmen. Ausatmen. „Man", sagst du dir, „das wird lustig. Richtig lustig. Micaela Schäfer legt noch immer auf und sie ist am Samstag im Bamboo. Lustig, lustig."

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Aber du lachst nicht, denn tief in dir drinnen rumort die Wut darüber, dass jemand wie Micaela oder Jan Leyk im Jahr mehr mit dem Auflegen verdient als Lena Willikens oder Palms Trax. Diese blanke Ungerechtigkeit lässt die Wut in dir mehr und mehr aufsteigen. „Aber", stammelst du mit feuchten Augen, „das sind keine echten DJs! Unsere Kultur wird bloßgestellt!"

Wird sie nicht! Versteh endlich: Promi-DJ-Sets sind eigentlich … okay.

Es gibt zwei Arten von Promi-DJ-Sets: Du hast den Standard-Ich-war-mal-im-Fernsehen-Typ, der irgendeine Compilation von Kontor Records oder Ministry of Sound in irgendeinem Club in einer Innenstadtmeile runternudelt, und du hast die Kendall Jenners dieser Welt, die beim Coachella auflegen. Letztendlich sind beide das Gleiche, aber seltsamerweise versetzen gerade Letztere die Leute in Aufregung. Tatsächlich hat allein das Gerücht, dass Kylie Jenner ebenfalls ihre DJ-Karriere in Angriff nehmen würde, derart viel Ärger provoziert, dass sie das auf Twitter persönlich richtigstellte. Paris Hilton, eine eigentlich merkwürdig sympathische Erscheinung, legt mittlerweile seit Jahren auf. Und obwohl sie definitiv nicht die Tracks spielt, die dir am Wochenende in der Panorama Bar oder dem Robert Johnson begegnen, so scheint Paris selbst doch ganz gut damit klarzukommen—auch wenn dieser Typ das anders sieht:

Dance music is fucking shit now, for god sake fucking Paris Hilton pretends to be a DJ, she should just stick to porno or whatever she did.

— Айдан (@aidan_brame)October 24, 2015

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Dieser Tweet ist in etwa die Spitze eines riesigen, haarigen, mutmaßlichen weißen und männlichen Online-Eisbergs, der es irgendwie schafft, sich wirklich jedes Set anzugucken, das es irgendwo gibt—und sei es auch von Lindsay Lohan oder Oliver Pocher. Nun wäre es ziemlich blöd von mir, der Richtigkeit halber nicht darauf hinzuweisen, dass ich selbst auch schon mal in der englischen Kleinstadt Norwich dem Pop-Sänger Dane Bowers bei einem seiner DJ-Auftritte im Technix and Chill zugesehen habe, und das so lustig fand, dass ich damals darüber schrieb. Es war eben lustig. Genauso wie es lustig ist, dass eine „Herzblatt"-Kandidatin Stoß heißt, aus Gaildorf kommt und in einer Kondomerie arbeitet, so bleibt auch der Gedanke, dass Der Bachelor oder eben Micaela Schäfer neben dir bei Hardwax auftauchen, ein sehr lustiger. Dennoch wissen wir ja alle, dass „lustig" nicht gleichbedeutend mit „schrecklich" ist.

Foto: imago

Es ist natürlich sehr einfach, den DJ-Auftritt einer eigentlich auch schon fast vergessenen Z-Prominenz, die beispielsweise nur durch ihre Qualitäten als selbst ernannte „Nacktschnecke" überhaupt erst bekannt wurde, als Sinnbild des Niedergangs der Clubkultur anzusehen. Immerhin galten Clubs ja mal als ein libertäre Freiräume, in der übliche Identitätspolitiken ebenso wie Klassengrenzen überwunden wurden. Etwas was man nur sehr schwer in einer Szenerie erkennen kann, in der ein verblasster Fernsehmoderator wie der Brite Dale Winton auf einer Party namens „#Slutty" vor einer Horde geiler Erstsemester „Seven Nation Army" in „House Every Weekend" mischt.

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Aber wenn du dich über einen Promi-DJ aufregst, dann regst du dich auch über eine glückliche Erfahrung auf, die tausende Menschen jedes Wochenende auf dem Land und in der Großstadt machen. Du sprichst der Massenkultur jede Möglichkeit ab, verdienstvoll zu sein. Du bist wie einer der frühen Literaturkritiker, die auf den aufkommenden Stummfilm schimpften, und wie ein Stummfilmkritiker, der das Gleiche dann mit dem Tonfilm machte. Gleichzeitig bist du wie ein kleiner wütender Junge. Und das macht überhaupt keinen Sinn.

Der Promi-DJ gehört genau so zum geldgetriebenen Nachtleben, wie das Warm-up-Set eines Residents oder all die Unmengen an Geld, die du jedes Mal für überteuerten Alkohol ausgibst. Letztendlich erfüllen sie alle ihren Zweck. Sie machen eine ansonsten gewöhnliche Nacht aufregend. Und daran ist nichts verkehrt. Wirklich gar nichts. Wenn die Leute jemanden brauchen, den sie kennen, dann bitte schön. Außerdem wird deshalb ja auch ein Lichttechniker (oder eine Lichttechnikerin) ordentlich bezahlt. Und am Ende gehen alle glücklich nach Hause, weil das Promi-DJ-Set ja nicht das einzige des Abends ist. Die Clubbesitzer haben Umsatz gemacht, Jan Leyk kann sich zwanzig neue Muskelshirts kaufen und der Freund des kleinen Bruders hat ihn zufällig auf der Toilette getroffen und kann davon das nächste halbe Jahr lang erzählen.

Klar, du könntest jetzt sagen, dass das alles total unauthentisch ist, dass die Eintrittspreise absurd sind und das hier eine Art Parallelgesellschaft das Bild vom DJ-Dasein und Clubkultur übernimmt. Aber seien wir doch ehrlich: Nicht jeder würde Spaß haben, wenn er Virginia in der Panorama Bar spielen hört oder er morgens um sieben in einem Kellerclub zu Metalheadz-Platten wegpennt. Das ist ok. Manche brauchen eben das Spektakel und eine Show. Wegen Jan Leyk wird Marcel Dettmann nicht weniger gebucht und Giegling verkaufen auch nicht weniger Platten. Die zwei Welten der Clubkultur können friedlich koexistieren. Und wir können uns immer wieder neu versichern, dass wir auf der richtigen Seite tanzen.

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