Zwei Frauen mit Essstörung
Alle Fotos: Marie Hald

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Sex

Diese Fotos zeigen, wie unsere Gesellschaft Frauen zerbrechen kann

Geschlechtsidentität, Essstörungen, Prostitution und andere Aspekte, die unsere Gesellschaft häufig nicht versteht.

Marie Hald ist eine preisgekrönte, dänische Fotojournalistin, die Frauen auf eine ganz besondere Art und Weise fotografiert. Die 29-Jährige versteht es, den Frauen nahezukommen, über die wir zwar alle reden, deren Probleme – zum Beispiel in Bezug auf Gender-Identität, Essstörungen oder Prostitution – wir aber nicht verstehen.

"Ich habe mich nie so gesehen, dass ich Frauen fotografiere. Der Kurator meiner Ausstellung über junge Frauen mit Anorexie hat mich jedoch darauf hingewiesen, dass ich mich immer auf Probleme und Geschichten von Frauen konzentriere. Das ist keine bewusste Entscheidung. Vielleicht fühle ich mich zu diesen Geschichten nur mehr hingezogen, weil ich mich darin wiederfinde", sagt Marie.

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"Meine Fotos beschäftigen sich immer mit Themen, die mir am Herzen liegen. Ich habe gelernt, dass ich gerne Frauen fotografiere, die mir ihren Geschichten etwas verändern wollen. Sie wollen gegen Vorurteile ankämpfen, die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Thema lenken oder zum Handeln aufrufen."

Marie ist für uns ihr Archiv durchgegangen und hat einige ihrer Lieblingsprojekte herausgesucht. Dazu erklärt sie uns, warum diese Geschichten erzählt werden müssen und wie es war, die Frauen zu abzulichten.

Bonnie

Bonnie ist eine 39 Jahre alte, dreifache Mutter und Sexarbeiterin. Ich war im letzten Semester an der Danish School of Media and Journalism, als ich anfing, sie zu fotografieren. Bonnie hatte immer davon geträumt, ihre Geschichte zu erzählen und zu zeigen, dass sie mehr ist als "nur eine Hure". An erster Stelle ist sie nämlich Mensch – und eine Mutter, die alles für ihre Kinder machen würde.

Insgesamt war ich zwei Jahre lang mit diesem Projekt beschäftigt. Gute Geschichten brauchen Zeit. Ich wurde fast Teil der Familie und verbrachte oft die Nacht bei Bonnie, damit ich sie am darauffolgenden Tag von Anfang an begleiten konnte. Als das obige Foto entstand, kannte ich sie schon über ein Jahr. Wir hatten uns so sehr an meine Anwesenheit gewöhnt, dass ich mich plötzlich traute, ganz nah ranzugehen. Ich glaube, ich habe sogar den Fuß von dem Typen berührt. Ich werde oft gefragt, warum die Leute mich solche Fotos überhaupt schießen lassen. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass meine Motive mir vertrauen. Und das bedeutet mir sehr viel.

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Zwischen den Kundenbesuchen putzt Bonnie immer ihr Haus. Normalerweise gehen die Männer bei ihr ein und aus. Das war nicht leicht mit anzusehen. Ich half ein bisschen mit, öffnete die Tür oder reichte Getränke. Das Haus war immer sauber und es roch nach frisch gewaschener Wäsche.

Perfect Girls

Ich glaube, dass wir Frauen immer nach Perfektion streben. Das kann ich bei meinen weiblichen Mitmenschen, bei meinen Freundinnen und bei mir selbst beobachten. Oft wird mir gesagt, dass diese Art des Stresses einfach dazugehört, wenn man zwischen 20 und 30 ist. Man lässt sich treiben und versucht, den passenden Weg einzuschlagen. Ich habe jedoch das Gefühl, dass sich etwas verändert hat. Immer mehr meiner Freundinnen erleiden Nervenzusammenbrüche. Sie schmeißen das Studium, nehmen Antidepressiva oder brauchen eine Therapie. Was uns runterzieht, ist die Annahme, in jeder Situation die beste Entscheidung treffen zu müssen.

Meine Frauengeneration versucht die ganze Zeit, den Selbsthass zu überwinden, der aufgrund der gesellschaftlichen Erwartungen aufkommt. Wir müssen gut aussehen, die Probleme anderer Leute lösen, besonders und smart sein, unser Gewicht halten, die gute Freundin geben und unsere sozialen Kontakte pflegen. Ich habe meine Freundinnen und andere junge Frauen meiner Generation fotografiert und dabei mit ihnen darüber gesprochen, was passiert, wenn alles zu viel wird.

Therese, 24

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"Wir leben in einer Zeit, in der sich Frauen ständig beweisen müssen. Man beurteilt dich aufgrund deines Handelns und nicht aufgrund deines Charakters. In unserer ergebnisorientierten Kultur bewertest du dich dann selbst auf Basis deiner Errungenschaften.

Über dieses ganze "Ich mache nur, was ich will"-Klischee kann man viel reden. Ich weiß nicht mehr, was mich überhaupt glücklich macht oder was ich machen will. An manchen Tagen ist alles düster und chaotisch – das Leben wirkt dann belang- und sinnlos. Eigentlich laufe ich die meiste Zeit mit einer inneren Leere durch die Gegend. Ich bin mental nicht wirklich anwesend. Alles ist zu viel."

Anna Kathrine, 21

"Bevor ich mein Unternehmen 'Body Fitness' gegründet habe, war ich völlig unzufrieden mit meinem Körper. Deswegen hatte ich schon im Teenageralter wenig Selbstvertrauen. Viele meiner Freundinnen waren schlank und elegant. Trotzdem beschwerten sie sich immer wieder darüber, wie fett sie seien. 'Wenn du fett bist, was bin dann ich?', fragte ich mich dabei. Als ich mich meinem Körper dann annahm, veränderte sich alles."


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The Girls from Malawa

Junge Frauen und ihre Beziehung zu ihren Körpern, das ist ein Thema, über das ich ständig nachdenke. Ich versuche, mir vorzustellen, wie ich mich gefühlt hätte, wenn ich in der jetzigen Zeit großgeworden wäre – einer Zeit, in der es noch mehr Plastikkörper gibt als schon vor etwa zehn Jahren.

Dieser Gedanke brachte mich im Sommer 2015 in das polnische Dorf Malawa, wo es eine Einrichtung für Mädchen gibt, die mit Anorexie kämpfen.

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Kaia (19) und Karolina (18) wurden während ihrer Therapie in dem "Baum des Lebens" genannten Zentrum in Südpolen beste Freundinnen. Sie litten zwei beziehungsweise drei Jahre an Magersucht und beide mussten ins Krankenhaus, bevor sie in diese private Einrichtung kamen.

Agatha (17) schaut aus dem Fenster des kleinen Hauses, in dem 16 Mädchen wohnen. Wenn Menschen dieses Foto hier sehen, sagen sie oft: "Wow, sie sieht aus wie ein echtes Model."

Ich wollte bei dieser Fotoserie eine Ästhetik erreichen, die einen erstmal "reinlegt". Auf den ersten Blick sieht man vielleicht ein wunderschönes Mädchen, aber dann erkennt man plötzlich, dass sie krank ist. Ich finde diesen Augenblick des Begreifens sehr interessant. Das Erscheinungsbild von jungen Frauen mit schweren Essstörungen deckt sich fast mit unserem Schönheitsideal.

Nach jeder Mahlzeit mussten die Mädchen für eine Stunde am Tisch sitzen bleiben. So wurden sie davon abgehalten, sich auf der Toilette zu übergeben. Wenn sie in diesem Zeitraum aufs Klo mussten, durften sie die Tür nicht abschließen. Außerdem mussten sie bis zehn zählen, damit das Personal hören konnte, dass sie sich nicht einen Finger in den Hals stecken.

Ich habe das obige Foto direkt nach dem Frühstück gemacht. Es zeigt Agatha (17) im Garten. Sie wippt vor und zurück, während sie gegen ihre innere Stimme ankämpft. Diese Stimme sagt ihr, wie schlimm es sei, dass sie etwas gegessen hat. Viele der Mädchen beschreiben ihre Anorexie als eine Stimme, die in ihnen wohnt. Sie nennen diese Stimme Ana.

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The Third Gender of Pakistan

Im Dezember letzten Jahres bin ich für einen Auftrag nach Pakistan gereist. Neben anderen Dingen habe ich die schnell wachsende Transgender-Community des Landes fotografiert. 2016 hat die pakistanische Regierung eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die es Transgender-Menschen unter anderem erlaubt, einen Ausweis zu besitzen, der sie als drittes Geschlecht definiert und ihnen das Wahlrecht sichert. In der Praxis ist es jedoch noch ein weiter Weg, bis auch die konservativeren Teile der pakistanischen Gesellschaft Transgender akzeptieren.

Eine Sache, die ich an Pakistan sehr besonders fand, war die Tatsache, dass Pakistaner Transgender-Menschen als eine Art von Heiligen sehen – ungeachtet des Stigmas, das die Transgender-Gemeinschaft des Landes umgibt. Es ist dort eine Jahrhunderte alte Tradition, Transgender-Menschen als Tänzer für Hochzeiten, Taufen und andere Feste zu engagieren. Das obige Foto zeigt die Schauspielerin Lucky bei den Vorbereitungen für einen solchen Auftritt.

Die 27-jährige Jannat Ali ist eines der aktivsten Mitglieder von "Khwaja Sira", einer Organisation aus Lahore, die sich für Transgender-Rechte stark macht. Auf dem Foto passen zwei Wachen auf Jannat auf, als sie sich auf den Weg zu einer Musikshow macht, in der sie auftritt. Da Transgender-Menschen in Pakistan immer noch täglich belästigt werden, muss Khwaja Sira solche Wachen anstellen, um die Sicherheit seiner Mitglieder zu gewährleisten.

Falls du dir um deine eigene psychische Gesundheit oder um die eines geliebten Menschen Sorgen machst, dann findest du hier Hilfe sowie weiterführende Informationen.

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