FYI.

This story is over 5 years old.

URUGUAY

Amateure zwischen beinharten Profis—Uruguay bei der Rugby-WM

Rugby ist in Uruguay ein Sport der Reichen, trotzdem wurde es bisher vom Staat kaum gefördert. Das soll sich ändern, denn die Zukunft des uruguayischen Rugbysport sieht gar nicht mal so unrosig aus.

Während das englische Rugby-Team zur Vorbereitung auf die WM im eigenen Land im schicken Pennyhill Park—einem Fünf-Sterne-Resort im idyllischen Surrey—residierte, erlebte Englands Gruppengegner Uruguay in diesem Jahr sein allererstes richtiges Trainingslager.

Was die Rugby-Weltrangliste betrifft, ist Uruguay das zweitschlechteste Team im Kampf um den Webb Ellis Cup und hat gerade mal drei echte Profis in seiner Reihen, die allesamt in der zweiten französischen Liga unter Vertrag stehen. Für den Rest der Nationalmannschaft, der in Uruguay lebt, bedeutet Rugby ein paar Stündchen Training vor und nach der Arbeit. Der Kontrast zu Englands verwöhnten Profis könnte also größer kaum sein.

Anzeige

Wenn die nämlich von Work-Life-Balance sprechen, haben sie eine Runde Jacuzzi nach dem Training im Hinterkopf, während die Mitglieder der Toros hoffen müssen, aufgrund ihrer WM-Teilnahme am Ende nicht ohne Job dazustehen.

Alberto Román zählt da noch zu den Zeitgenossen, die sich glücklich schätzen können. Denn der 28-Jährige Centre arbeitet für die Werbeagentur seines Vaters in Montevideo, weswegen es für ihn deutlich leichter ist, freizunehmen und irgendwo am anderen Ende der Welt einem eiförmigen Ball hinterherzujagen.

„Ich habe Glück, weil ich für meinen Vater arbeite. Trotzdem ist es momentan kompliziert, weil ich meinen Job zwecks Training vernachlässigen muss", so Román. Und weiter: „Die Amateurstruktur ist alles andere als optimal. Man ist ständig müde und hat keine Zeit zum Entspannen. Ich wache jeden Morgen um halb sechs auf, fahre zum Stadion und hetze gegen Mittag zur Arbeit, wo ich bis sieben bleibe."

Román hat drei Saisons lang in Italien gespielt, wo er einen Vorgeschmack vom Leben als Rugbyprofi bekommen hat. „Als Profi lebst du Rugby. Du spielst jeden Tag fast rund um die Uhr. Dein Leben dreht sich nur um Rugby", sagt er.

Rugby galt schon immer als elitärer Sport. Dieses Image hat in Uruguay nach wie vor Bestand, wo es vor allem von Wohlhabenden und Expats gespielt wird. Es waren auch britische Siedler, über die Rugby ins Land gelangte.

Román gibt zu, dass er wohl nie zum Rugby gekommen wäre, wenn seine Familie nicht das Geld gehabt hätte, um ihn auf eine Privatschule zu schicken. „Auf Privatschulen wird Rugby angeboten, nicht aber in staatlichen Schulen. Ich habe mit Rugby begonnen, als ich sechs war. Schon mein älterer Bruder hat es gespielt. In unserem Land hat Rugby keinen leichten Stand, weil alle nur über Fußball reden und nur wenig Geld in unseren Sport fließt."

Anzeige

Denn das ist das große Paradoxon: Obwohl es der Sport der Reichen ist, reicht das Geld nie aus, um auf höchster Ebene gute Spieler hervorzubringen.

Nationaltrainer Pablo Lemoine, der selbst zwölf Jahre in Europa gespielt hat, betont, dass der uruguayische Rugby-Verband anlässlich der WM zum allerersten Mal einen Zuschuss erhalten hat, um die Spieler finanziell zu entlasten.

„Wir haben eine kleine Finanzspritze erhalten, damit die Spieler etwas weniger als ganztags arbeiten müssen", so Lemoine. „Es hilft uns ein bisschen weiter, ist aber kein volles Gehalt. Wir haben nicht genügend Gelder, um volle Gehälter auszahlen zu können."

Eine der größten Herausforderungen, der sich die Rugby-Verbände von England, Wales und Australia gegenübersehen, ist die Entwicklung, dass immer mehr Spieler ins Ausland wechseln, um dort lukrativere Saläre einzustreichen. Besonders gern klopfen französische Vereine an, die oft von exzentrischen Herrschaften geführt werden, deren Ego nur durch das eigene Bankkonto getoppt wird.

England hat seit 2010 eine klare Regel, was die Nominierung zur Nationalmannschaft betrifft. Wer der englischen Liga den Rücken gekehrt hat, muss zuschauen. Damit soll die eigene Liga gestärkt werden. Das kann man sich natürlich nur deswegen leisten, weil man einen tollen Nachwuchs und einen tiefen Kader hat und die Vereine auch so schon sehr gute Gehälter zahlen können.

Wales hat zwar nicht denselben finanziellen Spielraum, versucht aber trotzdem, mit neuen Regeln die eigenen Talente vom Abflug ins Ausland abzuhalten. Und in Australien gibt es eine ähnliche Regel wie in England.

Anzeige

In Uruguay ist es hingegen genau andersherum. Dort ist man glücklich, wenn möglichst viele Spieler das eigene Land verlassen, um im Ausland Profiluft schnuppern zu können. Coach Lemoine betont den positiven Einfluss von seinen Spielern, die schon mal im Ausland gespielt haben, auf den Rest des Teams. „Sie machen einen großen Unterschied. Sie heben das Konzentrationsniveau im Training an, helfen den anderen. Sie sind fokussierter."

In dem südamerikanischen Land hat man in den letzten Jahren einige ernstzunehmende Erfolge feiern können. Nicht nur, dass man sich schon 1999 und 2003 für die WM-Endrunde qualifizieren konnte, man hat auch bei der Jugendarbeit einiges richtig gemacht. So konnte das U21-Team vor Kurzem sogar Fidschi und Tonga schlagen, die traditionell als deutlich stärkere Rugbynationen gelten.

„Wir haben ein großes Potential", sagt Lemoine. „In Frankreich gibt es eine Menge Jugendakademien, die an unseren Spielern interessiert sind. Unsere besten Spieler wollen wir zu den bestmöglichen Adressen im Ausland schicken, um sie noch besser zu machen und so eine schlagkräftige Nationalmannschaft für die Zukunft aufzubauen."

Lemoine hat zu seiner aktiven Zeit sechs Jahre bei Stade Français—damals einer der größten Vereine der Welt—gespielt und den Gewinn von zwei Meisterschaften feiern können.

Warum sind also nicht mehr Spieler in seine Fußstapfen getreten? Der Erfolg der U21-Mannschaft ist zumindest ein gutes Vorzeichen für die Zukunft. Und er kommt keine Sekunde zu früh. Denn seit Lemoine 2010 seinen Rücktritt bekannt gab, hat nur ein einziger uruguayischer Spieler den Sprung in eine der europäischen Topligen geschafft.

Die Rede ist von Rodrigo Capo Ortega, der eigentliche Star der Mannschaft und einzige Vollprofi bei den Teros. Obwohl ihm noch vor wenigen Wochen in Interviews vor lauter Vorfreude auf das Turnier die Stimme versagte, hat er kurzfristig „aus persönlichen Gründen" auf eine WM-Teilnahme verzichtet. Die Gerüchteküche brodelt, dass sein Verein auf ihn Einfluss genommen hat und ihn mit einem langfristigen und besser dotierten Vertrag von einer Absage überzeugen konnte. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Verein auf die Nationalmannschaftskarriere eines Rugbyspielers Einfluss genommen hätte. Besonders Spieler von Samoa, Tonga und Fidschi können davon ein Lied singen.

Doch auch mit Ortega wären die Chancen Uruguays auf ein Weiterkommen, gelinge gesagt, überschaubar gewesen. Andererseits scheinen sich die Teros in ihrer momentanen Außenseiterrolle auch ganz wohl zu fühlen (manche Kommentatoren werfen den Teros sogar vor, ihren Amateurstatus medienwirksam auszuschlachten), schließlich können sie bei der WM nur gewinnen. Auch wenn die 9:54-Auftaktklatsche gegen Co-Gastgeber Wales dann doch ein bisschen wehgetan haben wird.