Das schwierige Vermächtnis von Johan Cruyff
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Das schwierige Vermächtnis von Johan Cruyff

Johan Cruyff war einer der besten und einflussreichsten Fußballer der Geschichte. Doch er war auch ein intriganter Streithahn, der auch schon mal zum Erzfeind überlief.

Für Johan Cruyff gab es nur eine Art, Dinge zu tun. Und das war die Art, die Johan Cruyff für richtig hielt. Keine Sorge, das wird jetzt kein respektloser Zerriss am vor wenigen Tagen verstorbenen Ausnahmespieler. Doch das Oranje-Fußballgenie hatte noch eine andere Seite, die den meisten Leuten nicht präsent ist. Und um genau die soll es gehen.

Was den Fußballer und Trainer Cruyff betrifft, kann es hinsichtlich seiner Bedeutung keine zweite Meinung geben: episch. Als das Gehirn von totaalvoetbal—eine in den 70ern von Ajax und Holland eingeführte Taktiktheorie—hat er das Spiel grundlegend revolutioniert.

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Fußball, glaubte Cruyff bis zu Ende, müsse auch schön aussehen. Denn nur so würde man richtig gewinnen. „Qualität ohne Resultate ist sinnlos", erklärte er eins. „Aber Resultate ohne Qualität ist langweilig."

All das ist bekannt.

Doch es gab auch noch einen anderen Cruyff, einen Cruyff, der außerhalb von Holland und Barça-Streberfankreisen weitgehend unbekannt war.

Cruyff der Antagonist.

Ein Mann von einmaliger Selbstüberschätzung, Starrsinn und Rücksichtslosigkeit. Cruyff der Kontrollfreak.

Denn wie jedes Genie hatte auch Cruyff eine dunkle Seite. Und diese dunkle Seite zeigte sich in seinem unbelehrbaren Hang für Konfrontationskurse.

Viele von Cruyffs Vereinsabschieden—und davon gab es während seiner Zeit als Spieler und auch danach eine Menge—wurden durch Streit ausgelöst, die in nicht wenigen Fällen vom Fußballmaestro selbst vom Zaun gebrochen wurden. Denn auch das war Cruyff.

Über Tote soll man bekanntlich nicht schlecht sprechen. Aber Aspekte seines Charakters totzuschweigen, die sich auch auf seine sportliche Karriere auswirkten und das Gesamtkunstwerk Cruyff miterklären, würde bedeuten, die Geschichte umzuschreiben. Denn die Wahrheit lautet: Cruyffs unfassbares fußballerisches Talent wurde nur noch von seiner Streitsucht übertroffen.

Er sah sich selbst als moralischen Kompass des Sports, als den Hüter seiner Essenz—die von ihm festgesetzt wurde. Er stellte sich ins Zentrum der Kulturkriege zwischen Ästheten und Pragmatikern. Wer seiner Meinung nach Recht haben müsste, daran ließ er wahrlich keinen Zweifel.

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Doch all sein Talent auf dem Platz und auf der Trainerbank machten ihn auf die Dauer zu einem äußerst unbequemen Mitarbeiter für den jeweiligen Verein. Cruyff begann, in den Umkleidekabinen von Ajax rumzuhängen, als er gerade mal vier Jahre alt war. Sein Vater war nämlich der Ajax-Gemüsehändler. Als der starb, nahm seine Mutter eine Stelle als Putzfrau im Verein an. Da war Cruyff zwölf Jahre alt. Er trainierte mit der ersten Mannschaft im Alter von 15 und wurde mit 17 Stammspieler. Schon bald war er die rechte Hand von Trainer Rinus Michels, Cruyff durfte sogar bei der Aufstellung mitentscheiden.

Cruyff am 13. April 1969 im Europapokal-Halbfinale gegen Spartak Trnava. Foto: EPA

Mit 26 ging er zu Barça. Dem Wechsel war ein großer Streit mit seinen Teamkameraden vorausgegangen. Die hatten gegen Cruyff rebelliert und ihn sogar von seiner Kapitänsrolle entbunden, weil sie von seinen Intrigen die Nase voll hatten. Der Grund, dass er nach Barcelona ging, lag auch daran, dass ihn Ajax an Real verkauft hatte, was ihm nicht passte. Außerdem war in Barcelona mittlerweile auch sein alter Ajax-Mentor Michels Trainer. Sein ganzes Leben lang hat sich Cruyff damit gebrüstet, dass er der Erste im Fußball war, der von seinem Namen profitieren wollte und auch konnte. So ist auch zu erklären, dass er einen Streik in der niederländischen Nationalmannschaft für höhere Siegesprämien angeführt hat. Er hat Ajax gesagt, dass er einfach ganz aufhören würde, wenn sie ihn nicht zu Barça wechseln ließen. So etwas durchzuziehen—mehr als 20 Jahre vor dem Bosman-Urteil—war zur damaligen Zeit unerhört. Für Cruyff hingegen war es der Beginn eines Musters.

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1978 hat er seine Karriere beendet. Doch nachdem er den Großteil seines Geldes durch ein paar schlechte Investitionen verloren hatte, erklärte Cruyff den Rücktritt vom Rücktritt und ging nach Amerika. Dort spielte er bei den New York Cosmos, den Los Angeles Aztecs (mal wieder unter Michels) und bei den Washington Diplomats.

Schließlich kehrte er nach Amsterdam zurück. Doch nach zwei Spielzeiten und zwei weiteren Meisterschaften—seine siebte und achte als Ajax-Spieler—geriet er mit dem Klubpräsidenten über das Finanzielle in Streit. Und unterzeichnete aus Trotz bei Ajax' Todfeinden: Feyenoord Rotterdam. Die führte er dann zu Meisterschaft und Pokalsieg.

Als Jungtrainer kehrte er 1985 zu Ajax zurück. Als sein Vertrag auslief, verlangte er einen neuen Zweijahresvertrag, der Verein wollte ihm aber nur einen Einjahresvertrag anbieten. Darum verließ er erneut im Streit seinen Jugendverein und kehrte nach Barcelona zurück. Dort baute er einen der besten Vereine aller Zeiten auf—neben der berühmten Jugendakademie. Doch weil er sich regelmäßig mit dem Präsidenten Josep Núñez anlegte, wurde er schließlich 1996 gefeuert.

Danach hat Cruyff nie wieder als Trainer gearbeitet, weil er mit seinen Forderungen und seiner nur wenig diplomatischen Art alle potentiellen Arbeitgeber abschreckte.

Was aber nicht heißt, dass er von der Bildschwäche verschwand. Ganz im Gegenteil, er war weiterhin ein lautstarker Wortführer. Reden, das war Cruyffs Sache. „Wenn ich nur alles so gut wie reden könnte", gab er einst zum Besten. In den Niederlanden produzierte er endlose Fußball-Kolumnen und wurde ein omnipräsenter TV-Experte. Doch wenn er auf Niederländisch sprach, was er natürlich meistens tat, war er berüchtigt dafür, kaum verstanden zu werden. Mit seinem starken Amsterdamer Arbeiterdialekt quälte er die Sprache, wo er nur konnte, und sorgte mit Weisheiten à la „Die Italiener können dich nicht schlagen, aber du kannst gegen sie verlieren" für reichlich Facepalm-Momente. Diese semantisch nicht ganz astreine Äußerung toppte er übrigens noch mit folgender Aussage: „Hätte ich gewollt, dass Sie mich verstehen, hätte ich mich klarer ausgedrückt."

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Er blieb auch noch später einflussreich, indem er sowohl bei Ajax als auch bei Barça Ehren- oder informelle Positionen innehatte. Für die Präsidenten der beiden Vereine fungierte er zudem als Berater. Nur wenige Trainerentscheidungen wurden bei Barcelona ohne seinen Segen getroffen. Er soll sich damals auch für Frank Rijkaard und Pep Guardiola ausgesprochen haben—zwei Trainer, die beide den CL-Henkelpott nach Katalonien holen konnten. Außerdem hat er 2011 bei Ajax eine Art Putsch durchgeführt, bei dem die meisten Aufsichtsratmitglieder den Hut nehmen mussten. An ihre Stelle traten Cruyff-Vertraute, die seine Vision von Fußball nach Amsterdam zurückbringen sollten. Bisher mit eher mäßigem Erfolg.

Auch auf sportlicher Ebene ging Cruyff gerne mal auf Konfrontationskurs, etwa als er bei Ajax die Entlassung von etlichen Jugendtrainern forderte, die er kaum kannte. Und wenn er fand, dass Interviews nicht angemessen vergütet wurden (denn die gab es nur für eine Spende an seine Cruyff Foundation), hat er dem Journalisten einfach gedroht, seine Karriere zu zerstören. Wie? Indem er in der führenden Boulevardzeitung und im wichtigsten Fußballblatt des Landes eine gepfefferte Schmähkolumne aufgesetzt hätte.

Cruyffs Vermächtnis ist deswegen nicht nur positiv. Denn nicht selten schien ihm ein ordentlicher Machtkampf wichtiger als Fußball zu sein.

Nur den Krebs konnte er nicht besiegen. Er war sein ganzes Leben lang Kettenraucher und hat schon als Spieler bis zu 80 Zigaretten am Tag geraucht. Bis er sich 1991 einer Bypass-OP unterziehen musste und daraufhin das Rauchen komplett einstellte. Dann wurde bei ihm im vergangenen Oktober Lungenkrebs diagnostiziert. Noch letzten Monat schrieb er optimistisch: „Ich fühle, dass ich in der ersten Hälfte mit 2:0 führe und das Spiel noch nicht vorbei ist. Ich werde am Ende auf jeden Fall gewinnen."

Sollte er leider nicht. Cruyff verstarb am vergangenen Donnerstag im Alter von 68 Jahren in Barcelona. Er hinterlässt seine Ehefrau Danny Coster, mit der er 47 Jahre verheiratet war, und drei Kinder.