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Tour de France

Liebe Tour de France, wir sind miteinander durch

So lange wir nach Helden und dem Übernatürlichem verlangen, wird sich im verseuchten Radsport nichts ändern. Eine Trennungsgeschichte auf zwei Rädern.

23. Juli 2007. 15. Etappe der Tour de France. Letzter Anstieg zum Col de Peyresourde. Ich sitze wie immer berauscht vor meinem Fernseher, während meine Freunde im Freibad hocken. Alexander Winokurow sprintet 15 Kilometer vor dem Ziel alleine an die Spitze. Im Hauptfeld belauern sich die Favoriten. Alberto Contador, Zweiter in der Gesamtwertung, greift an. Michael Rasmussen, im gelben Trikot, kann als einziger Fahrer mithalten. Es folgt ein ständiges Belauern mit zahlreichen Angriffen von Contador. Rasmussen zieht immer mit. 181 Kilometer sind die Fahrer schon gefahren. Der letzte Anstieg hat eine durchschnittliche Steigung von 7,6 Prozent. Das Tempo ist extrem hoch. Sie sprinten den Berg hoch. Beim Anstieg muss in den Kurven gebremst werden. „Das sind unglaubliche Leistungen dieser Fahrer hier. Leider kann man sie wirklich nicht glauben", habe ich den Kommentator der ARD noch heute im Ohr. Diese Etappe war so unwirklich. Ich habe den Fernseher ausgeschaltet und seitdem nie wieder für Radsport angemacht.

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Seit dem 4. Juli rollt die Tour de France auch in diesem Jahr wieder. Sie wird immer noch als das größte jährliche Sportereignis der Welt beworben. Sie ist frisch, sie ist jung und sie ist vor allem sauber–zumindest sagen das die Fahrer, die Teams, die Verantwortlichen und die Berichterstatter. Trotzdem ist sie ein Sorgenkind, denn die Dopingvorwürfe reißen nicht ab. Der Radsport und sein Vorzeige-Rennen kommen den Menschen am ehesten in den Sinn, wenn sie über Doping und Skandale nachdenken. Das sind sie selber Schuld.

In diesem Jahr fährt Christopher Froome aus Großbritannien allen anderen Fahrern davon. Der Sieger von 2013 wird wohl wieder die Tour gewinnen. Viele Experten sind jedoch skeptisch, wenn sie Froomes Leistungswerte sehen. Der Brite wiegt bei einer Körpergröße von 1,86 Meter nur 69 Kilogramm. Sein Maximalpuls beträgt laut BBC ungewöhnlich geringe 165 Schläge pro Minute. Er hat ein Lungenvolumen von acht Litern. Normal wären bei seinen körperlichen Voraussetzungen sechs. Die laut eigenen Angaben 50 Dopingkontrollen in diesem Jahr fielen jedoch negativ aus.

Selbst der überführte Dopingsünder und ehemalige Mega-Star Lance Armstrong zeigt sich nach den herausragenden Siegen von Froome auf Twitter sehr skeptisch. Natürlich in seiner gewohnt arrogant-provokanten Art. „Froome/Porte/Sky sind sehr stark. Zu stark, um sauber zu sein? Fragt mich nicht. Ich habe keine Indizien", twitterte Armstrong. Der Skandalfahrer, dem seine sieben Tour-Titel aberkannt wurden, befindet sich immer noch im Dunstkreis der Tour. Von Donnerstag bis Samstag fuhr an einem Wohltätigkeitsrennen des früheren Profifußballers Geoff Thomas mit. Ein ekliges Gefühl fährt mit.

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1. Clearly Froome/Porte/Sky are very strong. Too strong to be clean? Don't ask me, I have no clue.
— Lance Armstrong (@lancearmstrong) 14. Juli 2015

Es heißt immer, der Radsport sei um einen sauberen Sport bemüht, aber warum fahren ehemaligen Dopingsünder noch mit? Warum dreht ein Lance Armstrong in der Nähe der Rundfahrt seine Runden? Natürlich will ich der jungen unbelasteten Radsportgeneration eine Chance geben, aber das Lechzen nach neuen Dramen, Qualen und Helden macht die Versuchung für die Fahrer durch Doping noch besser zu werden wieder größer.

Die ARD ist seit 2011 erstmals in diesem Jahr wieder in die Live-Übertragung eingestiegen. Eurosport überträgt ebenfalls. „Ich glaube, dass der Radsport enorme Anstrengungen unternommen hat. Das heißt natürlich nicht, dass es keine Dopingfälle mehr geben kann - dann wären wir ja naiv, aber wir müssen auch aufpassen, dass wir keine Sportart an den Rand stellen", reagierte der ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky auf die Kritik, dass Gebührengelder den Dopingsumpf der Tour speisen. „Das Publikum hat immer mehr den Wunsch geäußert, die Tour de France wieder bei uns zu sehen. Die Leute sind teilweise massiv auf uns zugekommen", erklärte Balkausky.

Die ARD sieht ihren Programmauftrag also darin, die verblendete Allgemeinheit zu beliefern. Nur ist das Interesse doch nicht so „massiv". Im Jahr 2003 sahen noch bis zu 9,11 Millionen Zuschauer (Marktanteil 58,1 Prozent) in der ARD den dramatischen Zweikampf zwischen Lance Armstrong und Jan Ullrich. Das bedeutete Tour-TV-Rekord. Bei der diesjährigen Tour schaltete bei den Etappen vier bis sechs jeweils nur zwischen 1,06 und 1,09 Millionen Zuschauer ein, was Marktanteile von 9,3 bzw. 9,2 Prozent waren. Die zahlreichen Dopingfälle und die mediale Unterpräsenz der letzten Jahre haben das Interesse der deutschen Zuschauer auf das Minimale reduziert. Und das obwohl es trotz der nur zehn deutschen Tourteilnehmern schon überraschende Etappensiege und Erfolge im grünen und gelben Trikot von André Greipel, Tony Martin und Co. gab.

Das Misstrauen ist gerechtfertigt. Der Radsport wird sich in den kommenden Jahren nicht ändern. Scheinbar gibt es kein Doping mehr. Anfang Juli vermeldete die Tour de France erstmals seit drei Jahren wieder eine positive Dopingprobe. Der italienische Radprofi Luca Paolini wurde am vergangenen Dienstag positiv auf Kokain getestet. Trotzdem ist der Rest des Feldes nicht automatisch clean. Tricksereien gibt es immer noch. Es wird wesentlich raffinierter und nicht mehr so ausufernd gedopt. Die finanziellen Anreize für die Fahrer sind ein Problem. Insgesamt werden bei der Frankreich-Rundfahrt 2.030.150 Euro an Preisgeld verteilt. Der Gesamtsieger bekommt 450.000 Euro, der Zweite 200.000 und der Dritte 100.000. Für Etappensiege gibt es 8.000 Euro. Diese Gelder sind verlockend und machen Doping noch verlockender. Das Verlangen von uns nach dem Übernatürlichem ist ein weiteres Problem. Die fehlenden charismatischen Figuren in Politik und Wirtschaft lassen uns im Sport nach Helden suchen. Die Radsport-Helden werden auch in Zukunft mit viel Talent, Disziplin und eben illegalen Methoden daran arbeiten, zu solchen zu werden.

Tagessieger an diesem 23. Juli 2007, an dem ich meine Faszination für den Radsport verlor, wurde Alexander Winokurow. Er wurde für seine Fahrweise zum kämpferischsten Fahrer gewählt. Wegen eines positiven Doping-Tests fuhr er allerdings in der nächsten Etappe schon nicht mehr mit. Sein Team Astana zog sich daraufhin aus der Tour zurück. Der gesamtführende Rasmussen musste eine Etappe später dran glauben. Alberto Contador gewann die Tour–wie auch in den Jahren 2009 und 2010. Der letzte Titel wird ihm im Zuge seiner Dopingsperre von 2010 bis 2012 aberkannt. Aufgrund der Doping-Vorfälle steigen ARD und ZDF mitten in der Tour aus der Berichterstattung aus.

Ich schaue auch in diesem Jahr wieder keine Tour. Eine saubere Tour bleibt eine Illusion. Der Radsport beharrt auf die Veränderungen und die neue und junge Radgeneration, die nicht im Dopingsumpf feststeckt. Doch im Grunde ist alles wie im Jahr 2007. Das Team Astana sprintet, die ARD berichtet über Unmögliches und Alberto Contador mischt noch immer mit. Ach, und Boss des Teams Astana von Titelverteidiger Vincenzo Nibali ist Alexander Winokurow.