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The Outta My Way, I’m Walking Here Issue

Gefallene Männer: Wie die Mafia den Süden Italiens in eine giftige Wüste verwandelt hat

Roberto Saviano über die Umweltzerstörung der Mafia.

Die Gegend, aus der ich stamme, wurde von den alten Römern Campania Felix genannt, „das glückliche Kampanien", da sie fanden, dass der Himmel es gut mit der Region gemeint und sie mit einem milden Klima, fruchtbarem Boden und einer atemberaubenden Landschaft gesegnet hatte. Dann aber beging dieses Land auf dramatische Weise Selbstmord—es nahm Gift. Auf den Flächen, die zuvor dem Obst- und Gemüseanbau gedient hatten, machte sich nun eine illegale Ökonomie der Müllentsorgung (vor allem von Giftmüll) breit, der auf den Felder verbrannt oder in ihnen verscharrt wurde. Weinstöcke, Apfel-, Pfirsich- und Mandelbäume wurden zerstört, um Platz für die illegalen Müllhalden zu schaffen. Der Begriff des „biocidio", des Biomords, wurde für diese gravierende Form der Umweltzerstörung geprägt. Die Campania Felix wurde zum „Land der Feuer", wie es im Volksmund heißt. Der portugiesische Entdecker Ferdinand Magellan taufte den Archipel an der südlichsten Spitze Amerikas einst „Tierra del Fuego", nachdem er von seinem Schiff aus zahllose Feuer entlang der Küste gesehen hatte. Auch in Kampanien werden Reisende von nie abreißenden Säulen aus Rauch und Flammen begrüßt. Sie stammen von dem Müll, der quer durch das Land verbrannt wird. Wenn man die Autobahn zwischen Nola und Villa Literno oder die Straße von Giugliano nach Acerra entlangfährt, sieht man den Rauch rund um sich vom Boden aufsteigen. Bei heruntergelassenem Fenster schlägt einem ein beißender Geruch entgegen, der einem den Rachen versengt und den Mund mit einem säuerlichen Film überzieht. Es ist ein Geruch und ein Geschmack, an den man sich nie gewöhnt.

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Wie konnte das geschehen? Wie konnte hier so viel Giftmüll vergraben werden, dass es schwierig, wenn nicht unmöglich geworden ist, den Boden jemals wieder zu bebauen?

Seit 30 Jahren beauftragen verschiedene Firmen aus Norditalien scheinbar legale Firmen, die in Wahrheit aber von der Camorra, der neapolitanischen Mafia, betrieben werden, mit der Entsorgung ihres Mülls. Diese Firmen sind in der Lage, ihren Kunden enorme Rabatte zu gewähren, die in der gegenwärtigen ökonomischen Situation für manches Unternehmen den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten können. Laut Aussagen der Anti-Mafia-Direktion der Region Neapel boten Mittelmänner 2004 für die Entsorgung von 800 Tonnen kohlenwasserstoffverseuchten Bodens einer Chemiefirma einen Preis von 25 Cent pro Kilo—inklusive Transport. Das ist ein Rabatt von 80 Prozent auf die sonst üblichen Preise, der durch eine Reihe von Einsparungsmaßnahmen möglich wird. Obwohl die Firmen, die diese Methoden verwenden, sich der Zerstörung der Böden schuldig machen, sind sie rechtlich geschützt, weil ihre Vermittler ihnen offizielle Unterlagen besorgen, die bezeugen, dass bei der Entsorgung die korrekte Abfolge eingehalten worden ist. Die Mafia verwandelt Tonnen giftigen Mülls in harmlosen Abfall, der auf ganz normalen Halden entsorgt werden kann, indem sie an den Frachtbriefen oder Packzetteln he­rumdoktert. Das Ganze funktioniert wie folgt: Jedem Fass Industrieschlamm liegt ein Dokument bei, dass den Giftigkeitsgrad der enthaltenen Substanzen ausweist. Die Firmen, die Geld sparen wollen, wenden sich dann an einen Mittelmann, der den Schlamm zunächst in ein Zwischenlager verschifft. Dort bedarf es dann nur eines einfachen Federstrichs, um die Fässer zu normalem Haushaltsmüll umzudeklarieren. Ein anderer Trick, der in den Lagerzentren angewendet wird, ist der, den Giftmüll mit normalen Haushaltsabfällen zu mischen, um den prozentualen Giftgehalt zu verringern und das Ganze so einer niedrigeren Kategorie des Europäischen Abfallkatalogs zuordnen zu können.

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Die kostenbewussten Mittelmänner greifen aber auch auf eine noch eindeutiger kriminelle Art der Müllentsorgung zurück: die Verbrennung. Sie verbrennen Reifen, Kleidung, Plastik und isolierte Kupferkabel. Sie türmen alle erdenklichen Arten von Müll auf ihre Scheiterhaufen. Indem sie den Müll verbrennen, verringern sie seine Masse. Die Asche mischen sie anschließend in den Boden.

Das Land ist für sie nur eins—leerer Raum, der sich gewinnbringend füllen lässt. In Süditalien, besonders in Kampanien, sieht man immer wieder Parkplätze, die komplett mit Müllbergen gefüllt sind. Viele Besucher denken zunächst, dass die Anwohner hier so unzivilisiert sind, ihren Müll einfach am Straßenrand aufzuhäufen, statt ihn zu recyceln oder zu entsorgen, womit sie sich und ihren Landstrich beschämen. Nichts könnte aber weiter von der Wahrheit entfernt sein. Diese Parkplätze sind für die von der Mafia gelenkten Firmen nichts weiter als leerer Raum, Flächen, auf denen sich Müll abladen lässt. All das ist alles andere als primitiv—es ist vielmehr eine eine extrem clevere Erfindung des organisierten Verbrechens, Profit zu machen.

Es ist das letzte und beunruhigendste Stadiums des Desasters. Der Müll lässt sich nicht mehr identifizieren oder klar von seiner Umgebung trennen, er ist bis in den letzten Winkel vorgedrungen und durchzieht sogar den Boden. Der Müll hat sich in unsere Leben gedrängt und selbst unsere Körper kontaminiert. Er wächst und wächst, bis er die Überhand gewinnt, uns unterwirft. Selbst die tägliche Müllabfuhr ist betroffen. Fragt nur die Bewohner Neapels, wo Richter vor ein paar Jahren die Schließung der Müllhalden vor der Stadt anordneten, nachdem dort illegal Müll abgeladen worden war, und so eine Müllkrise auslösten, während derer die Stadt praktisch in ihrem eigenen Müll ertrank.

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Wie hatte es so weit kommen können? Wie wurde aus diesem fruchtbaren Agrarland ein Friedhof für Müll? Tomaten, Brokkoli, Zucchini, Chicorée, Blumenkohl, Dicke Bohnen, Paprika, Orangen, Mandarinen, Äpfel, Birnen—Kampanien war einst ein Paradies für Nutzpflanzen. Dann begannen die Nahrungsmittelgroßhändler, den Bauern immer geringere Summen für ihre Produkte zu zahlen. Wenn die Bauern sich weigerten, die niedrigen Preise zu akzeptieren, drohte ihnen der Verlust ihrer Betriebe, da das Obst sonst einfach aus dem Ausland importiert werden konnte, aus Libyen, Griechenland oder Spanien.

Als die Landwirtschaft nicht mehr als Haupteinnahmequelle der örtlichen Farmer genügte, begannen sie, Teile ihrer Ländereien an Firmen zu verkaufen oder zu vermieten, die dort ihren illegalen Müll entsorgen wollten. Mit diesen Einnahmen halten die Bauern sich über Wasser, während sie nebenher weiterhin ihr Obst und Gemüse anbauen, weil man ihnen versichert hat, dass der Müll nicht giftig sei. Sie finden dann schnell heraus, dass dem nicht so ist. Der Müll besteht oft aus Dioxinen und reihenweise giftigen Lösungsmitteln, die entweder komplette Ernten vernichten oder so stark vergiften, sodass es für seine Konsumenten irgendwann gesundheits­gefährdend wird.

Laut dem italienischen Nationalen Gesundheitsinstitut haben die Früchte dieses Landes und seine beißenden Rauchschwaden in dieser Gegend zu wesentlich höheren Krankheits- und Todesraten als in anderen Teilen Italiens geführt. Studien haben gezeigt, dass es in der Gegend wesentlich häufiger zu Geburtsfehlern, Leukämie, Weichteilsarkomen und Leber-, Magen-, Nieren- und Lungenkrebs kommt. Die örtlichen Politiker hängen so tief in der Sache drin, dass man kaum glauben kann, dass sie noch nicht vor Gericht stehen, und so wird wohl erst die Geschichte über sie urteilen.

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Ebenso schlimm wie der Schaden durch die tatsächliche Verschmutzung ist die tiefe Verunsicherung, die diese nach sich gezogen hat. Die Leute glauben inzwischen, dass hier alles vergiftet ist. In Italien hält man inzwischen alle Produkte Kampaniens—von den Erdbeeren über die Tomaten, zu dem weltberühmten Mozzarella und den aus der Region stammenden Apfelsorten—für verunreinigt und kompromittiert.

Einfach die Herkunft eines Produktes auszuweisen oder es als „Bio" zu deklarieren reicht nicht mehr aus, um die neapolitanische Landwirtschaft zu retten. Heute müssen die Angaben weitaus genauer und detaillierter sein, um alle Zweifel zu zerstreuen. Auf einem Etikett muss explizit ausgewiesen sein, dass das Produkt von nicht verunreinigten Feldern stammt, aus gesundem Boden, sogar die Adresse des Hofes muss angegeben sein.

Lebensmittel aus der Gegend werden in Supermärkten oft separat präsentiert und zu besonders niedrigen Preisen verkauft, während bei anderen Waren ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sie nicht aus Kampanien sind. Die illegale Ökonomie weiß aber auch noch aus dieser Entwicklung Profit zu schlagen. Die nun unverkäuflichen Produkte gehen an den Schwarzmarkt, wo kontaminierte Nahrungsmittel dann mit nicht gesundheitsschädlichen vermischt und an Obst- und Gemüsehandlungen verkauft werden, die oft von der Mafia betrieben werden, wie offizielle Ermittlungen in der Region Lazio und in Mailand ergeben haben. Die Großhändler lieben diese Waren insgeheim, da sie sie billig kaufen und für einen wesentlich höheren Preis verkaufen können, nach dem sie ihnen unter Umständen sogar noch das gefragte Etikett „Nicht aus Kampanien" aufgestempelt haben.

Ich war immer sehr beeindruckt von einer Geschichte eines ehemaligen Mitglieds des Esposito-Clans, der später Informant wurde. Sie illustriert auf eindrückliche Weise die Logik der kriminellen Organisationen. Dieser Mann erzählte, dass ein Boss der Camorra—den vielleicht einen kurzen Moment lang ein schlechtes Gewissen plagte—einmal während eines Treffens zu Bedenken gab: „Wenn wir den Müll so tief vergraben, riskieren wir, dass das Grundwasser verunreinigt wird." Der Don antwortete prompt: „Und warum sollte uns das jucken?! Wir trinken eh Mineralwasser!"

Das Weideland und die Felder einer Region, bekannt für ihre Schönheit und ihren Tourismus, werden systematisch am helllichten Tage vergiftet. Und das Ganze spielt sich vor den Augen der Anwohnerinnen ab, die jeden Glauben an Veränderung verloren haben. Übrig bleibt ein feiges Vergnügen daran, Dinge zu zerstören, statt sie zu ändern und dabei auf eine neue, wundersame Welt zu hoffen, die doch nie kommen wird. Und im Namen dieser neuen Welt wird der Alltag zu einer unerträglichen Hölle, in der keiner leben kann. Robert Musil beschreibt diesen Mechanismus sehr treffend in Der Mann ohne Eigenschaften. Es ist „jene unaussprechliche Lust an dem Schauspiel, dass sich das Gute erniedrigen und wunderbar einfach zerstören lässt."