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Zu Besuch in Gaddafi Juniors Haus

Im Vergleich zu den Palästen der Gaddafis in Libyen ist das Haus eigentlich eine recht bescheidene Bleibe mit nur zehn Schlafzimmern, einem Swimmingpool und einer Sauna.

Ein paar Wochen nachdem die Rebellion gegen Gaddafi die Wüste Libyens in ein Kriegsgebiet verwandelt hat, erreichte eine andere Form des Protests einen Vorort Londons. Hier lebte Muammars zweiter Sohn Saif Gaddafi und schüttete sich, wenn er nicht gerade irgendwelche Öl-Deals abwickelte zusammen mit dem Establishment mit Tequila zu.

Im Vergleich zu den Palästen der Gaddafis in Libyen ist das Haus eigentlich eine recht bescheidene Bleibe mit nur zehn Schlafzimmern, einem Swimmingpool und einer Sauna. Im Vergleich zu anderen besetzten Häusern ist es dann dennoch ein ziemlich luxuriöses Anwesen.

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Laut der Mitglieder der Gruppe Topple the Tyrants, durch deren Adern lybisches Blut fließt, okkupierten sie das Haus für die Menschen in Libyen und nun ist es irgendwas zwischen einem Internat und Hotel für Immigranten aus Libyen. Ich habe sie also mal besucht, um mir mit eigenen Augen anzusehen, was man sich mit Blutgeld in diesen Tagen alles kaufen kann.

Als ich zum ersten Mal dort ankam war das Haus bereits von einem Schwarm Journalisten, Fernsehteams und Crust-Punks belagert, die alle versuchten irgendwie in das Innere des Gebäudes zu gelangen. Nach etwa einer Stunde kam ein Typ namens „Oz“ an eines der Fenster und machte uns klar, dass alle Journalisten Arschlöcher sein und niemand hineingelangen würde. Der betrunkenste Crusty machte seinem Ärger darüber Luft und pisste als erstes auf ein paar Journalisten und dann gegen Saifs Haustüre.

Topple the Tyrants waren nicht besonders begeistert davon.

Einen Monat und unzählige Emails und Telefonate später, schaffte ich es jedoch Topple the Tyrants dazu zu bewegen mich in ihre sehr nette Absteige zu lassen. Wie ihr sehen könnt sind sie sehr auf Regeln fixiert und mir wurde sofort und umissverständlich klargemacht, dass einige Fragen über das Haus nicht beantwortet werden würden und dass ich nur ein paar Zimmer betreten darf.

Ich wurde zuerst in den Garten geführt, wo ich zwei Typen vorgestellt wurde, die nun in dem Haus leben und die täglichen Proteste vor der libyschen Botschaft organisieren: Billy*, der ursprünglich aus Bengasi stammt und Azrah*, der bei einer Bank arbeitet und zur Hälfte englisch ist. Billy erklärte mir, dass sie das Haus nun dazu benutzen, den Leuten, die auf dem Weg nach Libyen sind um dort zu kämpfen einen Platz zum schlafen zu bieten, bevor sie zum Flughafen fahren und in den Krieg fliegen. Die Idee dahinter ist die, dass sie das Geld, das sie ansonsten für ein Hotel ausgegeben hätten der Sache der Rebellion zu Verfügung stellen, sobald sie in ihrer Heimat angekommen sind.

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Ich fragte, ob sie schon mit Unterstützern des Regimes aneinandergeraten sind und Billy erzählte mir über einen Libyer, der perfektes Englisch sprach, einen 10.000 Dollar Anzug trug und sie in den frühen Morgenstunden besuchte. „Als wir mit ihm quatschten wirkte er zu Beginn sehr nett, aber dann schlug die Stimmung um und er beschuldigte uns Diebe zu sein und meinte, dass unsere Familien für unsere Taten bezahlen würden. Dann bot er uns urplötzlich 80.000 Dollar an, wenn wir das Haus sofort verlassen würden. Ich sagte ihm, dass ich das Angebot unter keinen Umständen annehmen könnte, denn es ist weder mein Haus, noch Saifs – es gehört dem libyschen Volk und dieses soll entscheiden, was damit passiert. Er verschwand dann sehr schnell.“

In der Küche stand eine Schale voller Chili-Schoten, was entweder reiner Zufall war, oder ein ziemlich cleverer Scherz, wenn man den Kontext versteht. Während des gesamten Konflikts hat Gaddafi ununterbrochen betont, dass die Rebellen zurückgebliebene Chaoten wären, die sich seinen Truppen nur stellen könnten, wenn sie sich zuvor den Mund mit LSD ausgewaschen hätten. In der Realität sind die einzigen „halluzinogenen“ Substanzen, die die Rebellen zu sich nehmen unfassbare Mengen grüner Chili. Sie boten mir ein paar an, doch angesichts meines sehr sensiblen Geschmacksinns lehnte ich dankend ab.

Billy wie auch Azrah haben beide Familienmitglieder die in Libyen leben. Billys Onkel und seine Brüder kämpfen im Moment in Misrata, wo sie vor Scharfschützen in Deckung gehen und sich mit den Kindersoldaten, die Gaddafi als letztes Aufgebot seiner schwindenden Macht in den Kampf schickt, bekriegen müssen. Azrahs Familie hingegen befindet sich im Moment unter Hausverbot in Tripolis, wo das Regime jeden unter ununterbrochener Kontrolle hat und Menschen jeden Tag verhaftet werden.

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„Was man verstehen muss ist, dass das kein Krieg ist.“ Erklärt mir Billy. „Das ist Genozid. Als die Allierten den Irak und Afghanistan angriffen und von der Bevölkerung nicht gerade dazu eingeladen wurden, dann war das Krieg. Aber in Libyen bitten die Menschen um die Hilfe des Westens, damit dieser interveniert. Es geht nicht immer um Öl, wie viele Kritiker im Westen gerne glauben machen wollen. Wir Libyer würden das Öl verschenken, wenn es bedeuten würde, dass der Westen die Leben von Zivilisten schützen würde.“

Jeder, der gerade in diesem Haus des blutigen Mamons lebt, das sie dem Typen weggenommen haben, der die Bose Lautsprecher und den anderen teuren Krempel angeschafft hat spricht voller Verachtung von dem Mann, von dem sie annahmen, dass er zumindest der am wenigsten gestörte Gaddafi wäre. Aber das lag vielleicht auch nur daran, dass er einen Anzug trug und keine Fantasieuniform wie sein Vater.

„Saif war derjenige, der die 4 Milliarden Dollar Entschädigung für die Hinterbliebenen des Lockerbie Anschlags aufbrachte.“ sagt Azrah. „Ich kann mich aber auch daran erinnern, dass er sagte, dass sie habgierig seien – was für ein Arschloch, dachte ich mir damals. Gaddafi war mit absoluter Sicherheit derjenige, der das Bombenattentat angeordnet hat und nun können wir darüber offen sprechen. Man konnte und durfte nicht sagen, dass Gaddafi schuldig sei. Telefone aus Lybien wurden schon immer abgehört und Handys gab es nur für diejenigen, die hinter dem Regime standen. Meinungsfreiheit ist eine sehr neue Sache für Libyen.“

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„Wir glaubten wirklich, dass Saif unsere Hoffnung für ein besseres Libyen sei“ fährt Azrah weiter fort. „Er erhielt seine Bildung im Westen und war immer derjenige, der immer von Reformen sprach, doch als dieses Video von ihm erschien, in dem er mit einem Sturmgewehr herumfuchtelte, die Rebellen ‘Hunde’ nannte und dass sie alle auf Drogen wären, tja, da starb die Hoffnung dann sehr schnell. Dafür fühlt es sich so richtig an dieses Haus zu besetzen.“

Die Konversation endete schließlich, als ich Billy fragte, was wohl das beste Ergebnis all der Kämpfe sein würde. „Es wäre am besten, wenn das derzeitige Regime zurücktreten und sich sofort ergeben würde. Aber sollte das nicht passieren, dann wäre ich auch mehr als glücklich darüber, wenn der gesamte Gaddafi-Clan zusammengetrieben, an eine Wand gestellt und erschossen werden würde. Ich wäre wirklich sehr glücklich darüber. Das ist genau das was sie verdienen.“

In diesem Moment tauchte eine Gruppe schreiender Männer auf und ich wurde aus dem Haus geworfen. Es war also die schlimmste Hausbesetzungsparty aller Zeiten.

*Die Namen würden geändert, um die Identitäten derjenigen zu schützen. Der Typ in dem Foto ist weder ‘Billy‘ noch ‘Azrah’, sondern ein sehr freundlicher Koch, der brutale Chilis zubereitet.

Mehr über die Lage in Libyen könnt ihr hier lesen und wer wissen will, wie Saifs Vater Muammar Gaddafi residiert, der kann sich hier informieren.