Die bewohnten Ruinen Sarajevos

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Die bewohnten Ruinen Sarajevos

Mittlerweile ist eine ganze Generation in Frieden aufgewachsen und volljährig geworden, die ihre Stadt nie ohne Kriegsnarben gesehen hat.​

Ich bin in Sarajevo geboren und habe selbst einige Wochen im belagerten Sarajevo verbracht. Ich war 11, meine Schwester 12, und wir haben unsere Zeit im Treppenhaus und im Keller verbracht, während die Granaten fielen. Ich bin oft in Sarajevo und wundere mich, warum die Kriegszeit so präsent und so identitätsstiftend ist – selbst für die junge Generation, die den Krieg ja gar nicht erlebt hat.

Irgendwann bin ich alleine hingefahren und habe mir die Stadt auf der Suche nach einer Antwort bewusst angeschaut. Damals ist mir aufgefallen, wie vernarbt sogar die reparierten Häuser aussehen. Und genauso wie ich immer eine Grunddosis Bauchweh habe, wenn ich in Sarajevo bin, weil ich die Einschläge hören kann, wenn ich die Einschusslöcher sehe, so können auch die nach dem Krieg Geborenen das Echo der Einschläge noch hören.

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Sarajevo war von April 1992 bis Februar 1996 – 1425 Tage – belagert. Die 329 Granaten, die täglich im Schnitt auf Sarajevo fielen, haben nicht nur zirka 10.000 Tote und 50.000 Verletzte gefordert, sondern auch das Stadtbild nachhaltig verändert. Auch mehr als 20 Jahre nach Ende der Belagerung sind die Spuren des Beschusses sichtbar. Viele der zerstörten und beschädigten Gebäude wurden aus Zeit- und Geldnot nur oberflächlich renoviert, sodass die Einschusslöcher und Granatenkrater nach wie vor gut sichtbar sind.

Somit hat sich das Belagerungstrauma nicht nur in die Seele und kollektive Erinnerung der Einwohner Sarajevos gebrannt. Es hat sich auch in die Architektur hineingeschrieben und bleibt bis heute im Erscheinungsbild und Lebensgefühl der Stadt präsent.

Es ist Teil des Selbstverständnisses geworden. Mittlerweile ist eine ganze Generation in Frieden aufgewachsen und volljährig geworden, die ihre Stadt nie ohne Kriegsnarben gesehen hat.

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