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The Hot Box Issue

Geldsegen wird zum Fluch für den sozialen Frieden in Finhaut

Das 412-Seelendorf Finhaut erhielt durch einen Konzessionsvertrag 112 Mio. Franken. Ein größenwahnsinniger Gemeindepräsident investiert das Geld in fragwürdige Projekte und droht damit, den sozialen Frieden dieser idyllischen Berggemeinde zu zerstören.

Staumauer Émosson

Hat man so wie ich Freude an der Ruhe, so fällt es einem nicht besonders schwer sich in Finhaut wohl zu fühlen. Wer am einzigen Perron des Bahnhofs aus dem Zug steigt, findet sich in einer märchenhaft verwunschenen Berggemeinde wieder, die anfangs des 19. Jahrhunderts mitten in den steilen Hängen des Trient Tals erbaut wurde.

Schaut man sich ein wenig um, bekommt man schnell den Eindruck, dass hier die Zeit irgendwann in den 30er Jahren stehen geblieben ist; es gibt zwei, drei kleine Restaurants mit einer überschaubaren lokalen Karte, eine Kirche mit einem Glockenspiel, eine Grundschule mit einem etwas vernachlässigten Fußballfeld und das bejahrte Hotel Bristol zeugt als Relikt des einst florierenden Tourismus mit etwas gekränktem Stolz von der guten alten Zeit.

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Zur stillen Erinnerung gesellt sich einzig das reißende Rauschen der Gletscherbäche, die in die atemberaubenden Tiefen der schroffen Trient-Schluchten stürzen. Alles in allem scheint die Welt in diesem verträumten Dörfchen noch in Ordnung zu sein. Doch der Schein trügt.

Finde den Fehler in der Idylle (Hinweis: Er ist nicht im Bild zu sehen)

Seitdem 2012 ein Konzessionsvertrag der Berggemeinde voraussichtliche 112 Mio. Franken in die Gemeindekasse spülte, streiten sich die Bewohner und die einzelnen politischen Parteien über deren Verwendung.

So weckte dieser vermeintliche Geldsegen vor allem beim Gemeindepräsidenten, Pascal May, falsche Begehrlichkeiten und droht dadurch nicht nur den sozialen Frieden der Berggemeinde zu zerstören, sondern auch deren politisches System an seine demokratischen Grenzen zu stoßen. Autoreifen wurden aufgeschlitzt, Leute grüßen sich nicht mehr auf der Straße und der Gemeindepräsident wurde nach einer Urversammlung auch schon mal in den Dorfbrunnen geworfen. Doch alles der Reihe nach.

Hoch über dem Dorf ragt die 180m hohe Staumauer Émosson aus dem Berg, deren Kraftwerk von der SBB betrieben wird und über 20% des nationalen Bahnstroms generiert. Um das Wasser der Gemeinde für das Kraftwerk nutzen zu dürfen, musste die SBB der Gemeinde Finhaut eine Konzession bezahlen. 2017 läuft diese 100-jährige Konzession aus, doch die SBB will ihr wichtigstes Kraftwerk weiterhin betreiben, baut sie den Stausee doch momentan zu einem Pumpspeicherkraftwerk aus, indem sie das Staubecken Émosson mit dem 300m höher gelegenen Staubecken Vieux-Émosson durch einen Fallschacht verbindet.

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Die 100.000 Franken Bahnhofswand

In Anbetracht dieses gleichsam langfristigen wie kostspieligen Projektes war es der SBB dann auch eine anständige Summe wert, sich die Konzession für die Wassernutzung während der nächsten 80 Jahre zu sichern. 343 Mio. Franken haben die betroffenen Gemeinden und der Kanton Wallis in Verhandlungen mit der SBB total ausgemacht—112 Mio. Franken gehen davon alleine an die gerade mal 412 Seelen starke Berggemeinde Finhaut.

27 Mio. Franken wurden ihr bereits ausbezahlt, weitere 29 Mio. Franken sollen bis 2017 folgen und die restlichen 58 Mio. Franken sollen der Gemeinde in 80 Raten à 700'000 Franken während der restlichen Laufzeit der Konzession überwiesen werden. Das sind umgerechnet genau 271'844.65 Franken pro Nase, wenn man die gesamte Summe auf einmal als Bürgerdividende ausbezahlen würde!

Abriss des alten Bazars für den Kuhhandel mit Constantin.

„Die Gemeinde Finhaut hätte durch den Geldsegen zu einem wohlhabenden Investor werden können, der seinen Bürgern ein angenehmes Leben hätte bieten können", erklärte mir Ethan Franzen*, Ökonom und Kenner der Region, in erwartungsvollem Unterton. „Doch wie sich herausstellte, sollte der Geldsegen zum Desaster für die Gemeinde werden, da die Regierungsmitglieder der Gemeinde schlicht unfähig sind, mit einer solch großen Geldmenge nachhaltig zu wirtschaften!", so Franzen weiter.

Normalerweise sind für das Regieren eines 412-Seelendörfchens auch keine fundierten Kenntnisse in Investitionsrechnung und Regionalplanung von Nöten. Doch gerade jetzt, wo die Gemeinde 112 Mio. Franken zukunftsorientiert verwalten sollte, wäre eine weitsichtige Persönlichkeit mit erprobter Erfahrung in Finanzplanung, zumindest als Berater des Präsidenten, äußerst hilfreich. Doch Pascal May, von sich selbst überzeugt, verzichtete auf die Hilfe von außen stehenden Experten.

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Stattdessen ließ er seinen Investitionsgelüsten freien Lauf und schmeisst das Geld mit fragwürdigen Projekten, die ihm von dubiosen Financiers unterbreitet werden, fröhlich aus dem Fenster. Dabei ist noch nicht einmal garantiert, dass Finhaut die gesamte Konzession erhalten wird. Denn Alt-Bundesrat Pascal Couchepins Vorstoß, Wasserkonzessionen fortan an nicht mehr den Gemeinden, sondern dem Kanton auszubezahlen, könnte bis 2017 durchkommen. Dann müsste sich die Gemeinde mit ihrer ersten Vorzahlung von 27 Mio. Franken abfinden müssen. Trotzdem tätigt Pascal May Investitionen, als stünde Finhaut die gesamte Konzession bereits definitiv zu.

Hotel Bristol. Relikt mit gekränktem Stolz: a vendre—zu verkaufen.

So konnte sein Vorschlag, 40 von den 112 Mio. Franken in den Bau eines großräumigen Thermalbads mit sieben Becken, inklusive Spa und deplatzierten Luxusangeboten, zu investieren, nur durch ein Referendum an der Urversammlung abgelehnt werden.

Und auch die elf Mio. Franken Beteiligung an einer defizitären Hotelkette in Chamonix, welche nach unabhängigen Schätzungen maximal drei Mio. Franken Wert sein sollte und die lokale Wirtschaft in Finhaut in keiner Weise stimuliert hätte, konnte nur knapp durch eine Abstimmung verhindert werden.

Doch dies sind nur die Investitionen die aufgrund ihres Volumens einer Prüfung durch die Urversammlung unterliegen. Kleinere Investitionen können und wurden vom Gemeindepräsidenten bereits im Alleingang getätigt. So ließ Pascal May vor zwei Jahren die Bahnhofswand für ganze 100'000 Franken von einem amerikanischen Künstler bemalen, welche schon heute etwas abgefärbt daher kommt, und in ein paar Jahren wahrscheinlich übermalt werden muss.

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Oder das wahnwitzige Projekt, mitten in den Bergen für eine halbe Million Franken ein Kletterwand-Häuschen aufzustellen, welches so schlecht entworfen wurde, dass kaum jemand bereit ist, den Preis für eine Jahresmitgliedschaft zu bezahlen.

Mehr Geldverpulverei auf Seite 2

Das 500.000 Franken teure Kletterhäuschen mitten in den Bergen.

Und auch der Umbau des Gemeindesaals für eine halbe Million Franken, scheint angesichts der Größe dieser kleinen Gemeinde etwas überdimensioniert. „Diese voreiligen Investitionen sind eigentlich gar keine Investitionen sondern Ausgaben, da deren Einkünfte nicht einmal ausreichen um die Kosten für den Unterhalt und die Amortisation zu decken", erklärte Ethan Franzen*.

„Wenn die Regierung weiterhin nicht in der Lage sein wird, Ausgaben von Investitionen zu unterscheiden, wird der Geldsegen in 20-30 Jahren aufgebraucht sein!", prognostizierte Franzen weiter. Dabei gäbe es in der Gemeinde durchaus Bedarf, das Geld in kleinere Ausbauten oder Restaurierungen der lokalen Infrastruktur zu investieren.

Im Zuge der Diskussion, wie das Geld investiert werden soll, hat ein parteiübergreifendes Aktionskomitee namens Avenir Finhaut dem Präsidenten eine Liste von über 50 kleineren Projektvorschlägen unterbreitet. Marcel Chays*, Mitglied des Aktionskomitees stellte jedoch fest: „Bis jetzt ist der Gemeindepräsident auf kein einziges der vorgeschlagenen Projekte eingegangen, wir fühlen uns vor den Kopf gestoßen."

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Die Bauarbeiten am neuen Pumpspeicherkraftwerk sind in vollem Gange.

Dafür hat der Gemeindepräsident bereits ein neues eigenes Projekt am laufen. Diesmal profitiert der wohl bekannteste seiner Freunde, Eigentümer des FC Sion Christian Constantin, von einem Walliser Kuhhandel. In einem sogenannten lease back Vertrag hat die Gemeinde das Haus des alten Bazars für 650'000 Franken gekauft, nur um es in der Folge abzureißen, Constantin zu verkaufen, von ihm umbauen zu lassen und es schlussendlich dann während 60 Jahren von ihm zurück zu mieten.

Die genauen Motive des Gemeindepräsidenten sind unklar, eine objektive Betrachtung sowie das Fehlen jedweder Transparenz dieses Projektes legt allerdings einen Verdacht auf Vetternwirtschaft nahe. „Durch das Rückleasen entgehen der Gemeinde während der nächsten 60 Jahren Einnahmen von knapp acht Mio. Franken, oder 130'000 Franken pro Jahr ", schätzt Ethan Franzen.

Ein Tunnel im Berg führt hinter den Staudamm zu einem Boot und einem leeren Wohnwagen

Doch nur der lokalen Regierung die Schuld am ganzen Schlamassel zu geben wäre nicht ganz richtig. Es handelt sich hier auch um ein defizitäres föderalistisches System, in dem die SBB der Gemeinde und nicht dem Kanton, welcher über bessere Kompetenzen verfügen würde, die Konzession zahlen muss.

Zudem hat die traditionell familiäre Parteizugehörigkeit in Finhaut dazu geführt, dass viele Bürger den Gemeindepräsidenten eher aufgrund seiner Partei und weniger aufgrund seiner Positionen gewählt hatten. Und nicht zuletzt dürften auch die bitteren Erinnerungen an die goldenen Zeiten des florierenden Tourismus dazu beigetragen haben, dass Finhauts Regierung nicht immer nur emotionsfreie Entscheidungen traf.

So illustriert das Beispiel Finhaut recht eindrücklich, dass Geld nicht nur Probleme lösen, sondern diese auch erst schaffen kann, und dass das politische System in dieser kleinen Berggemeinde aufgrund föderalistischer Strukturen und familiärer Parteizugehörigkeit langsam an seine demokratischen Grenzen stößt.

*Namen von der Redaktion geändert.