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Rassismus gegen Deutsche

Warum ich kein Problem damit habe, "Alman" oder "Kartoffel" genannt zu werden

Ja, ich sehe mich als "Kartoffel", und nein, deshalb bin ich sicher kein Opfer von Rassismus.
Foto: imago | Roland Mühlanger

Als ich neulich mit einem AfD-Abgeordneten im Bundestag saß, fragte ich ihn, ob er nicht glaube, dass die Rhetorik seiner Partei Ausländerfeindlichkeit und Rassismus befeuere. Der Abgeordnete wich der Frage aus – und berichtete stattdessen von "Rassismus gegen Deutsche": von Zuschriften und Kommentaren in sozialen Medien, in denen User ihn als "dumme Kartoffel" beschimpften.

Wenige Wochen später ist die Debatte ein beliebtes Thema bei Journalisten geworden. Die Welt diskutiert mit Usern über Wörter wie "Alman", also der türkischen Übersetzung für Deutsche. Und der konservative Publizist Marc Felix Serrao beschreibt in einem Meinungsstück bei der Neuen Zürcher Zeitung, wie Begriffe wie "Alman" oder "Kartoffel" bewusst genutzt würden, um Deutsche herabzuwürdigen. Nur weil es "gegen die Mehrheit gehe", fühlten sich jene, die die Begriffe verwenden, im Recht. Er kommt zu dem Schluss: "Für viele linke Journalisten und leider auch für viele jüngere Migranten gehört der Spott über das autochthone Deutschland inzwischen zum guten Ton."

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Ich beobachte die Diskussion ein wenig überrascht. Erstens, weil ich nicht das geringste Problem damit habe, "Kartoffel" genannt zu werden. Zweitens, weil ich glaube, dass Leute Äpfel mit Birnen vergleichen, wenn sie strukturellen Rassismus gegenüber Ausländern mit einer scherzhaften Fremdzuschreibung für Deutsche gleichsetzen.

Eine "Kartoffel" zu sein, bedeutet Privilegien zu haben

Ich bin in Deutschland geboren, bin in Deutschland zur Schule gegangen, habe in Deutschland studiert. Weil meine Eltern beide Polen sind – und es in Deutschland kein sogenanntes "Geburtsrecht" gibt –, dauerte es aber 22 Jahre, bis ich eingebürgert wurde. Heute fühle ich mich als Pole, aber natürlich auch als Deutscher. Und nicht nur das: Ich bin zudem heterosexuell, weiß und männlich – also das Paradebeispiel eines privilegierten Menschen, der nie Teil einer (sichtbaren) Minderheit war.


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Wegen meines Namen verwehrte man mir nie eine Wohnung, wegen meiner Haarfarbe kontrollierte die Polizei mich nie ganz zufällig auf Cannabis, und wegen meiner Hautfarbe wiesen mich Türsteher nie vor einem Club ab. Eine "Kartoffel" zu sein, bedeutet in Deutschland in den meisten Fällen Privilegien zu haben, die anderen verwehrt bleiben. Wenn man nicht gerade im Afroshop rasiert werden oder das Freitagsgebet einer Moschee aufsuchen möchte, erntet man als "Kartoffel" in Deutschland auch keine schiefen Blicke.

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Mehr Selbstironie, weniger Krampf

Als mein türkischer Kumpel mir zuletzt auf dem Basketballplatz mit einem Augenzwinkern "Kartoffel" zurief, verlangte mir das ein müdes Schmunzeln ab. Ich überlegte, wie ich kontern könne. "Gestern zu viel Köfte gegessen?", fragte ich ihn schließlich, als er bei einem Spiel eine schlechte Figur abgab. Wir lachten. Man muss sich selbst sehr ernst nehmen, wenn man sich jegliche Witze über seine Herkunft verbittet. Das gilt für Polen und Türken ebenso wie für Bayern und Sachsen.

Man mag erwidern, dass die Trennlinie zwischen Scherzen und Rassismus dünn ist. Wörter wie "Kartoffel" oder "Alman" sind aber etwas anderes als "Schlitzauge", weil sich sich nicht vom Aussehen einer Gruppe ableiten. Sie sind nicht herabwürdigend wie etwa "Messerstecher" oder "Ziegenficker". Und erst Recht stehen sie nicht in einer Reihe mit dem N-Wort gegenüber Schwarzen Menschen oder Begriffen wie "Rothaut" gegenüber native americans, weil sie keine historische Dimension der Unterdrückung erfassen.

"Alman" oder "Kartoffel" dagegen sind Sammelbegriffe für Klischees, die ehrlich gesagt ziemlich witzig sind. Nicht Reisepässe oder schwarz-rot-goldene Flaggen sind der Grund für solche Beschreibungen, sehr wohl aber Tennissocken in Sandalen während des Ibiza-Urlaubs, unrhythmisches Klatschen im bayerischen Bierzelt, Gartenzwergkolonien oder Lärmbelästigungsklagen.

Darüber lachen zu können, hat etwas mit Selbstironie zu tun. Unser Vorfahren wurden nicht in Holzschiffen nach Louisiana gekarrt, sondern verlegten Zugstrecken nach Auschwitz. Dem durchschnittlichen weißen "Biodeutschen" geht es besser als 99 Prozent der restlichen Erdbevölkerung. Dafür muss man sich nicht schämen. Aber angesichts unserer eigenen, nicht gerade ruhmreichen Geschichte und unseres verhältnismäßig sorgenfreien Lebens könnte man schmunzelnd über eine flapsige Zuspitzung hinwegsehen.

Das würde übrigens auch der Kartoffel gerecht werden. Sie stammt aus den Anden in Südamerika und kam Ende des 16. Jahrhunderts durch spanische Seefahrer nach Mitteleuropa: Die Kartoffel ist selbst ein Produkt kultureller Vermischung.

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