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Interview

Wir haben uns vom "Deutschrap-Psychiater" in den Wahnsinn treiben lassen

Zu seinen "Patienten" gehören u.a. DCVDNS, Money Boy, K.I.Z, Karate Andi, Genetikk, Edgar Wasser, Sierra Kidd, Hustensaft Jüngling, Shindy, Yung Hurn, Cr7z und Hitler. – Lucien Dunkelberg im Interview.

Foto: Screenshot von YouTube aus dem Video "Farid Bang • Psychologische Analyse: Beziehung zu seinem Penis, Reframing, Selbstwert" von Lucien Dunkelberg

Die Deutschrapszene ist ein Sammelsurium von Künstlern, Gewalttätern, Selbstdarstellern, Genies, Holzköpfen, Egomanen und Psychopathen. Eigentlich verwunderlich also, dass es bis zum Jahr 2017 gebraucht hat, bis sich jemand professionell der Sache annimmt und ein Format entwickelt, in dem er die Protagonisten genauer unter die Lupe nimmt. Gott sei Dank hat sich jetzt endlich jemand erbarmt, diesen Job zu übernehmen. Sein Name: Lucien Dunkelberg. Sein (wirklicher) Beruf: Geheim. Seine Berufung: Interview-Analysen.

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Dank Videobeschreibungen wie "Bushido Psychologische Analyse: Kampfrhetorik, Manipulation, Kontrolle" oder "257ers: Verantwortung, fundamentaler Attributionsfehler, Lernen" sammeln die Videos derzeit fleißig Klicks. Ältere Videos wie "Gibt es den Sinn des Lebens überhaupt?" oder "PLÖTZLICH TRAURIG! Was Bodyscanning in mir auslöst" waren da weniger erfolgreich. Rap und YouTube, das funktioniert eben, könnt ihr Kollegah fragen.

Mit Sätzen wie "Farid Bang spielt häufig auf seinen Penis an. […] Mich würde sehr interessieren, was er denn wirklich über Sexualität denkt und was er für eine Beziehung zu seinem Penis hat" oder einem zweistündigen Special zu Flers epischem Interview mit Niko Backspin zur Feier seiner 5.000 Abonnements, hat der YouTuber mit dem traditionell langsamen, schweizerischen Duktus sich in kürzester Zeit eine Fangemeinde geschaffen, die immer weitere Rapper in die Manege wirft, die doch bitte gründlichst auseinandergenommen werden sollen. Unter dem Hashtag #FragLucien kann man ihm seine Vorschläge unterbreiten. Zu seinen illustren "Patienten" gehören bisher neben den bereits erwähnten so fidele Couchbewohner wie DCVDNS, Money Boy, K.I.Z, Karate Andi, Genetikk, Edgar Wasser, Sierra Kidd, Hustensaft Jüngling, Shindy, Yung Hurn, Cr7z und Hitler.

Doch damit nicht genug, denn wer sich einen Namen machen will in den Medien, der braucht eine Catchphrase. Das weiß auch der "Deutschrap-Psychiater" aus der Schweiz, und deshalb beginnt jedes seiner Videos mit einem charmanten: "Lucien Dunkelberg hier am Start – man glaubt es kaum." True.

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Ich habe dem Mann mit dem ganz besonderen Draht zu Deutschlands Rap-Elite geschrieben und um ein Interview gebeten. Der ursprüngliche Plan, unser Skype-Gespräch von einem Psychologen analysieren zu lassen schlug leider fehl, denn Lucien kam uns durch irgendwelche Psychologie-Tricks auf die Schliche und erklärte sich lediglich zu einem schriftlichen Interview bereit. Schade, wäre ein schöner Inception-Move geworden.


VICE-VIDEO: "Rule Britannia: Der furchteinflößendste Schuldeneintreiber Großbritanniens"


Noisey: Fangen wir doch gleich mal mit der spannendsten aller Fragen an. Welcher Rapper hat deiner Meinung nach die größten Probleme?
Lucien Dunkelberg: Donald Trump, ein echter G. Er muss im Weißen Haus ausharren, auf riesigen Flatscreens Fox News schauen und seine Follower auf Twitter unterhalten. Bei diesem Grind und Lifestyle hätte ich auch keine Lust mehr auf die Medien.

Wie kamst du eigentlich dazu, auf YouTube die Interviews von Rappern zu analysieren? Macht sowas Spaß?
Seit ungefähr 2010 schaue ich Youtube als Konsument, da ich mir damals keinen Fernseher mehr leisten konnte. Ich bin nach kurzer Zeit süchtig nach Let's Plays geworden, die ich mir auch heute noch anschaue, während ich frühstücke. Ich war jedoch eher ein stiller Zuschauer und habe nur einmal einen Kommentar unter ein Video von Bibi geschrieben, hoffentlich findet den niemand mehr. [Anm. des Autors: Habe den Kommentar leider nicht gefunden.] Durch meine persönliche Entwicklung hat sich bei mir der Wunsch gebildet, selber Videos zu machen und ich habe mit ersten Videos zur Meditation und zur Selbstfindung angefangen. Psychologisch sehr interessante Themen, die aber nur wenige interessierten. Da ich schon seit meiner Jugendzeit Rap höre und mich die Dynamiken in der Deutschrapszene faszinieren, kam ich auf die Idee, das Geschehen innerhalb der Interviews zu analysieren. Dann habe ich das erste Video zu DCVDNS hochgeladen, das für meine Verhältnisse eingeschlagen hat wie eine Bombe. Von da an ging's los und nun bin ich hier.

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Verstehe. Hörst du denn privat auch Rap?
Ja, zur Zeit sehr gerne Haiyti, ich hoffe, es kommt mal ein Interview mit ihr. Sonst gerne Why SL, Yung Hurn, einzelne Tracks von Bushido und natürlich Action Bronson. Der kommt ja auch aus Berlin und war beim Royal Bunker. Nebenbei höre ich noch eher unbekannte Rap-Artists wie Vivaldi, Dr. Dre oder Claude Debussy, zum Runterkommen und während den Vorlesungen.

Wer ist denn eigentlich dein Lieblingsrapper? Also nicht musikalisch sondern als Interviewpartner?
Als Interviewpartner fände ich die gesamte GUDG [Glo Up Dinero Gang] sehr interessant; die Strukturen dahinter, wie ihre Entscheidungen gefällt werden, wie die Zusammenarbeit / Organisation abläuft, die Hierarchien, das Zwischenmenschliche. Eine 24h-Homestory in Wien wäre super, ich würde mir dann noch ein paar Moderationstipps abschauen bei Frauke Ludowig.

Nutzt die Erkenntnisse aus den Analysen selber? Zum Beispiel jetzt gerade?
Ich habe gemerkt, dass ich seit den Analysen Zusammenhänge schneller erkennen kann und dass mein Gehirn allgemein schneller arbeitet. Wenn ich neuen Stoff lerne, gehe ich nun mit einer anderen Einstellung dran, nämlich dass ich das Gelernte für meine Analysen verwenden kann und mir schon vorstelle, bei welchem Rapper ich die neuen Dinge entdecken könnte. Ich bin allgemein etwas sensibler für fundamentale Attributionsfehler geworden, die ich ab und zu auch bei mir finde, und habe gemerkt, dass es ein Totschlagargument in einer Diskussion sein kann, wenn man dem Gegenüber vorwirft, einen solchen Fehler zu begehen.

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In deinen Videos fällt auf, dass du das sogenannte „re-framen" immer wieder ansprichst. Bei dieser Technik nutzt man den Kommentar seines Gegenübers und ändert den Kontext zu seinem Vorteil. Werde ich gerade ge-reframed?
Stell' mir eine provokante Frage, am besten eine geschlossene, und wir werden sehen.

Warum möchte jemand, der im Internet Interviews analysiert, keine Interviews geben?
Sehr gute Frage, die sich wunderbar selber beantwortet, wenn man dieses Interview aufmerksam durchliest. Von dem her: Du wirst nicht ge-reframed.

Ah ok, ein klassisches Missverständnis. Ich meinte natürlich, warum du mir kein "klassisches" Interview geben möchtest? Von Angesicht zu Angesicht. Und sei es auch nur über Skype.
Da dies eines der ersten Interviews ist, das ich gebe, bin ich natürlich etwas schüchtern und möchte mir Zeit lassen um mir richtig gute Antworten auszudenken. Bei Skype ist das leider nicht möglich, zudem wäre die Bildaufnahme von der Qualität her nicht zufriedenstellend für mich. Zudem finde ich das Medium des Textes sehr angenehm und es hätte meiner Meinung nach viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Liest heutzutage überhaupt noch jemand dieses Interview? Ich persönlich habe vor einer Woche zum ersten Mal von VICE gehört. Gab's nicht mal eine Nord Korea-Reportage von euch auf YouTube, ungefähr vor acht Jahren? Die habe ich mir allerdings angeschaut, sehr interessant.

Bestimmt gab's diese Doku. Ich bilde mir ein, inzwischen etwas von dir gelernt zu haben: Jetzt wurde ich definitiv ge-reframed. Du hast mich und meinen Arbeitgeber zuerst gelobt, um zu kaschieren, dass du die Frage eigentlich nicht beantwortest und behauptest, niemand liest VICE. Gefällt mir.
Vielleicht habe ich dich zuerst gelobt, um damit auf die Beziehungsebenen anzuspielen, die nach deiner Frage zuerst wieder geklärt hätte werden müssen. Vielleicht ist es auch nur eine Floskel, die ich im Studium aufgeschnappt habe. Deine Frage ist daher schon geklärt, da ich dir jetzt gerade ein Interview gebe und daher nicht nicht möchte, ein Interview zu geben. Vielleicht ist das Lob auch eine Unterwerfung meiner selbst ob deiner kritischen Frage, die mich potentiell getroffen haben könnte, vielleicht spiele ich dir damit auch eine heile Welt vor, um dich später aufs Glatteis zu führen.

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Ja, das kenn ich nur zu gut. Gehört es eigentlich zum Standardrepertoire eines Psychiaters, seinen "Patienten" zur Weißglut zu treiben?
Da ich kein Psychiater bin, kann ich diese Frage leider nicht beantworten. Es gibt aber Interventionstechniken, die auf den ersten Blick fragwürdig erscheinen. Eine davon ist die paradoxe Intervention, bei der man sich als Patient beispielsweise der Höhenangst in einem übertriebenen Maß aussetzt. Da es oft vorkommt, dass bei einer Angststörung die Angst vor der Angst sehr hoch ist, gerät man in einen Teufelskreis, wodurch sich die eigentliche Angst vor der Höhe nicht mehr lösen lässt, weil man sich dieser nicht mehr stellt.

Der Patient denkt, es gehe bei dieser Übung um die Höhenangst, tatsächlich geht es aber um die Angst vor der Höhenangst, die eben verhindert, dass man zum eigentliche Problem vorstoßen kann.

Ich denke das ist ein deutliches "Ja". Vielen Dank für das Gespräch.

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