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Flüchtlinge in Deutschland

Nach dem unlösbaren Flughafenproblem in Berlin nun das unlösbare Flüchtlingsproblem

In Berlin wird weiter über die Lage der Flüchtlinge debattiert, wobei der Bürgermeister ausweicht, herumeiert und die Verantwortung auf die Bundespolitik und Europapolitik schiebt. 

Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit hatte gute Laune, als er am frühen Dienstagnachmittag pünktlich um 13 Uhr seine Pressekonferenz nach der ersten Senatssitzung im neuen Jahr abhielt. Eine halbe Stunde lang referierte er über die Erfolge der Metropole und natürlich auch seiner Regierung. Eine gelungene Silvesterparty habe man unter den Augen der Weltöffentlichkeit am Brandenburger Tor gefeiert und wieder einmal habe Berlin unter Beweis gestellt, wie weltoffen und gastfreundlich die Stadt ist. Überhaupt, diese Internationalität sei das große Kapital der Stadt, die damit immer mehr Menschen aus dem In- und Ausland anziehe. Kreative Wachstumsbranchen kämen dadurch in die Stadt, was in manchen Quartieren zwar zu schwierigen Verdrängungsprozessen führe, aber Berlin müsse sich dieser Herausforderung stellen und eine Willkommenskultur ausbilden, in der sich auch Zuwanderer aus Rumänien, den USA oder Japan wohlfühlen könnten. Warme Worte. Berlin sei gut aufgestellt und auch wenn es hier und da noch Baustellen zu bearbeiten gelte, so freuen sich er und der gesamte Senat doch auf ein spannendes 2014.

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Der Bürgermeister strahlte. Die Presse nahm es zur Kenntnis, aber eigentlich war keiner der Anwesenden hier, um zu hören, wie toll sich Berlin so macht. Nicht einmal der Dauerwitz Flughafen Schönefeld interessierte die Journalisten. Sie interessierten sich nur für ein Thema, das dann auch sofort aufs Tablett gebracht wurde, als die offizielle Fragerunde eröffnet wurde: „Herr Wowereit, haben Sie heute in der Senatssitzung auch über den Oranienplatz gesprochen.“ Als der Bürgermeister dies verneinte, stöhnten einige Pressevertreter auf. Sie hatten gehofft, dass nun endlich nach langem, zähen Ringen eine Entscheidung getroffen worden wäre, eine Entscheidung, die Klarheit schaffen würde, wie es mit dem Protestcamp auf dem Kreuzberger Oranienplatz denn nun weitergehen würde.

Die Berliner Landesregierung hatte das Thema noch nicht einmal auf die Tagesordnung geschrieben und das, obwohl Innensenator Henkel (CDU), nachdem der Bezirk Kreuzberg einer Räumungsaufforderung Mitte Dezember nicht nachgekommen war, vollmundig angekündigt hatte, dass er am 7. Januar eine Klärung in dieser Sitzung herbeiführen würde. Unter gewissen Umständen hat nämlich der Berliner Senat das Recht, den einzelnen Bezirken gewisse Kompetenzen zu entziehen und selbst zu übernehmen, wenn die Bezirke nicht mehr in der Lage sind, bestimmte Probleme selbst zu lösen.

Was sich kompliziert anhört, bedeutet im konkreten Fall, dass der Innensenator von Berlin behauptet, der von den Grünen regierte Bezirk Kreuzberg habe die Lage rund um den Oranienplatz nicht mehr im Griff. Deswegen fällt eine Räumung nun in die Zuständigkeit des Innensenators, der das Camp auch notfalls mit Gewalt räumen wolle.

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Im Verlaufe der nächsten halben Stunde gelang es Wowereit, durch einen wahren Eiertanz der Worte zwischen all den ausgelegten Fallstricken der Journalistenfragen hindurch zu lavieren und immer etwas zu antworten, ohne sich festlegen zu müssen.

Nein, er werde keine konkreten Fristen aussprechen, um die Stimmung nicht weiter anzuheizen. Ja, er verstehe auch die Meinung derer, die sich über die unhaltbaren Zustände am Oranienplatz beschweren würden. Er verstehe auch die politischen Anliegen und Forderungen der Geflüchteten—diese beträfen aber eher die Bundespolitik, wenn nicht sogar die Europapolitik. Es könne eben nicht jeder machen, was er wolle und dauerhaft auf einer öffentlichen Grünfläche campieren.

Er sieht im Camp lediglich eine Notunterkunft, in der Menschen leben, die kein Dach über dem Kopf haben. Für diese müsse man eine Lösung finden, wobei man sich vorstellen kann, dass er hierbei an eine Unterbringung in Heimen denkt, was genau einer der Forderungen der Flüchtlinge zuwider laufen würde, die genau diese Unterbringung in Lagern abschaffen wollen.

Den zahlreichen Fragen, warum er sich als Bürgermeister in dieser Angelegenheit erst so spät zu Wort melden würde und warum der Senat sich erst jetzt einschalten würde, wich Wowereit mit dem Verweis, dass man dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg schon im letzten Jahr mit Amtshilfe zur Seite gestanden habe, aus. Auf die Frage, ob die Lösung des Problems definitiv darin besteht, dass das Protestcamp vom Oranienplatz verschwindet, konnte sich das Stadtoberhaupt ebenfalls kein eindeutiges „Ja“ abringen.

Seine wiederholten Verweise darauf, dass die „unhaltbaren Zustände“ auf dem Platz aufgelöst werden müssten, muss man allerdings genau so interpretieren. Das Camp wird verschwinden. Wenn es nach Wowereit geht, gerne auch ohne die hässlichen Bilder von Polizisten, die auf schwarze Flüchtlinge einschlagen. Mehrfach betonte er, dass er an einer friedlichen Lösung interessiert sei. Doch die Zeit wird knapp. Bereits am 20.01. muss der Bezirk auf die Klage eines Anwohners reagieren, der vor Gericht gezogen ist, um eine Räumung des Camps zu erreichen. Die Richter gaben dem Mann bereits teilweise recht und verlangten vom Bezirk eine Stellungnahme bezüglich der nachbarschaftlichen Beeinträchtigungen. Wasser auf die Mühlen der Campgegner und so werde laut Wowereit als letzte aller Möglichkeiten eine großangelegte Polizeiaktion nicht ausgeschlossen.

Im Camp am Oranienplatz selbst gab man sich zur selben Zeit entspannt. Henkel sei einfach zu schwach, lachte einer der Flüchtlinge, wobei andere so wirkten, als hätten sie noch nie auch nur die leiseste Drohung für eine Räumung vernommen. Lediglich die Anwesenheit jeder Menge TV- und Radioteams, die Stimmungsbilder einfangen wollten, sorgte für Aufregung, genauso wie die Äußerung des Bürgermeisters, der hinter der sturen Protesthaltung der Geflüchteten linke Interessengruppen vermutete, die diese instrumentalisieren würden. Dass die Flüchtlinge ihr politisches Schicksal tatsächlich selbst in die Hand nehmen und mit ihrem Camp eine Form des Protests gewählt haben, der dieser Gesellschaft tatsächlich und mit Nachdruck und zu Recht auf die Nerven geht, kann sich der weltoffene und international ausgerichtete Herr Wowereit offensichtlich nicht vorstellen.