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In Berlin wird zwangsgeräumt, damit die Kohle stimmt

„Polizei geh’ nach Hause, die Gülbols bleiben in der Lause“, schallt es durch die Lausitzer Straße in Berlin am frühen Donnerstagmorgen.

Fotos: Nikita Kakowsi

„Polizei geh’ nach Hause, die Gülbols bleiben in der Lause“, schallt es durch die Lausitzer Straße am frühen Donnerstagmorgen. Es ist erst halb sieben in Berlin-Kreuzberg. Bei dem Blitzlichtgewitter der Presse und den Scheinwerfern der Mannschaftswagen merkt man kaum, dass es noch dunkel ist, die Kälte jedoch deutlich. Mehreren hundert Protestlern ist das egal; Sie brennen für ihre Sache; Sie sind hier, um Familie Gülbol vor der Zwangsräumung zu retten. Auch die Polizei ist früh aufgestanden. Zu früh. Sodass die meisten Räumungsgegner hinter dem Sicherungszaun die Sitzblockade vor dem Hauseingang nur im Sprachchor erreichen. Ein Trommeltrio spielt sich warm. Sie werden noch zwei weitere Stunden musikalischen Beistand leisten, bis zu dem Punkt an dem aus einem Megaphon die ernüchternde Botschaft dröhnt.

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Ali hat mit seiner Frau und den drei Kindern angefangen seine Wohnung leerzuräumen

„Die Kinder sind gerade zur Schule," entschuldigt sich Ali Gülbol als er am Dienstag den Frühstückstisch abräumt. Unordnung ist dem 41-jährigen Malermeister unangenehm. Wir sitzen in der Küche seiner Eltern, die bereits für uns drei ein wenig beengend ist. Auch die übrigen Zimmer der Kreuzberger Altbauwohnung sind großzügig zugestellt, mit Möbeln die eigentlich in ein anderes Zuhause gehören. Vor wenigen Monaten hat Ali mit seiner Frau und den drei Kindern angefangen, seine Wohnung eine Etage tiefer leerzuräumen; ein Umzug ist es für die fünfköpfige Familie jedoch nicht, eher ein vorläufiger Rückzug.

8.05 Uhr: In der Lausitzer Straße wird es unruhig als die Polizei versucht, die Demonstranten hinter der Absperrung zu halten. Kamerateams hetzen von einer Seite zur anderen. Sarah Walther, Sprecherin des Bündnisses „Zwangsräumung verhindern," ist mittendrin und auch dabei. Trotz dem verfrühten Einrücken der Polizei ist sie zuversichtlich, dass die Gülbols in ihrer Hinterhauswohnung bleiben können.

„Seitdem wir den neuen Eigentümer haben, müssen wir um unsere Wohnung bangen“

Ali wohnt seit mehr als dreißig Jahren in dem Mietshaus. Als er eine Familie gründet zieht er innerhalb des Hauses um. Hier im Kiez ist er aufgewachsen. Hier ist er verwurzelt und will seinen Kindern das Gleiche ermöglichen. Bevor die junge Familie Gülbol einzieht saniert Ali monatelang mit Hilfe seines Vaters die Wohnung, steckt nicht nur Zeit und Mühe sondern auch 20 000 Euro in die Renovierung. Dementsprechend leidenschaftlich erklärt er uns später jede Ecke und Kante der nun leerstehenden Wohnung. Da hat er die Wand eingerissen und hier hat er eine neue Elektrik verlegt. Im Gegenzug trifft er mit dem alten Vermieter die Vereinbarung, dass dieser ihm irgendwann die Wohnung verkauft und bis dahin keine Mieterhöhung erfolgt. Und dementsprechend muss er auch schlucken, wenn man ihn auf die bevorstehende Zwangsräumung anspricht.

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„Ganz beschissenes Gefühl. Es ist schon ganz schlimm, dass man den Wohnraum, den Lebensmittelpunkt langsam ausräumt. Ist schon ganz schlimm."

„Ich bin optimistisch," sagt Ali.

Ali Gülbol ist zwar wütend, aber auf eine kontrolliert entschlossene Art. Er sucht den Augenkontakt, ist selbstbewusst—womöglich auch, weil er mit seinem Anliegen viele Unterstützer gefunden hat. „Also ich bin zuversichtlich, weil ich nicht allein bin und viele Menschen habe, die hinter mir stehen. Und solidarisch mit mir sind."

8.12 Uhr: Der Polizeisprecher erklärt auf Nachfrage, dass die Gerichtsvollzieherin sich um neun angekündigt hat. Von den Gerüchten, dass ein Einsatzkommando sich durch einen Hinterhof der Querstraße den Weg in die Wohnung bahnt, will er nichts wissen. Als es anfängt zu schneien, schenken ein paar Protestler warmen Tee aus. Alis Nachbarn im Vorderhaus lassen regelmäßig Tüten mit Proviant aus ihren Fenster in die Sitzblockade herunter.

Der neue Eigentümer erhöhte sofort die Mieten—ohne Rücksicht

Nachdem das Mietshaus 2006 zwangsversteigert wurde und André Franell sich als neuer Eigentümer rühmte, ließ der neue EIgentümer keine rendite-kostbare Zeit verstreichen und erhöhte die Mieten. Die der Gülbols eingeschlossen. „Blind und naiv," wie er sich rückblickend selbst bezeichnet, zog Ali guten Mutes gegen die Mieterhöhung vor das Amtsgericht. Die Richterin entschied gegen ihn. „Da wurde mir schon bange, aber ich hab mir gedacht‚ OK das war jetzt nur das Amtsgericht. Beim Landgericht kann man das ja noch korrigieren." Aber auch da galt: Schuldspruch statt Zuspruch. Die Familie wurde angewiesen, den bis dahin angehäuften Mietrückstand von 3500 Euro zu begleichen. Gülbols verloren die zweimonatige Zahlungsschonfrist aus den Augen und bekamen statt einer Mahnung die ordnungsgemäße, fristlose Kündigung. Die Überweisung wurde nachgeholt. Seit August 2012 liegt ein Räumungstitel für die Wohnung vor.

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8.47 Uhr: Die Stimmung vor der Lausitzer Straße 8 wird langsam, aber sicher angespannter. In wenigen Minuten wird die Gerichtsvollzieherin erwartet. Die Geräusche des kreisenden Helikopters werden lauter, das Schweigen der Masse erdrückender. Walther bleibt zuversichtlich: „Nicht die Familie hat das Recht verlassen, sondern das Recht die Familie. Die Räumung ist eine unverhältnismäßige Gewalt."

Im Oktober letzten Jahres konnten Gülbols Sympathisanten die Räumung mit einer Blockade verhindern

Für Ali war es „wie ein Etappensieg, ein Initialzünder." Zur Zeit des Interviews steht die zweite Etappe noch bevor.

Was passiert wenn er verliert? „Den Kampf hätte ich dann nicht verloren. Ich hätte meine Wohnung verloren. Der Kampf geht dann wirklich gegen diese Perspektivlosigkeit der Menschen, die bundesweit davon betroffen sind," macht Ali klar. „Das ist keine Naturgewalt die uns hier trifft. Das sind Menschen, die dahinter stehen und mit unserem Wohnraum Geld verdienen und dagegen kann man sehr wohl etwas tun."

9.17 Uhr: Während in der Lausitzer Straße verkündet wird, dass die Gerichtsvollzieherin durch die Hinterhöfe geschleust werden soll, aber es da kein Durchkommen für sie gebe, sind die Gülbols genau durch diese nach draußen eskortiert worden.

„Ich habe mich wie ein Schwerverbrecher gefühlt“

Ali gibt bereits seine ersten Interviews. „Ich habe mich wie ein Schwerverbrecher gefühlt." Er war in der Wohnung seiner Eltern als er durch den Flur die Etagen tiefer das Poltern und Pochen hörte und sich der Situation stellte. Er gab die nötigen Autogramme und letztlich seine Schlüssel ab. Seiner Aussage nach verlief es bürokratisch und gewaltfrei. Insofern eine Zwangsräumung je gewaltfrei ist.

„Wir sind schon erfolgreich damit, dass es jetzt öffentlich ist, und dass die Spekulanten das nicht mehr still und heimlich machen können. Wir setzen Sie und ihre Helfer unter Druck."

Apropros Druckmachen: Vorgesehen war für Donnerstagmorgen eine friedliche Sitzblockade mit—nach optimistischer Schätzung—500 Teilnehmern. Es wurden knapp Tausend. Die Polizei plante einen Großeinsatz. Es wurde einer. Ali wollte mit seiner Familie in der Wohnung sein. Hatte er Angst? „Nein!“

Auch nicht, dass es vielleicht eskalieren könnte?

„Ja, also ich hoffe nicht, dass es eskaliert. Also von unserer Seite wird es zu keiner Eskalation kommen, also von den Leuten die blockieren werden. Aber ich habe schon so ein bisschen Angst, dass es dann doch passiert…Obwohl, es dürfte eigentlich nicht passieren…“