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Was man als Wirt eines deutschen Bierlokals in Athen über die Krise lernen kann

Kann man sich als Deutscher in Griechenland überhaupt noch blicken lassen? Der Wirt der Athener „Beer and Wurst Bar München" muss es wissen.

Das „München" in Athen. Foto via Facebook

Auch wenn das neue Rettungspaket für Griechenland bald endgültig beschlossen werden sollte und die Endzeitstimmung im Land damit erstmal abgewendet ist—richtig glücklich ist niemand. Auch weil der Ton in den letzten Wochen so hart wurde, dass der Kompromiss auf allen Seiten einen ziemlich schlechten Nachgeschmack hinterlässt. Vor allem was die Rolle Deutschlands angeht.

Spätestens seit dem weltweiten Trend des Hashtags #thisisacoup müsste auch dem glühendsten Patrioten klar sein, dass nicht alle Menschen auf der Welt den besten Eindruck von Deutschlands Benehmen in der Krise haben. Im Gegenteil, offenbar finden gar nicht Wenige, Deutschland habe sich benommen wie der größte Junge auf dem Pausenhof, der viel kleinere Jungs in den Schwitzkasten nimmt und sie zwingt, immer wieder „Ich fresse gerne Scheiße" zu rufen. Ob das nun gerechtfertigt ist oder nicht—das Ansehen Deutschlands hat gelitten.

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Aber wie sieht das in Griechenland selber aus? Und vor allem: Selbst wenn viele Griechen sauer auf die deutsche Regierung sind—geben sie auch Deutschen im Allgemeinen die Schuld an dem Fiasko? Wie sieht es aus, wenn man seine deutsche Identität dann auch noch stolz verkündet—zum Beispiel, in dem man in Athen ein bayerisches Bierlokal namens München betreibt?

Ich bin auf Tripadvisor über das München gestolpert und war mir ziemlich sicher: Wenn es so etwas wie weitverbreiteten Deutschenhass in Griechenland geben sollte, dann würde es der Wirt des München wohl als Erster mitbekommen. Erich Lickert lebt schon seit 22 Jahren in Griechenland, das Lokal betreibt er seit sechs Jahren. Also habe ich ihn angerufen und gefragt:

VICE: Hallo, haben Sie mal fünf Minuten Zeit für ein paar Fragen?
Erich Lickert: Geht's um die Griechenlandkrise? [lacht] Na klar. Ich mach nur eben mal die Musik leiser.

Was ich wissen wollte: Merken Sie was davon, dass die Leute sauer auf Deutsche sind?
Nein, natürlich nicht. Ich meine, Idioten gibt's überall, bei uns Deutschen auch. 95 Prozent meiner Gäste sind Griechen, aber ich merke überhaupt nichts.

Also haben Sie nie Probleme?
Gar nicht, im Gegenteil. Ich wohne in Mellissia, einem Stadtteil von Athen, wo eine gesunde Mittelschicht lebt. Und die würden sich sowas von wünschen, wenn sie auch solche Politiker hätten, wie wir Deutsche sie haben. Die sagen, die deutschen Politiker machen wenigstens was für ihr Land und ihre eigenen Leute—was ihre eigenen Politiker seit 40 Jahren nicht gemacht hätten.

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Auch Syriza nicht?
Syriza haben hier viele gewählt, weil man die anderen einfach nicht mehr wählen wollte. Darum geht es eigentlich.

Haben Sie jetzt Umsatzeinbußen?
Ja, logisch! Seit der Krise geht es hier natürlich schlecht. Juni und Juli hatte ich fast 50 Prozent weniger wie letztes Jahr. Ich musste Leute entlassen, ich mach das jetzt praktisch nur mit meiner Familie. Das hat nichts damit zu tun, dass ich Deutscher bin, das ist bei der ganzen Gastronomie hier so. Der Nachbar neben mir hat schon seit vier Monaten zugemacht. Dann haben wir noch eine Creperie hier um die Ecke, der hat seine Leute auch entlassen, der macht das auch nur noch mit seiner Frau. Weil die Leute einfach kein Geld zum Fortgehen mehr haben.

Haben Sie oft Diskussionen mit den Gästen im Lokal?
Ja logisch, tagtäglich. Das ist Thema Nummer 1 hier. An jedem Tisch. Und viele fragen mich dann, wie die Deutschen das sehen. Dann erklär ich halt die deutsche Sicht, und so gibt's dann einen Austausch von Informationen.

Was denken die Leute über die neue Situation?
Die meisten Leute hier trauen dem Frieden nicht, die denken: Es ist zwar schön, dass Europa uns helfen will, aber die wollen, dass ihr eigenes System sich ändert. Wenn das nicht passiert, dann geht das Geld wieder in die falschen Hände. Die würden sich so freuen, wenn die Troika auch wirklich mal kontrollieren würde.

Also hat man eigentlich mehr Misstrauen den eigenen Politikern gegenüber?
Natürlich! Den eigenen kann man nicht trauen, das weiß man hier. Viele hoffen, dass das jetzt auch der letzte in Brüssel kapiert hat und die wirklich kontrollieren, was hier passiert. Dass sie nur Geld geben, wenn das auch wirklich für das Land selber ist, und nicht für die Politiker, die das in die Vetternwirtschaft stecken.

Wie ist die Stimmung sonst?
Man ist halt verängstigt. Man weiß nicht, wie es weitergeht.

Interessant. Haben Sie überlegt, Griechenland zu verlassen?
Nein, das ist ein wunderschönes Land. Jetzt ist halt eine schwere Zeit, aber für alle, und ich lebe sehr gerne in Griechenland. Meine Frau ist Griechin, die ist Lehrerin, meine Kinder gehen hier zur Schule.