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​Die Flüchtlingskinder vom Salzburger Bahnhof

Was man in einer Woche als Helfer am Salzburger Hauptbahnhof erlebt, lässt einen teilweise den Glauben an die Menschheit verlieren. Aber es bringt hin und wieder auch schöne Erlebnisse mit sich.
Fotos von der Autorin

Seit die Grenzen zu Deutschland geschlossen wurden, herrscht Chaos in den Salzburger Bahnhofshallen. Zwischen Flüchtlingen, die hier sitzen, stehen, oder liegen und anderen Menschen, die hauptsächlich mit ständigen Lautsprecherdurchsagen über verspätete und ausfallende Züge beschäftigt sind, geht vor allem eine Gruppe unter: die Kinder.

Da der Bahnhofsboden vorübergehend zum Lebensmittelpunkt wird, gibt es wenige Möglichkeiten, zur Ruhe zu kommen. Zwar gibt es in der Tiefgarage des Hauptbahnhofs, die zum Notlager für Hunderte umfunktioniert wurde, genügend Essen, Notbetten und Kleidung, aber es kann trotzdem kaum die Rede von einer menschenwürdigen, geschweige denn kinderwürdigen Umgebung sein.

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Viele der Menschen hier hatten seit Tagen nicht mehr die Möglichkeit, zu duschen oder sich auszuruhen. Auch an einem weiteren Aspekt mangelt es stark: einer Möglichkeit, sich von all den Umständen wenigstens kurzzeitig abzulenken.

Umso mehr freuen sich die Kleinen, wenn freiwillige Helfer, ausgerüstet mit Luftballons, Seifenblasen, Spielzeug und Bastelsachen auftauchen. Ich sitze meistens am Boden der Bahnhofsvorhalle und male oder bastle gemeinsam mit den Kids. Die Hektik und das Leid um uns verschwinden. Plötzlich sind da nur noch bunte Mandalas oder selbstgebastelte Armbänder, mit denen sich die Kleinen stolz schmücken.

Diese Frau hatte mir gerade auf ein Frosch-Mandala aufgezeichnet, wie ihr Mann gestorben war.

Für kurze Momente mit so einfachen Mitteln eine lustigere, entspanntere Realität zu schaffen, ist ein wunderschönes Erlebnis. Die Kinder machen überall eifrig mit und bedanken sich auf ihre Weise mit Bildern, gebastelten Herzen, Armbändern und Gummibärchen, die sie mir unter die Nase halten, um sie zu teilen. Auch einige Mütter setzen sich immer wieder neben mich und wir unterhalten uns. Teilweise funktioniert das ganz gut, da viele Englisch sprechen, doch in einigen Fällen beruht die Kommunikation fast ausnahmslos auf Gestik und Mimik.

Das schockierendste Erlebnis war für mich, als eine Frau mir über längere Zeit versuchte, etwas mitzuteilen, aber ich nicht genau verstand, was sie mir sagen wollte. Immer wieder deutete sie mit ihrer Hand die Bewegung von Tränen, die ihr über die Wange liefen, und wiederholte ein Wort, das für mich nicht verständlich war. Schließlich begann sie etwas aufzuzeichnen und sagte nachdrücklich das Wort „eleven". Zuerst malte sie einen Mann, dann einen Zug, oder ein Kraftfahrzeug, eine Grube und schließlich strich sie den Mann durch. Das Wort, das ich zuerst nicht verstehen konnte, war „husband". Und diese Frau hatte mir gerade auf ein Frosch-Mandala aufgezeichnet, wie ihr Mann gestorben war.

Das Schlimmste an dieser Situation war für mich, dass ich nicht die Möglichkeit hatte, mit ihr darüber zu reden, oder sie emotional unterstützen konnte. Es ist auf jeden Fall eindeutig, dass viele Flüchtlinge das Bedürfnis haben, mit jemandem zu sprechen.

Ein anderes Mal saß ich mit einem Mädchen beisammen und kitzelte sie mit einem selbstgebastelten Zauberstab aus Federn und Pfeifenputzern im Gesicht. Dann gab ich ihr den Zauberstab in die Hand, woraufhin sie vorsichtig begann mir damit übers Gesicht zu streicheln und sah dabei irgendwie total fasziniert aus. Ich hatte bislang noch nie ein Kind so herzhaft lachen sehen.

Eine ganze Woche verbrachte ich am Bahnhof. Ich durfte unglaublich viele kostbare Eindrücke sammeln und habe viel über das Leben gelernt. Hoffnung und Freude in Kinder- und Erwachsenenaugen zu sehen, die Furchtbares erlebt haben und die nun in eine ungewisse Zukunft blicken, relativiert viele alltägliche Situationen, über die sich überprivilegierte Menschen in unseren Breiten vielleicht ärgern, oder in denen wir glauben, keinen Ausweg zu sehen.