Regierung versucht Darknet zu erklären—und zeigt, wie kompliziert das alles ist
BIld. Screenshot Youtube

FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Regierung versucht Darknet zu erklären—und zeigt, wie kompliziert das alles ist

In der Bundespressekonferenz cyberte es gewaltig—aber was hat es denn nun mit dem Darknet wirklich auf sich?

In der Bundespressekonferenz vom 25. Juli cyberte es gewaltig: Schließlich gab es nach der Meldung, der Amokschütze von München habe sich seine Glock 17 im Internet besorgt, viele Fragen zum Thema Darknet und Online-Waffenhandel.

Tobias Plate vom Bundesinnenministerium bemühte sich wortreich, das Thema aufzudröseln und zu erläutern, was dieses Darknet eigentlich ist, was seine Behörde darüber weiß und wie es sich vom Internet oder Deepweb unterschiedet. Ohne seinen Einsatz in Frage stellen zu wollen—seine Erklärungen rund um so schöne Worthülsen wie „Cyberfähigkeit der Sicherheitsbehörden" zeigen vor allem zwei Dinge:

Anzeige

Erstens: Es besteht nicht nur unter Politikern Bedarf, „Licht in dieses dunkle Netz" (der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin) zu bringen beziehungsweise „das Darknet [zu] durchleuchten" (Burkhard Lischka, innenpolitischer Fraktionssprecher der SPD). Zweitens: Das Thema ist ganz schön kompliziert und oft helfen bei einem Erklärungsversuch Schlagworte nicht weiter.

Wenig hilfreich ist es auch für technisch nicht ganz so versierte und vielleicht zu Recht etwas verunsicherte Nutzer, wenn verschiedene Medien in den vergangenen Tagen in sogenannten Erklärstücken völlig unterschiedliche Dinge zusammenwerfen—wie im ARD-Nachtmagazin: „Der Bereich des Internets [das Darknet] wird zwar von Kriminellen genutzt, aber auch Menschen, die viel Wert auf Privatsphäre legen, versenden ihre E-Mails lieber verschlüsselt." Die undifferenzierteste Zuspitzung verdiente sich in den vergangen Tagen wohl das Handelsblatt mit der Dachzeile „Kinder, Waffen, Heroin—Auf Shoppingtour im Darknet"

Kurz hatten wir in der Redaktion überlegt, angesichts der unscharfen Darknet-Berichterstattung ein kleines Begriffs-Glossar zu erstellen—wir haben uns dagegen entschieden, denn was Darknet und was Deepweb wirklich ist, wurde in den vergangenen Tagen so sehr durcheinandergewürfelt, weil die Begrifflichkeiten nicht nur willkürlich gewählt, sondern auch politisch extrem aufgeladen sind.

Das sind die Helden, die das Tor-Netzwerk betreiben

Anzeige

Auch wir sind öfter mal im Darknet unterwegs. Wir lesen in Foren auf Schwarzmärkten mit und checken die Angebote. Das alles ist völlig legal. Dafür nutzen wir den Tor-Browser, nicht nur um in dieses ach so dunkle Netz zu kommen, sondern schlicht auch, wenn wir etwas recherchieren wollen, von dem wir nicht möchten, dass Google es für immer mit deiner IP oder deinem Konto verknüpft.

Kleine Erinnerung: Google speichert alles, wonach du je gesucht hast

Tatsächlich ist der Tor-Browser eines der wichtigsten Anonymisierungswerkzeuge für das Surfen im Darknet und wohl auch für die meisten Nutzer der Einstieg. So wie es andere Verschlüsselungstools gibt, auf die wir hier genauer eingehen (zum Beispiel PGP für die asymmetrische Verschlüsselung von E-Mailverkehr, oder WhatsApp für das Versenden von Nachrichten, die nur von Empfänger und Absender gelesen werden können), verschleiert der Tor-Browser den direkten Weg von deinem Computer bis zum Server einer Website, indem er deine Anfrage über drei bis fünf andere Adressen im Tor-Netzwerk schickt und zwischen den einzelnen Stationen verschlüsselt kommuniziert.

Aber auch hier ist es wichtig genauer zu differenzieren: Denn wer den Tor-Browser benutzt, ist noch lange nicht im Darknet, sondern kann damit auch ganz normal auf unsere Motherboard-Website zugreifen. Du wirst dann vielleicht sehen, dass du polnische oder englische Werbeanzeigen ausgespielt bekommst—deine Anfrage scheint für den Zielserver von einem anderen Ort zu stammen.

Anzeige

Verschlüsselung ist kein Verbrechen

Das Deepweb wiederum, das Tobias Plate schon ganz richtig erklärt, sind technisch gesehen einfach nur die nicht von Suchmaschinen indexierten Seiten: Wenn du dich also im geschlossenen Kreis der Pflanzenfreunde über die richtige Pflege einer Sukkulenten austauschst und dich zuvor mit Nutzernamen und Passwort angemeldet hast—sprich; dieses Forum nicht öffentlich ist, dann bewegst du dich ganz selbstverständlich im Deepweb, weil Google deine Beiträge nicht finden kann.

Die zweite Funktion des Tor-Browsers ist, dass man damit auch auf Websites im Tor-Netzwerk zugreifen kann, die auf .onion enden, man nennt sie auch Hidden Services (oder manchmal Deepweb oder Darknet). Das funktioniert mit einem herkömmlichen Browser nicht.

Es ist sehr schwierig, zu bemessen, wie viel Verkehr im Darknet nun auf die illegalen Schwarzmärkte abfällt, auf denen Drogen, Waffen und Kinderpornos gehandelt werden—und die viele fälschlicherweise für synonym mit dem Darknet halten. Es ist auch nicht klar, wie viele von den .onion-Seiten eigentlich illegale Dienstleistungen anbieten, weil eine zentrale Indexierung fehlt. Allerdings arbeitet die DARPA gerade an einer Art Suchmaschine für das Deepweb namens MEMEX. Die US-Rüstungsforschungsbehörde entwickelt ihre eigene Suchmaschine für das Deepweb

Um herauszufinden, wie viel Nutzerverkehr auf die Hidden Services der Schwarzmärkte abfällt, gibt es im wesentlichen zwei Untersuchungen. Sie unterschieden sich in ihrer Methodik und kommen zu so dramatisch unterschiedlichen Ergebnissen (zwischen vier und 60 Prozent), dass man mit keiner von beiden tatsächlich arbeiten kann.

Anzeige

Außerdem gibt es selbst bei diversen Schwarzmärkten auch moralische Leitlinien: Die meisten handeln mit Drogen (deren Qualität oft besser ist, als das, was man auf der Straße kaufen kann—öffentlich einsehbares Kundenfeedback verpflichtet), die wenigsten erlauben Waffen in ihrem Angebot, die allerwenigsten verkaufen Kinderpornografie. Trotzdem: Diese Angebote gibt es alle.

Auf den illegalen Schwarzmärkten und separaten Onion Services tummeln sich übrigens auch unglaublich viele Betrüger (fragt mal Reinhold Beckmann). Motherboard-Recherchen zeigen, dass es vor allem die extrem schauerlichen Angebote sind, die nichts anderes als deine Bitcoin wollen, aber vermutlich Betrug sind—wie beispielsweise diese Auftragskiller-Website zeigt oder auch der Fall einer Seite, die versprach, gegen Geld Menschen live zu foltern.

Das mit den Betrügern in Sachen Waffenhandel durfte Reinhold Beckmann persönlich erfahren

Wie dunkel ist denn das Darknet nun? Der Begriff Darknet wurde 2002 ursprünglich in einem wissenschaftlichen Paper benutzt, um das nicht-indexierbare Internet mit Adressen, die häufig nur mit dem Tor-Browser erreichbar sind, zu beschreiben. Die Adressen und Datenbanken liegen sozusagen im Dunkeln, weil sie für Crawler nicht durchsuchbar sind. Leider wird der Begriff heute synonym mit dem Deepweb und mit dunklen Machenschaften benutzt: Dunkle Gestalten mit schwarzen Seelen wickeln düstere Deals ab.

Anzeige

Das stimmt aber nicht, denn auch Facebook oder netzpolitik.org haben eine .onion-Seite. Auf diesen wird der Inhalt der im Clearnet zugänglichen Website gespiegelt. Das tun die Anbieter, um Menschen in Umgebungen mit repressiverer Rechtsprechung den anonymisierten Zugang (über den Tor-Browser) zu ermöglichen. Über eine Million Menschen nutzen bereits Facebook über Tor.

Auch Whistleblower verlassen sich auf das Darknet, um zum Beispiel per Secure Drop sensible Daten mit Journalisten auszutauschen. Nach staatlichen Repressalien, wie zum Beispiel in der Türkei nach dem gescheiterten Putschversuch, kann man deutlich sehen, dass der Tor-Traffic steil nach oben geht, was darauf schließen lässt, dass es eben nicht nur Käufer und Verkäufer illegaler Güter zusammenbringt, sondern die Anonymität des Darknet auch einen Schutzraum für Verfolgte darstellt, in dem Meinung frei geäußert werden kann—eines der ursprünglichsten politischsten Versprechen des Internets.

Das Darknet ist daher keineswegs ein „Umschlagplatz" (SZ), keine „Sphäre" (Tagesschau) und auch nicht der „Ort, der Kriminelle anlockt" oder die „dunkle Seite des Internets" (ZDF).

Tatsächlich sind Online-Verbrechen längst nicht immer auf das Darknet angewiesen: Sowohl die Fälle des Online-Dealers Shiny Flakes als auch von Chemical Love zeigen, dass ihre ausgiebig bestückte Shops für Drogen zunächst beide keine .onion-Präsenz hatten (diese kam erst später hinzu), sondern sich im „Clearnet", dem Internet, das wir alle kennen, befanden.

Anzeige

Auch Waffen werden außerhalb des Tor-Netzwerks gehandelt, wie der Fall des ersten verurteilten deutschen Online-Waffenhändlers verdeutlicht.

Die Polizei konnte die Clearnet-Seiten lange nicht abschalten werden, weil sich die Betreiber bei den Transaktionen auf Anonymisierungsdienste verlassen haben und weil die eigentlichen Serverstandorte, die den Betrieb der Shops ermöglichten, durch das Angebot sogenannter Bulletproof Hoster verschleiert waren oder die Firmen, die diese Hosting-Dienste anbieten, dafür bekannt sind, nicht mit Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren.

NATO-Bunker und Hochseefestungen: Die spektakulärsten Datenbunker der Welt

Genauso wie auch im Darknet gibt es im Internet (oder Clearnet) Dutzende geschlossene Foren, auf denen illegale Dienstleistungen gehandelt werden. Auf diesen Boards gibt es meist Waffen, Drogen, Viren, geklaute Kreditkartendaten und Hackingtools gegen Bitcoin und pubertäre Beleidigungen von den meist etwas jüngeren Forenmitgliedern gratis dazu.

Die deutsche Szene hat sich hier mit dieser Art Angebotspalette eine Art weltweit einzigartige Nische erschlossen, wie ein Bericht der Firma TrendMicro nahelegt. Mangels eines besseren Begriffs nennen die Polizei und das BKA diese Art von Internetkriminalität und ihre Handels- und Kommunikationsplattformen „Underground Economy". Sie selbst nennen sich „Fraudszene". Ihre anonymen Betreiber verdienen an Treuhandgebühren für abgesicherte Bitcoin-Transaktionen und kassieren Gebühren für Anzeigenbanner von Vendoren. Immer mal wieder wird eins dieser Foren spektakulär von Ermittlern abgeschaltet und ihre mutmaßlichen Betreiber verhaftet; ein paar Tage später tauchen neue auf.

Codename Trawler: BKA gelingt großer Schlag gegen Internetkriminalität

Genau genommen müssten nun diese Boards der „Underground Economy" auch als Deepweb-Umschlagplatz gelten; denn alle Voraussetzungen sind erfüllt: Verschlüsselte Chatnachrichten zur Anbahnung und Abwicklung eines Geschäfts, Zahlung in Kryptowährung wie Bitcoin, Angebote, die sich für Nicht-Registrierte nicht einsehen lassen.

Eine Tour durch die schrägsten, schönsten, absurdesten und völlig legalen Seiten des Deepwebs

Und dann gibt es noch all die Seite mit einer .onion-Domain, die einfach nur obskur, seltsam oder auch so banal sind, dass es sie hier genauso wie im Clearnet gibt: (auch dieser Begriff ist natürlich auch nicht besonders trennscharf, soll aber für „das Internet, das wir kennen und mit einem x-beliebigen Browser über Google anrufen können" stehen): Buchclubs, Spinnereien von Verschwörungsfreunden, digitale Kummerkästen, Foto-Communitys von Urban Explorern, die lieber unter sich bleiben, Science-Fiction-Romane, politische Diskussionen.

Dunkel ist das Darknet also keinesfalls. Höchstens, wie so vieles, grau schattiert.