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Ohne Ecstasy wäre die Welt ein sehr viel schlechterer Ort

Du wirst ewig in unseren Herzen weiterleben, Alexander Shulgin – denn du hast sie geöffnet.
Unser Autor beim Feiern

Alexander „Sasha" Shulgin kann von sich behaupten, die globale Jugendkultur in den letzten 30 Jahren mehr geprägt zu haben als jeder andere. Dabei war er kein DJ, Modedesigner, Sänger, Sportstar, Schriftsteller oder Politiker. Er war ein Wissenschaftler. Er war ein geschätztes und hoch respektiertes Mitglied eines Berufsstands, der für Bärte und vernachlässigte Körperpflege bekannt ist. Er war ein Mann, der sich eher in Harvard als in irgendwelchen Clubs aufhielt. Ein Mann, der einen Doktortitel in Biochemie hatte und für das Journal of Organic Chemistry schrieb und seinen ersten großen Durchbruch mit einem Pestizid hatte.

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Doch zugleich war Shulgin der Mann, der herausfand, wie sich Seelen kurzschließen lassen. Er gab der Welt die Droge, die sie verändern sollte—MDMA. Die Droge existierte zwar schon vorher—bekannt wurde sie allerdings erst, als Shulgin in den späten 70ern an der Westküste der USA eine Gruppe glücklicher Intellektueller mit seiner Synthese bekannt machte. Ob als Pille oder in Pulverform—MDMA brachte Liebe und Legenden hervor und wies vielbereiste Wege zur völligen Hingabe, zum absoluten Nullpunkt, zur Masseneuphorie und zu moralischen Panikanfällen.

Sasha starb im Alter von 88, nachdem er sich ein Leben lang mit eigenen Erzeugnissen berauscht hatte. Er war ein gedankenreicher, provokativer Mann mit einem dauerhaften Interesse an Menschlichkeit und an den Dingen, die sich direkt unter ihrer Oberfläche verstecken. Er war mehr als ein durchschnittlicher Drogen-Kosmonaut—er war ein Anwalt, ein Architekt, der seine Arbeit nicht dem kurzen Drogenrausch, sondern dem nachhaltigen Wohlergehen widmete.

Dafür wird er als Legende in die Welt der Wissenschaften eingehen. Doch auch wenn Shulgins Erbe als Wissenschaftler im Laufe der Zeit immer weiter wachsen wird, war er für mich immer mehr als sein als ein Isaac Newton, der lieber nach Lasern griff als unter Bäumen zu sitzen. Shulgin und sein Rave-Penizillin sollten die Jugendkultur für immer verändern—und damit auch mein Leben und das Leben vieler anderer Menschen.

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Meine erste Pille war ein Wendepunkt in meinem Leben, was wahrscheinlich für die meisten zutrifft. Und jetzt stell dir vor, wie die erste Pille der Welt gewesen sein muss. Und dann stell dir vor, wie die Welt heute wäre, wenn Shulgin seine Idee nicht durchgezogen hätte. All die kribbeligen, klammen ersten Küsse, die die Seele wie arktische Windböen durchkreuzen, die glücklichen Zufälle, die Momente des Taumels, der Sexualität und der magenumkehrenden Angst, die verwirrenden Unterhaltungen mit italienischen Touristen in Raucherbereichen—all das hätte es nie gegeben. Ohne den seltsamen, unerklärlichen, bebenden Kick, den Shulgins Wunderchemikalie ermöglichte, wäre die Welt vielleicht ein traurigerer Ort.

Und ohne diese Momente, ohne dieses Gefühl, hätten wir nichts, was der Ravekultur auch nur nahekommt. Wir hätten zwar Raves und vielleicht auch House und Techno, doch ohne hätten sie niemals den gleichen Einfluss gehabt. Die Musik hätte nicht die gleiche, fremdartige Kraft gehabt. Kraftwerk mag die Synths gebracht haben und Jesse Saunders den Beat, doch das Gefühl stammt von Sasha Shulgin.

Ecstasy breitete sich langsam auf dem Planeten aus, es mutierte, gebar, vermehrte und teilte sich wie ein tobender Virus, den kein Wissenschaftler hätte prophezeien können. Binnen Kurzem erreichten wir die Zukunft, in der Computermusik und synthetischen Drogen zur treibenden Kräfte der globalen Jugendkultur wurden. So ziemlich jeder Westler, der nach Shulgins erster Begegnung mit der Droge, die wir nun Ecstasy nennen, auf die Welt kam, wurde in irgendeiner Weise von ihr beeinflusst.

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Einige nahmen sie, einige hatten Angst davor. Einige hatten die beste Zeit ihres Lebens, und leider starben einige an Pillen, die von Mistkerlen hergestellt wurden, die schlampiger als Shulgin waren. Einige hörten damit auf, als sie ihr Studium abgeschlossen hatten, andere freuen sich noch 25 Jahre nach ihrem ersten Mal auf „Back 2 The Old Skool"-Wochenenden. Ein Typ nahm neun Jahre lang jeden Tag Ecstasy, mit einem Rekord von 25 Pillen pro Tag (dass das wahrscheinlich nicht die beste Idee seines Lebens war, muss nicht extra erwähnt werden.)

Unten: ein paar Kommentare, die unter Rave Tracks aus den Neunzigern hinterlassen wurden (aus diesem großartigen Artikel).

Ecstasy und die dadurch inspirierte Musik veränderte die Welt, vor allem aber das Leben der Menschen, manchmal zum Postiven, manchmal zum Negativen. Als ich letztes Jahr mit Terry Farley, dem legendären DJ, Promoter, Produzenten und Redakteur der Zeitschrift Boy's Own sprach, erzählte er mir, dass Ecstasy der Katalysator für einen dringend notwendigen Wandel in der Gesellschaft war.

„Ich denke, dass dadurch alles ein bisschen geschmeidiger wurde", erklärte er. „Wenn man aus war und sich ein bisschen lauter verhielt, dachten die Leute, man wäre verrückt. Plötzlich wurde es attraktiv, nett zu den Leuten zu sein. Das lag nicht nur daran, dass wir auf Drogen und verliebt waren, aber die Leute haben das allgemeine Wohlbefinden wahrgenommen. Man dachte, dass sich alles ändern würde. Innerhalb von sechs Monaten hatten alle, die ich kannte, ihre Jobs hingeschmissen und angefangen, etwas Kreatives zu machen."

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Ecstasy machte viele Menchen einfach glücklicher. Ja, Abstürze sind scheiße. Einige würden ihr schwindelerregendstes High nicht vergessen machen, um ihr schlimmstes Erlebnis aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Einige haben es vielleicht übertrieben, und vielleicht hat die gesteigerte Popularität einige Tragödien bewirkt. Aber welche andere Droge hat unser kulturelles Verständnis der Welt so gewaltsam erneuert?

Die Acid-Revolution in den 60ern war etwas wirklich Bedeutendes, aber heutzutage verbindet man Acid nur noch mit abgedroschenen Witzen über pinke Elefanten und mit Psychedelic-Rock. Gleichzeitig beeinflussen Ecstasy und seine kleine Schwester „Molly" heute immer noch die Art, wie wir die Welt sehen. Elektronische Musik behauptet weiterhin ihren Vorreiterstatustatus, während die Gitarrenmusik langsam in ihrem Koksgrab verwest. Davon abgesehen standen auch die besten Gitarrenbands—Oasis, die Stone Roses, die Happy Mondays u.a.—total auf Pillen.

Persönlich denke ich, dass Ecstasy mich vielleicht romantischer gemacht hat. Es ließ mich die Welt anders und größer sehen, und alles, was mir passierte, schien mir von großer Bedeutung zu sein. Ich glaube, dass eine Menge Leute mir da zustimmen werden. Ich sage nicht, dass es mich zu einem besseren Menschen gemacht hat, aber es hat mir dabei geholfen, besser zu verstehen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein.

High times in Amnesia, 1991

Wir sollten Sasha Shulgin nicht nur als einen großen Wissenschaftler, sondern auch als einen Visionär in Erinnerung behalten. Als jemanden, der die Welt verändert hat, und vielleicht als einen Helden. Denn ohne ihn hätte es für uns nicht den ersten Rave gegeben, nicht den ersten Kuss, Human Traffic, Trainspotting—und auch nicht „Mr. Vain". Ibiza wäre einfach nur eine hübsche, ruhige Insel im Mittelmeer und wir hätten so viele Ehemänner, Ehefrauen, Kinder und beste Freunde nie kennengelernt.

Für Shulgin selbst war sein Vermächtnis vielleicht ein bittersüßes. Eigentlich hatte er die Droge zu therapeutischen Zwecken entwickelt und nicht nur, um davon high zu werden. Und obwohl er dankbar zu sein schien für all die Aufmerksamkeit und das Lob, das er für seine Erfindung bekam, ist seine Idee, mit MDMA die gleiche Wirkung wie mit Antidepressiva zu erzielen, nie richtig gewürdigt worden. Ich frage mich, ob er jemals die Gelegenheit hatte zu sehen, wie ein paar zugedröhnt mit den Zähnen knirschende Jugendliche auf Ecstasy die beste Nacht ihres Lebens hatten, wo er es doch eigentlich zu dem Zweck erfunden hatte, um Menschen mit psychischen Problemen die schlimmste Zeit ihres Lebens ein bisschen erträglicher zu machen. Ich frage mich, wie er darüber gedacht hätte.

Auch wenn Shulgin selbst sich sein Vermächtnis anders vorgestellt hatte, ist es eins, das die Menschheit nicht so leicht vergessen wird. Vielleicht ist der Name „Alexander Theodore Shulgin" nicht der erste Gedanke, der uns in den Sinn kommt, wenn wir uns mit den Händen ins Gesicht fassen, mit den Zähnen knirschen und unsere Liebsten, unsere Freunde oder unsere Eltern mit komischen Textnachrichten bombardieren, aber er sollte es sein. Ob Mr. Shulgin nun stolz darauf ist oder nicht, wir werden ihn immer damit verbinden.